„Putins Regime steckt in einer tiefen Krise“: Russland könnte die „Eskalation“ drohen
IPPEN.MEDIA-Gespräch
„Putins Regime steckt in einer tiefen Krise“: Russland könnte die „Eskalation“ drohen
Wladimir Putins fünfte Amtseinführung steht an. Doch die Macht des Autokraten scheint nicht mehr unumstößlich, erklärt ein Experte bei IPPEN.MEDIA.
Geschichte wiederholt sich – bei oberflächlicher Betrachtung. Am Dienstag (7. Mai) wird Wladimir Putin in Moskau zum fünften Mal ins Amt des russischen Präsidenten „eingeführt“ werden. Die Bilder, vielleicht auch Teile der Worte, werden sich ähneln: Wie zuletzt 2019 wird der Autokrat eine große Rede in der prunkvollen Kulisse des Kreml halten.
Doch ist Putin auch in den kommenden fünf Jahren unantastbar? Experten bezweifeln das. Gerade wegen des Kriegs in der Ukraine und dessen Folgen. „Das Putin-Regime befindet sich gegenwärtig in einer tiefen Krise“, sagt der Politikwissenschaftler Felix Jaitner IPPEN.MEDIA. Mit der mutmaßlich manipulierten Russland-Wahl habe sich die Elite „Zeit erkauft“ – doch tatsächlich beginne eine „Übergangsphase“. Und mit dieser Einschätzung steht Jaitner nicht alleine da.
Putins fünfte Amtszeit: Wagner-Putsch eine Vorahnung auf künftige Auseinandersetzungen?
Klar sei, meint der Experte: Gegenwärtig gebe es keine oppositionelle Kraft, die wirkungsvoll gegen Putins Regime vorgehen könne. Die entscheidende Frage laute, ob es „Brüche in der Elite“ gibt. Auch die Oligarchen stünden dabei weniger im Fokus: Einige hätten zwar ihr Vermögen im Westen verloren, „doch insgesamt hat die Reichtumskonzentration seit Kriegsbeginn sogar noch zugenommen.“ Da sei aber noch ein weiteres Problem, sagt Jaitner, der über Entwicklungskonflikte des russischen Machtblocks promovierte: „Das hohe Alter Putins und die ungelöste Nachfolge.“ Putin wird im Oktober 72 Jahre alt.
Wladimir Putin bei einer Amtseinführung – der von Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin im September 2023.
„Angesichts der drängenden Krisen und der internen Machtkämpfe um die künftige Ausrichtung des Landes ist es keineswegs gesichert, dass diese Strategie aufgeht“, sagt der Politologe mit Blick auf das Zeitspiel im Kreml. „Der Putschversuch der paramilitärischen Wagner-Gruppe im Juni 2023 ist zwar heute fast wieder vergessen, er lässt aber erahnen, wie heftig die
Auseinandersetzungen um den künftigen Kurs des Landes eskalieren könnten.“
Drei Krisenherde für Putin: Was sagt der Kremlchef bei seiner fünfte Amtseinführung?
Konkret sieht Jaitner zwei bis drei Krisenherde für Putins fünfte Amtszeit. Einerseits die „sich verschärfende Konfrontation mit dem Westen“, die angesichts mangelnder Friedensoptionen im Ukraine-Krieg auch die kommenden Jahre bestimmen werde. Dazu im Inneren die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Rohstoffsektor – und die prekäre soziale Lage vieler Menschen in Russland; laut Jaitner eine „große Herausforderung“.
Schon im Wahlkampf habe Putin angekündigt, den Schwerpunkt auf diese Themen zu legen. Und bereits im Sommer 2022 habe der Kreml den wirtschaftspolitischen Kurs geändert. Nun fördere der staatliche Rüstungsgüterkauf die ökonomische Entwicklung – auch abseits der Metropolen Moskau und St. Petersburg. Allerdings tatsächlich weitgehend nur im Rüstungssektor. Mittlerweile stiegen mit der großen Nachfrage nach Arbeitskräften die Reallöhne teils sogar, wie Jaitner erklärt. Doch die Situation bleibt wohl prekär: Teile der Gesellschaft profitierten. Bei anderen wachse das Einkommen nicht mit den steigenden Preisen mit.
Putin unter Druck: „Jeden Moment könnte alles aus den Fugen geraten“
Zugleich muss Putin eine wichtige Klientel zufriedenstellen: Er habe in den vergangenen Jahren seinen machtpolitischen Kurs geändert, sagt Jaitner. „Putins Fähigkeit bestand – gerade in seinen frühen Amtsperioden – darin, zwischen den konkurrierenden Fraktionen in der Elite zu vermitteln und aus diesen widersprüchlichen Interessen eine gemeinsame Politik zu formen.“ Seit den Massenprotesten bei der Wahl 2012 stütze sich der Kremlchef zunehmend auf „sogenannte national-konservative Kräfte“.
Mit dem Angriff auf die Ukraine haben deren Einfluss sogar noch zugenommen. Sie verbänden „eine repressive, großrussische Agenda mit der Stärkung der einheimischen Industrie, um die Abhängigkeit vom Rohstoffsektor zu reduzieren“, erläutert der Experte.
Doch die besagte Abhängigkeit besteht bislang fort. Ebenso wie die Ungleichheiten im Land. Und die großrussischen Ambitionen ließen sich jedenfalls im Ukraine-Krieg lange nicht so einfach durchsetzen, wie zunächst vom Kreml erwartet.
„Jeden Moment“ könne „alles aus den Fugen geraten“, sagt auch der Politikwissenschaftler Maxim Samorukow vom US-Thinktank Carnegie. Putins Problem sei dabei nicht die zersplitterte und ihrer Galionsfigur Alexej Nawalny gewaltsam beraubte Opposition. Sondern der innere Kreis um den Präsidenten. Putin lebe schon „seit vielen Jahren in einem engen Kreis unterwürfiger Höflinge, die seine Vorurteile, Ressentiments und Wahnvorstellungen nur füttern“. Da könnten falsche Entscheidungen irgendwann selbstmörderisch werden. (fn)