Ursachenforschung zu Gewalt - Psychologin warnt: Prügel für Politiker sind auch Folge von aggressivem Politik-Stil
SPD-Mann Ecke meldete sich nach der Attacke aus dem Krankenhaus mit diesem Bild Matthias Ecke/SPD Sachsen/dpa
Der Angriff auf SPD-Politiker Matthias Ecke bewegt Deutschland. Er ist nicht der Erste, sondern reiht sich ein in eine Reihe von Übergriffen und Drohungen gegen Politiker über alle Parteien hinweg. Psychologin Martina Lackner analysiert Hintergründe und sagt, was auf dem Spiel steht.
Psychologisch betrachtet ist physische Gewalt ist nicht nur Symptom eines bestimmten Milieus, nicht unbedingt nur eine Folge von Alkohol und Drogenkonsum, einer gewaltvollen Erziehung oder Folgen von Traumata. Gewalt entsteht aus einer Vielzahl von Ursachen, die eng mit verschiedenen Aspekten der Gesellschaft verbunden sind. Kommunikation, Bildung, das Wirtschaftssystem und Abhängigkeiten spielen dabei eine entscheidende Rolle. Und physische Gewalt ist eine eher männliche Domäne.
Entstehung von physischer Gewalt auf gesellschaftspolitischer Ebene
Demokratien stehen für Freiheit. Allerdings können Menschen mit „zu viel Freiheit“ nicht gut um gehen. Das große Drama der Demokratie besteht darin, dass z.B. die Freiheit der Meinungsäußerung zu ideologischer Borniertheit pervertiert und die verschiedenen Vertreter einer Ideologie sich anfangen zu bekämpfen: um die Vormachtstellung der wahren Ideologie.
Und wer gewinnt das Wettrennen? Der mit negativer Macht und Gewalt seine eigene Ideologie zur Staatsreligion erklärt und möglichst viele Anhänger bzw. Wähler um sich schart. So wird die Aggression zum kommunikativen Mittel eines Wahlkampfes. Eine Partei, die die Kampfarena eröffnet, die andere Partei, die in den Gladiatorenkampf einsteigt.
Und plötzlich befinden sich Politiker selbst auf einem emotionalen Kriegsschauplatz, der die Regierungen spaltet. Eine Spaltung, die sich in der Bevölkerung fortsetzt.
Die große Gefahr: Wir müssen davon ausgehen, dass aggressive Inszenierungen von Politikern sich auf die Bevölkerung übertragen. Politik wird zum Spiegelbild der Gewalt und Aggression einer Gesellschaft und vice versa. Der Angriff auf Politiker ist auf psychologischer Ebene auch eine Reaktion auf ein politisches System, das teilweise unterschwellig, teilweise offen aggressiv agiert.
Mangel an Bildung fördert Gewalt
Mangelnde Bildung ist ein weiterer entscheidender Faktor. Ein Bildungssystem, das nicht ausreichend aufklärt, kritisch denken und empathisch handeln lehrt sowie eine gesunde Demokratie nicht vermittelt, kann dazu beitragen, dass Menschen anfälliger für gewalttätiges Verhalten werden. Ein Mangel an Bildung und Perspektiven führt damit zu Frustration und Aggression, insbesondere wenn Menschen das subjektive Gefühl haben, dass ihre Zukunftsaussichten begrenzt sind. Wobei das nichts über die reellen Zukunftschancen aussagt. Chancen zu erkennen, nicht nur seinen Bildungsgrad weiterzuentwickeln, sondern dadurch eigene persönliche Defizite auszumerzen, hat etwas mit einem intellektuellen, aber auch emotionalem Reifegrad zu tun.
Und dieser muss sowohl im Elternhaus als auch durch ein reifes Schulsystem vermittelt werden: Es geht nicht darum, alle gleich zu behandeln, damit alle die gleichen Chancen haben, so das Credo des deutschen Bildungssystems. Es geht darum, dass jeder gemäß seinen Talenten, seines Bildungsniveaus, intellektuellen Vermögens individuell gefördert wird. Durch eine Gleichmacherei wird das Bildungsniveau automatisch gesenkt, weil man sich nach den Schwachen ausrichtet und nicht nach den Starken.
