Militäroperation in Rafah: Wie Israel die Hamas zum Einlenken beim Geiseldeal bringen will
Nachdem eine Einigung für eine Feuerpause am Montag gescheitert war, rückte Israel am Dienstag auf Teile der Stadt Rafah vor. Was das für einen Geiseldeal bedeuten kann, erklären Experten.
Israel möchte die Hamas mit der Militäroperation in Rafah zu einem Einlenken im Geiseldeal bewegen.
Ist das der Anfang vom Ende eines Geiseldeals – oder sind es Verhandlungen mit militärischem Druck? Am Dienstagmorgen meldete das israelische Militär, dass es in die Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen vorgerückt sei. Der dortige Grenzübergang zu Ägypten stehe jetzt unter der Kontrolle der israelischen Streitkräfte.
Zudem seien gezielte Schläge gegen die islamistischen Kämpfer geführt worden. Man wolle „die terroristische Infrastruktur der Hamas in bestimmten Gebieten im Osten Rafahs zerstören“, teilte Israels Armee mit. Der Osten der Stadt gilt als letzte Bastion der Terroristen im Gazastreifen.
Bereits am Montag hatte das israelische Militär in einer Zone, in der sich etwa 100.000 Menschen aufhielten, durch Telefonanrufe, SMS und Flyer dazu aufgefordert, die Stadt zu verlassen. Dabei sollten sich die Menschen nach Al Mawasi an der Küste im Gazastreifen in der Nähe der Stadt Chan Junis bewegen, wo die IDF nach eigenen Angaben Feldlazarette, Zelte, Wasser, Lebensmittel und medizinische Hilfsgüter bereitgestellt habe.
Das Ziel der Operation scheint klar zu sein: Druck auf die Hamas in Sachen Geiseldeal auszuüben. Noch immer sollen sich mehr als 100 Israelis in den Händen der Terroristen befinden, seit Monaten gibt es Gespräche, um diese freizubekommen.
Dabei dürfte es vor allem um den Austausch der Geiseln gegen palästinensische Gefangene in israelischen Gefängnissen gehen. Die Hamas stellt sich nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters dabei einen Deal in drei Phasen vor. Dabei fordern die Islamisten in den ersten beiden Phasen vor allem eine längerfristige Waffenruhe und den Austausch von Geiseln gegen palästinensische Gefangene sowie einen Abzug der israelischen Streitkräfte aus Gaza.
In einer dritten Phase soll der Wiederaufbau des Küstenstreifens unter Aufsicht von Katar, Ägypten sowie den Vereinten Nationen beginnen und die Blockade Gazas aufgehoben werden. Israel aber will keinen Deal akzeptieren, in dem eine dauerhafte Waffenruhe festgehalten ist – um jegliche Gefahr aus Gaza zu vermeiden.
Derzeit sollen noch etwa 100 Geiseln von der Hamas gefangen gehalten werden. Ob davon noch alle am Leben sind, ist ungewiss.
Am Montagabend sah es zunächst so aus, als ob die Verhandlungen über die Freilassung der Verschleppten und eine Pause der Kampfhandlungen zu einem Ergebnis kommen. Der Chef des Politbüros der Hamas, Ismail Haniyeh, verkündete, dass man den Vorschlag der Vermittler Ägypten und Katar annehme. Dann jedoch die Wende: Israels Premierminister Benjamin Netanjahu sah die Forderungen des jüdischen Staates nicht erfüllt.
Auf ihre Art und Weise ist die Operation in Rafah mit dem Geiseldeal verbunden und nicht von ihm getrennt
Miri Eisin, Geschäftsführende Direktorin des Internationalen Instituts für Terrorismusbekämpfung an der Reichman Universität in Herzliya.
Am frühen Dienstag dann rückte das Militär in einen Teil Rafahs vor. Von offizieller Seite wurde zunächst betont, dass es sich nicht um eine großangelegte Offensive handele. Es sei eine „begrenzte Operation“, die durchgeführt werde, „um die Hamas unter Druck zu setzen, ein Abkommen zu akzeptieren“, sagte ein israelischer Beamter der Tageszeitung „Times of Israel“.
Miri Eisin, geschäftsführende Direktorin des Internationalen Instituts für Terrorismusbekämpfung an der Reichman-Universität in Herzliya, sieht in dem Einsatz und der Besetzung der Kontrollposten beim Grenzübergang zu Ägypten ein Mittel, um die israelischen Geiseln nicht zu verlieren.
„Das Ziel der Operation an der Grenze zu Ägypten ist es, die Möglichkeit auszuschalten, dass die Hamas die Geiseln aus dem Gazastreifen über Ägypten irgendwo anders hinbringen kann“, sagt Eisin dem Tagesspiegel. „Auf ihre Art und Weise ist die Operation deshalb mit dem Geiseldeal verbunden und nicht von ihm getrennt.“
Die Besetzung des Grenzübergangs bei Rafah ist strategisch wichtig, sagt Kobi Michael, Forschungsleiter am Institut für Nationale Sicherheitsstudien (INSS) in Tel Aviv und am Misgav-Institut in Jerusalem. „Israel ist es gelungen, die Hamas von Ägypten abzutrennen. Das symbolisiert viel – für die Hamas, für die Bevölkerung von Rafah und die gesamte Bevölkerung des Gaza-Streifens.“ Aus Sicht der Hamas sei das Gebiet an der Grenze von enormer Bedeutung.
Dabei gehe es auch um die Kontrolle des sogenannten Philadelphi-Korridors, ein etwa 14 Kilometer langer Streifen, der sich auf palästinensischer Seite auf der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten erstreckt. Dieser war 1979 beim Abschluss des Friedensvertrages zwischen Israel und Ägypten als Pufferzone eingerichtet worden.
Unter dieser Grenze sollen sich aber kilometerlange Tunnel der Hamas befinden, durch die Waffen und Versorgungsmittel geschmuggelt würden.
„Israel will damit Fortschritte erzielen, was die künftige Kontrolle über den Philadelphi-Korridor und vor allem die Infrastruktur der unter diesem Korridor verlaufenden Tunnel betrifft. Dies ist aus militärischer Sicht viel entscheidender als die verbleibenden vier Bataillone der Hamas in Rafah“, sagt Kobi Michael.
Eine Einigung über einen Geiseldeal dürfte noch in weiter Ferne liegen. Am Dienstag erklärte die Hamas, Israels Vorgehen in Rafah sei eine Fortsetzung der Politik des Aushungerns und der Verfolgung der Palästinenser.