Serap Güler zum CDU-Programm: "Wenn das konservativ ist, dann ich bin ultrakonservativ"
Leitkultur, Abkehr vom Individualrecht auf Asyl, und Leistung soll sich wieder lohnen: Auf dem Parteitag in Berlin hat die CDU sich ein neues Grundsatzprogramm gegeben, das man als Bruch mit Angela Merkel interpretieren könnte. Falsch, sagt CDU-Vorstandsmitglied Serap Güler.
Serap Güler (r.) ist seit der Wahl 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages und dort Verteidigungsexpertin der Unionsfraktion. Davor war sie Staatssekretärin im nordrhein-westfälischen Integrationsministerium und Landtagsabgeordnete in NRW. Hier debattiert sie mit CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann am Dienstag den Änderungsantrag zur Wehrpflicht.
ntv.de: Nach zwei Jahren Arbeit hat die CDU nun ein neues Grundsatzprogramm beschlossen, sie haben den Prozess mit geleitet. Sind Sie froh, dass es vorbei ist?
Serap Güler: Es war schon eine sehr intensive Zeit. Ich kann mich an Sitzungen erinnern, die fünfzehn, sechzehn Stunden gedauert haben – und davon hatten wir gleich mehrere.
Weil die Teilnehmer so vielfältig waren. Das waren ja nicht nur wir drei, also CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann als Leiter der Grundsatzprogrammkommission und Mario Voigt und ich als seine Stellvertreter. Dazu kamen noch die Leiter der Fachkommissionen, mit denen wir mehrere Klausurtagungen hatten.
Bei all diesen Klausuren hat es auch mal etwas länger gedauert. Wir sind eine Volkspartei. Das zeigt sich auch, wenn Sie an Gitta Connemann und Karl-Josef Laumann denken, die nicht in allem einer Meinung sind, aber beide das Beste wollen und am Ende immer zu einem Kompromiss gefunden haben.
Ich habe immer gesagt, wenn die beiden es geschafft haben, einen Kompromiss zu finden, dann können wir damit ganz viele Menschen ansprechen. Aber das ist nur ein Beispiel, es gab ja zehn Fachkommissionen. Da wurde teilweise um jeden Satz gerungen. Es war eine intensive, aber auch sehr konstruktive Zeit.
Begeisterung auf Knopfdruck und andere Lehren vom CDU-Parteitag
Geht man sich da nicht irgendwann auf die Nerven?
Zwischenmenschlich lief das sehr gut. In den letzten zwei Jahren habe ich zu Menschen in der Partei ein Verhältnis aufbauen können, von denen ich das vorher nicht gedacht hätte – zum Beispiel mit Gitta Connemann. Da hat man gemerkt, dass man mit Menschen zwar unterschiedlicher Meinung sein, aber sehr gut miteinander auskommen kann.
Nein. Merkel war 18 Jahre Parteivorsitzende und 16 Jahre Bundeskanzlerin, und ich finde, das waren gute 16 Jahre für dieses Land und gute 18 Jahre für unsere Partei. Aber es ist doch mehr als legitim, dass ein neuer Vorsitzender seine eigenen Akzente setzen will. Das hätte jeder andere genauso gemacht – AKK und Armin Laschet haben das ja auch versucht. Das muss jedem neuen Parteivorsitzenden zugestanden werden. Mit einem Bruch hat das nichts zu tun.
Nach der Bundestagswahl lag die Partei am Boden. Noch drei Monate vor der Wahl dachten wir, dass alles mehr oder weniger weitergeht wie bisher, und auf einmal fanden wir uns in der Opposition wieder, in desolatem Zustand. Das Verhältnis zu Schwesterpartei CSU war mehr als angekratzt. Friedrich Merz als neuer Vorsitzender hat erst mal den Scherbenhaufen zusammengekehrt und angefangen, die Stücke zusammenzukleben. Dass das so schnell gegangen ist, war keine Selbstverständlichkeit. Das ist schon ein ganz besonderes Verdienst von Friedrich Merz. Gerade auch das Zusammenraufen von unterschiedlichen Menschen. Carsten kannte ich schon aus dem Landesverband NRW, er Mario Voigt kannte ich eigentlich nur so vom Sehen. Am Ende war das eine wirklich freundschaftliche Zusammenarbeit.
