Maneo-Report 2023: Gewalt gegen queere Menschen steigt in Berlin
Im Jahr 2023 wurden so viele Übergriffe gegen queere Menschen in Berlin gemeldet wie nie zuvor.
Alljährlich wertet das Schwule-Anti-Gewalt-Projekt Maneo homophobe Gewalttagen in Berlin aus. An diesem Mittwoch wurde der Report für das Jahr 2023 veröffentlicht, in dem Gewalttaten gegenüber der queeren Community festgehalten und analysiert werden. Seit 34 Jahren gibt es die Fachstelle, die sich vor allem mit homophoben Übergriffen und Gewalttaten auseinandersetzt.
Sie wollen Betroffene vor Diskriminierung schützen – die Notwendigkeit zeigt sich auch in einem Beispiel, das Bastian Finke, Leiter der Fachstelle, anführt. „Ich habe persönlich nichts gegen euch Mitarbeiter, aber alle Schwulen gehören vergast.“ Mit diesen Worten sei ein Mitarbeiter von Bastian Finke schon vor der Tür ihres Büros in Empfang genommen worden. Mit solchen Fällen sehen sich seine Mitarbeiter immer häufiger konfrontiert, sie werden von Jahr zu Jahr mehr.
685 neue Fälle von LGBTQIA+-feindlichen Angriffen wurden Maneo im Jahr 2023 gemeldet – über 100 Fälle mehr als im Vorjahr. Sie erhalten Meldungen direkt von den Geschädigten oder von Zeugen und Angehörigen der Betroffenen. Sie arbeiten auch proaktiv an Orten, an denen sich Personen der Szene aufhalten. Es werden nicht nur Fälle gegen Einzelpersonen dokumentiert, sondern auch Angriffe gegen Einrichtungen, wie das Schwule Museum.
„Wir sind über das Ausmaß der Gewalt beunruhigt, weil Übergriffe teils langanhaltende Spuren und Verletzungen bei Betroffenen hinterlassen“, sagt Bastian Finke. 2023 haben sich so viele Personen, wie nie zuvor an die Organisation gewandt. Insgesamt 892 Personen wurden im vergangenen Jahr beraten. Davon wurden 685 Fälle als homophobe oder queerfeindliche Gewalt eingestuft, 373 wurden statistisch ausgewertet und sind Teil des Reports. Im Vergleich dazu hat die Polizei für das vergangene Jahr von 691 Fällen von LGBTQIA+-feindlichen Übergriffen berichtet.
Dass die Zahlen ungefähr deckungsgleich sind, ist sehr überraschend, denn seit 2020 dürfen Maneo und die Berliner Polizei nicht mehr direkt zusammenarbeiten. 20 Jahre haben sie mit der Polizei anonymisierte Eckdaten verglichen und ausgetauscht – 2020 hat die Generalstaatsanwaltschaft von Berlin eine Austauschsperre verhängt.
Der Vorschlag einer bundesweiten statistischen Erhebung sei auf der Bundesinnenministerkonferenz zur Kenntnis genommen worden, aber nicht weiterverfolgt worden. „Berlin ist hier für Deutschland ein Leuchtturm. Dass es in den übrigen Bundesländern an einem rechtspolitischen Willen fehle, ist darauf zurückzuführen, dass hier Erkenntnisse ignoriert werden“, so Finke.
In dem Report werden nicht nur Übergriffe statistisch abgebildet, es werden auch konkrete Fallbeispiele genannt. Über eine Dating-Plattform hat sich beispielsweise ein 28-jähriger homosexueller Mann verabredet und wurde in einen Hinterhalt gelockt. Auf ihn wartete nicht nur ein Mann, sondern gleich zwei, die ihn mit einem Messer bedrohten und anschließend verletzten. Laut Bastian Finke ist dies kein Einzelfall, es passiere immer häufiger, dass Homosexuelle, die Treffen auf Dating-Portalen ausmachen, Übergriffen ausgesetzt seien.
41 Prozent der Betroffenen möchten keine Anzeige erstatten. Sie wollen keine Probleme bekommen und sich dem langwierigen bürokratischen Aufwand entziehen. Deswegen werden nicht nur zur Anzeige gebrachte Fälle ausgewertet, sondern eben auch die, die sich melden und Hilfe ersuchen. Der Jahresreport zeigt auch, in welchen Bezirken die Übergriffe am häufigsten vorkommen – dabei ist Schöneberg weit abgeschlagen auf Platz 1. Von den 373 ausgewerteten Fällen wurden 88 in Schöneberg registriert. Auf Rang zwei liegt Berlin-Mitte mit 38 Fällen.
Der am Mittwoch erschienene Maneo-Report, soll über diese Gewalt aufklären und gleichzeitig Menschen ermutigen auf die Organisation zuzukommen. Gefördert wird das gesamte Projekt von der Berliner Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Vielfalt und Antidiskriminierung. Am kommenden Freitag, dem 10. Mai findet der internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie statt.