Gewalt durch ökonomische Ungleichheit
Das Wirtschaftssystem spielt ebenfalls eine Rolle bei der Entstehung von Gewalt. Ungerechtigkeit, Ungleichheit und wirtschaftliche Unsicherheit können Frustration und Unzufriedenheit in der Bevölkerung verstärken. Wenn Menschen das Gefühl haben, dass ihre grundlegenden Bedürfnisse nicht erfüllt werden, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie zu Gewalt greifen, um ihre Interessen durchzusetzen. Die aktuelle Debatte über das Bürgergeld zeigt, dass Menschen sich ungerecht behandelt fühlen. Wobei eine gefühlte Ungleichheit in der Regel gegen Menschen gezeigt wird, die unter ihnen stehen.
Ungleichheit, die von Reichen ausgeht, die in Steuerparadiese flüchten, oder Großkonzerne, die satte Gewinne einfahren, nur über dem Existenzminimum zahlen oder Boni für Vorstände auszahlen für Unternehmen, die eigentlich längst in der Insolvenz gelandet wären ohne staatliche Hilfe, sind weniger im Fokus der Gesellschaft. Die handelnden Personen in den Konzernen sind zu weit weg. Anders als Politiker, die sich der Öffentlichkeit stellen müssen, sind diese weniger angreifbar.
Emotionale und finanzielle Abhängigkeiten – aus Opfer werden Täter
Abhängigkeiten von Transferleistungen und ein niedriger sozialer Status sind ein Thema bei der Entstehung von Gewalt, auch wenn es im ersten Moment nicht so scheint. Transferleistungen sind ein zweischneidiges Schwert. Zum einen haben wir mit Sicherheit Bürgergeldempfänger, die Nutznießer des Systems sind, anderseits bringt man durch solche Sozialleistungen Menschen in emotionale Abhängigkeiten. Scham darüber, ein Versager zu sein, am Rande der Gesellschaft zu stehen, am oder unter dem Existenzminimum zu leben, kann Frustration erzeugen und sich unter bestimmten Voraussetzungen in Gewalt äußern. Durch Sozialleistungen werden unmündige Bürger erzeugt, die man dauerhaft am Tropf des Staates halten kann und vermeintlich leichter steuern kann.
Physische Gewalt ist vorwiegend männlich
Gewalt ist vielfach männlich geprägt. Studien zeigen, dass der Testosteronspiegel von Männern um ein Vielfaches höher ist, als der von Frauen, was dazu führt, dass sie eher zu aggressiven Handlungen neigen. Wobei sich die Aggression hinter verschiedenen Ideologien versteckt: von Sexismus, über Rassismus, Machtmissbrauch bis zum Faschismus. Gewalt hat viele Gesichter. Und findet je nach Erziehung, Bildung, Milieu, Gruppendynamik und Religion seine Zugehörigkeit zu einer Weltanschauung.
Sie ist identitätsstiftend und gibt Halt und verleiht vor allem Macht. Macht über Frauen, Macht über Rassen, Macht über Politiker, Macht über die eigenen Kinder. Dahinter verbirgt sich stets das Gefühl von Ohnmacht und Angst, die von einer täglichen Überlebensangst zeugt. Eine archaische Emotion, die nichts mit der Lebensrealität zu tun hat. Sie wird „nur“ getriggert. Der Feind ist austauschbar, die Gewalt die Methode, um Macht zu erlangen, um dem eigenen vermeintlichen persönlichen Untergang nicht zu fühlen oder zu erleben.
FAZIT: Um Gewalt in jeglicher Ausbreitung zu reduzieren, ist es daher wichtig, diese Aspekte ganzheitlich anzugehen und Maßnahmen zu ergreifen, die auf eine Stärkung der Kommunikation, Bildung, des Wirtschaftssystems und der individuellen Autonomie abzielen.
Was wir brauchen, ist ein Parteiensystem, das trotz unterschiedlicher Ideologien Solidarität und Kompromissbereitschaft signalisiert. Eine Bildungsoffensive, die Bildung nicht im Sinne von Gleichmacherei versteht, sondern Förderung von Verschiedenartigkeit hinsichtlich Talent und Intellekt, eine Erziehung zu Demokratie als Unterrichtsfach, weniger Transferleistungen und eine Hinführung zu Eigenverantwortung und unabhängiger Lebensführung, eine politische-gesellschaftliche Aufmerksamkeit auf Gewalt und toxische Männlichkeit, und ein entschiedenes Entgegentreten aller Parteien gegen rechtsextreme und demokratiefeindliche Strömungen. In Form von strengeren Gesetzen und Abschiebungen.
Die Demokratie ist an ihre Grenzen gekommen. Wenn sie überleben soll, ist es Zeit der Freiheit Grenzen zu setzen.