Und Ursula von der Leyen ist trotzdem Außenseiterin in der CDU
Markus Söder hat am Dienstag gesagt, CDU und CSU hätten sich mit dem Programm auch wieder aneinander angenähert. Mit anderen Worten: Die CDU ist konservativer geworden.
Das sagt man immer so, aber ich finde im Grundsatzprogramm auch viele Dinge, die christlich-sozial sind, die liberal sind, und eben auch konservativ. Und überhaupt, was ist denn jetzt konservativ? Da werden dann Sätze genannt wie “Leistung muss sich lohnen”. Aber das war das Gründungsversprechen der Bundesrepublik! Das kann man auch als soziale Forderung werten! Wenn das konservativ ist, dann ich bin ultrakonservativ.
Im Moment kommen jährlich 300.000 Asylbewerber nach Deutschland, die Zahlen steigen. Die Hälfte davon ist überhaupt nicht asylberechtigt. Wieso entscheiden Schlepper, wer nach Deutschland kommen darf? Das individuelle Recht auf Asyl ist doch längst abgeschafft, zugunsten eines Rechts des Stärkeren. Nach Europa kommt, wer körperlich und finanziell dazu in der Lage ist. Die Schwächsten, die vielleicht wirklich Schutz bräuchten, schaffen es nicht. Deshalb sagen wir: Wir müssen die Asylverfahren in Drittstaaten verlagern und mit Kontingenten arbeiten.
Nein. Die AfD spricht von Remigration. Davon werden Sie nichts in unserem Grundsatzprogramm finden oder in irgendeinem anderen Programm der CDU. Die Überschrift unseres Asylkapitels lautet “Humanität und Ordnung”. Von der AfD habe ich noch nichts über Humanität in Bezug auf Zuwanderung gehört.
Bei drei Themen hat die CDU besonderen Redebedarf
Aber die Leitkultur – die ist doch konservativ.
Ob Sie’s glauben oder nicht, da war ich von Anfang an dafür. Das war auch nicht die Idee von Friedrich Merz, den Begriff ins Grundsatzprogramm aufzunehmen, das kam aus der Kommission zum gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Es war nicht so, dass wir was gegen die Wehrpflicht gehabt hätten. Unser Argument war eher, dass wir gesagt haben: Wir haben auf dem Parteitag in Hannover 2022 die Dienstpflicht beschlossen. Meine Auffassung war zwar, dass die Wehrpflicht eine Brücke zur Dienstpflicht sein könnte, aber wir haben es auch oft erlebt, dass die Politik auf einer solchen Brücke stehengeblieben ist, weil das eigentliche Ziel zu weit weg ist. Unsere Sorge war, das Ziel der Dienstpflicht nicht zu gefährden. Aber die Junge Union hat ihre Überzeugung so engagiert vorgetragen, dass sich die Delegierten davon haben überzeugen lassen – auch wir als Antragskommission. Wir haben deshalb beschlossen, dass die Aussetzung der Wehrpflicht schrittweise zurückgenommen werden soll und die Wehrpflicht in ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr überführt werden soll. Die sogenannte Kontingent-Wehrpflicht ist für uns jetzt eine Übergangslösung bis hin zum Gesellschaftsjahr.
Ja, ich habe mich darüber gefreut. Aber ich weiß auch, dass wir da noch Überzeugungsarbeit leisten müssen. Die FDP wird da nicht mitgehen, die Grünen sind dagegen. Ich hoffe, dass der Verteidigungsminister da in der SPD seine Truppen zusammenkriegt. Das könnte ein Projekt einer großen Koalition für die Wehrpflicht werden. Wir stehen bereit.
Zu einem Beschluss, mit dem die Aussetzung der Wehrpflicht endet.
