Theater für alle, nächster Versuch: Ulrich Khuon will am Schauspielhaus Zürich Brücken bauen
Intendant Ulrich Khuon hofft auf ein Theaterjahr, das sich «anfühlt wie ein ausgedehntes Festival auf der Suche nach Gemeinsamkeiten». Ennio Leanza / Keystone
Das Zürcher Schauspielhaus befindet sich in einem Dazwischen. Das Alte geht zu Ende: die Co-Intendanz von Benjamin von Blomberg und Nicolas Stemann, die in den letzten Monaten wegen rückläufiger Besucherzahlen in der Kritik stand. Bevor aber Pinar Karabulut und Rafael Sanchez die neue Leitung übernehmen, überbrückt Ulrich Khuon als Interimsintendant. Ausser dass der prominente Theatermann für ein Jahr verpflichtet werden konnte, war bisher nicht viel bekannt.
Am Dienstag hat das Schauspielhaus Zürich nun den Spielplan von Khuon für die kommende Saison vorgestellt. Die erste Premiere, die im September 2024 gleichzeitig in Zürich und Tokio uraufgeführt wird, könnte auch das Theaterhaus selbst symbolisieren.
«Frau Yamamoto ist noch da» handelt von einer betagten Dame, die vereinsamt ist. Es fehlen ihr soziale Kontakte und starke Bindungen. Sie sehnt sich nach Menschen. So macht sie eines Tages die Tür ihres Mietshauses auf und lässt sie offen stehen. Das führt zu unterschiedlichen Begegnungen, und es entsteht eine Bestandesaufnahme einer Gesellschaft, deren Mitglieder zugänglich und scheu sind, vergnügungssüchtig und angstvoll.
Es gehe im Stück darum, was wir mit der endlichen Zeit machten, die wir auf der Erde verbrächten, sagt die deutsche Dramatikerin Dea Loher, die «Frau Yamamoto ist noch da» geschrieben hat, an der Pressekonferenz.
Begrenzt ist auch die Spielzeit von Ulrich Khuon am Schauspielhaus. Khuon sieht sich als Brückenbauer zwischen dem, was war, und dem Neuen. Erbaut werden soll eine Eisenbahnbrücke wie in Graubünden, sagt Khuon, ein kühnes und gleichzeitig stabiles Konstrukt. Sein kurzes Engagement will er nutzen und wie Frau Yamamoto die Tür zu seinem Mietshaus öffnen, ein «Theater für alle» schaffen – ein Anspruch den schon Blomberg und Stemann hatten.
«King Lear» ebenso wie die «Die Rote Zora»
Mit 21 Premieren zwischen September 2024 und Mai 2025 ist das Programm ambitioniert. Mit möglichst vielen und vielfältigen Stücken versucht Khuon das Zürcher Publikum zu umgarnen. Das «ausgedehnte Festival», wie es das Schauspielhaus nennt, gestaltete Khuon in Zusammenarbeit mit der dramaturgischen Co-Leitung von Anika Steinhoff und David Heiligers.
David Heiligers und Anika Steinhoff leiten gemeinsam die Dramaturgie. Ennio Leanza / Keystone
Getragen wird der Spielplan von bekannten Stoffen, die breite Gesellschaftsschichten ansprechen sollen. Darunter sind Klassiker wie Kafkas «Die Verwandlung», Sartres «Die schmutzigen Hände» oder Shakespeares «King Lear». Letzteres Stück erinnere gewissermassen an den alten weissen Mann Khuon, der schliesslich abtritt und einer neuen Generation das Theater überlasse, sagt die deutsche Regisseurin Anne Lenk. Die Frage nach dem Erbe stehe im Zentrum: Was wird weitergegeben, und was ist die neue Generation weiterzuführen bereit?
Auch neuere Stücke sind alte Geschichten und versetzen einen zurück in die Kindheit. «Die Rote Zora», «Die kleine Meerjungfrau» und «Robin Hood» sollen nicht nur das jüngere Publikum ansprechen, in ihnen soll sich das «Theater für alle» verkörpern. Die Stoffe seien zeitlos, altersunabhängig und begleiteten uns durchs Leben, sagt Khuon. Aus der Legende von Robin Hood etwa, dessen Truppe an eine Utopie glaubt und Gerechtigkeit schaffen will, könne jeder auf seine Weise etwas ziehen. Khuon verspricht aber einen «besonderen Zugriff» auf die Stücke. So arbeitet etwa der Regisseur Bastian Kraft für «Die kleine Meerjungfrau» mit der Zürcher Drag-Szene zusammen.
Gleiches Ensemble
Einen expliziten Zürich-Bezug weisen einige Stücke auf. In «Doktor Spielrein» wird die Geschichte der russischen Psychoanalytikerin Sabina Spielrein mit VR-Brillen erfahrbar gemacht. Spielrein war Patientin von Carl Gustav Jung im Burghölzli und seine Schülerin. Das Projekt #ByeBitch ist an die Geschichte von Céline Pfister aus Spreitenbach angelehnt, die 2017 Opfer von Cybermobbing wurde. Es wird in den Klassenzimmern von Zürcher Oberstufenklassen aufgeführt.
Die Konstante, die Khuon schaffen will, zeigt sich beim Ensemble. Mit Elias Arens und Nancy Mensah-Offei gibt es nur zwei neue Engagements. Auch Regisseurinnen wie Suna Gürler, Leonie Böhm oder die Performancekünstlerin Wu Tsang sind wieder mit dabei.
Äusserlich wird sich das Schauspielhaus für diese kurze Zeit wohl nicht gross verändern. Das Pfauen-Foyer grundlegend umzugestalten, sei schwierig, weil es als Fluchtweg diene. Dennoch soll es dort wieder gemütlicher werden, die kontroverse Neonbeleuchtung soll verschwinden und auch der Schriftzug beim Eingang mit dem vertauschten S und Z geändert werden. Für das Logo setzt das Schauspielhaus auf die Schriftart Helvetica, schnörkellos und unauffällig.