Die Sehnsucht nach Merkel hält sich in Grenzen
Aus Sicht von FDP und Grünen wäre das ein Koalitionsbruch. Dann kämen Neuwahlen. Wer ist dann Kanzlerkandidat? Söder? Wüst? Merz?
Netter Versuch. Sie kennen die Antwort darauf. Wir entscheiden das im Herbst.
Ja. Das hat mich auch nicht überrascht. Friedrich Merz hat erst die Fraktion geeint und dann die Partei. Er hat auch die eingebunden, die ihm am Anfang kritisch gegenüberstanden. Dazu gehöre ich auch, das ist ja kein Geheimnis. Ich war ja nicht von Anfang an in seinem Team.
Nein, als Merz Anfang 2022 zum CDU-Vorsitzenden gewählt wurde, war ich im Team von Helge Braun. Aber nachdem Merz Vorsitzender wurde, habe ich ganz klar gesagt: Jetzt kommt es darauf an, dass wir ihn geschlossen unterstützen. Ich fand es schön, dass man das auf der anderen Seite genauso gesehen hat und ich nach relativ kurzer Zeit gefragt wurde, ob ich beim Grundsatzprogramm mitmachen will. Merz wird ja immer wieder vorgeworfen, er könne Leute nicht einbinden. Doch, das kann er sehr wohl.
Söder schwört der CDU, 2021 nicht zu wiederholen
Vor dem Parteitag hat ein “Spiegel”-Artikel daran erinnert, dass Merz Sie Ende 2022 öffentlich angebrüllt hat, weil Sie sich beim Chancenaufenthaltsrecht der Ampel enthalten haben. Ist das mittlerweile ausgeräumt?
Total. Das war eine kurze Szene, und ich kann auch nicht alle Einzelheiten der Story im “Spiegel” so bestätigen. Das wurde ein bisschen was dazugedichtet.
Egal. Es wurde jedenfalls heftiger dargestellt als es eigentlich war. Und das ist über anderthalb Jahre her. Das ist nichts, was zwischen uns steht.
Als Abgeordnete sind wir als allererstes unserem Gewissen verpflichtet. Es kann immer Situationen geben, wo man anderer Meinung sein kann, dann muss man eben dem Gewissen oder der eigenen Überzeugung folgen. Natürlich muss man darauf achten, dass das nicht häufig vorkommt, sonst muss man sich auch fragen, ob man in der richtigen Fraktion ist. In meinen zehn Jahren im Landtag von Nordrhein-Westfalen kam das einmal vor. Und einmal im Bundestag.
Ich habe schon drauf gewartet.
CDU liefert Merz, was er braucht
Im neuen Grundsatzprogramm heißt es: “Muslime sind Teil der religiösen Vielfalt Deutschlands und unserer Gesellschaft”, aber auch: “Ein Islam, der unsere Werte nicht teilt und unsere freiheitliche Gesellschaft ablehnt, gehört nicht zu Deutschland.” Warum denken die meisten CDU-Politiker offenbar immer vor allem an Islamismus, wenn vom Islam die Rede ist?
Schön, dass Sie auch den ersten Satz zitieren, der wird auch gern mal weggelassen. Ich glaube nicht, dass Parteikollegen, die meinen Glauben nicht teilen, beim Thema Islam sofort an Islamismus denken. Aber es gibt Demonstrationen wie neulich die in Hamburg für ein “Kalifat”, es gibt Dinge, die zu Recht zu Sorge und Aufregung führen. Ich versuche deutlich zu machen: Die Aufregung bei den Muslimen ist im Zweifel noch größer, weil diese Menschen, die nach dem Kalifat rufen, hier lebende Muslime als ihre Feinde ansehen. Das sind Probleme, über die wir sprechen müssen. Deshalb habe ich keinerlei Probleme mit dem zweiten Satz. Ein Islam, der unsere Werte nicht teilt und unsere freiheitliche Gesellschaft ablehnt, gehört nicht zu Deutschland.
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