Krieg in der Ukraine: Angriff auf die Krim-Brücke: Hoher Propaganda-Wert, aber nicht mehr kriegsentscheidend
Krim-Brücke nach einem Anschlag mit einem Lkw.
Satelliten Aufnahmen zeigen die leere Krim-Brücke: Putin schickt den militärischen Bedarf seit Wochen nicht mehr über diese Route. Die Russen haben auf dem Festland eine Eisenbahnlinie gebaut, um so ihre Truppen zu versorgen.
In der Diskussion um den Taurus wird immer wieder die Krim-Brücke genannt, als würde der Verlust von Putins Bauwerk den Kriegsverlauf entscheidend verändern können. Immer wieder war zu hören, dass die Versorgung der militärischen Stützpunkte auf der Krim und die der russischen Invasionstruppen auf dem ukrainischen Festland zu großen Teilen auf dem Eisenbahnverkehr der Brücke beruht.
Leergefegte Krim-Brücke
Neueste Analysen von Satellitenaufnahmen, die dem britischen “Independent” vorliegen, zeigen, dass das offenbar eine Fehlannahme war. Seit Wochen werden kaum noch militärische Güter über die Brücke, das fanden die Spezialisten von Mofar – einer privaten OSINT-Recherchegruppe – heraus. In den vergangenen drei Monaten fuhr nur ein einziger Zug mit 55 Treibstoffwagons über das Bauwerk. Nachdem die Brücke am 17. Juli 2023 von der Ukraine mit Wasserdrohnen angegriffen und dabei beschädigt wurde, ging der militärische Verkehr drastisch zurück. Im August versuchte Kiew erneut, die Brücke anzugreifen, doch die eingesetzten Missiles wurden abgefangen.
Vor dem 17. Juli überquerten jeden Tag mehr als 40 Züge mit militärischen Gütern die Bücke. Inzwischen ist der Verkehr auf vier Personenzüge und einen einzigen nicht-militärischen Güterzug pro Tag geschrumpft. Die Ursache dafür liegt in einer Umschichtung der russischen Logistik und vermutlich nicht in der Beschädigung der Brücke. Sollte sie der Belastung von Güterzügen nicht mehr standhalten, dürften diese sie gar nicht mehr benutzen.
Festland-Eisenbahn ersetzt Krim-Brücke
Die Versorgung der Truppen auf dem Festland erfolgt inzwischen über den Eisenbahnknotenpunkt bei Rostow. Den Russen ist es zudem gelungen, eine Eisenbahnstrecke zu bauen, die Russland, den Donbass und die weiter südlich gelegenen besetzten Gebiete verbindet. Dazu wurden 63 Kilometer neue Gleisanlagen gebaut und 140 Kilometer des alten Schienennetzes restauriert und ertüchtigt. Eine erste Probefahrt wurde im März unternommen, zum Sommer soll die Strecke voll einsatzfähig sein.
Was lernt man daraus? “Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben”. Dieses Zitat wird Michail Gorbatschow zugeschrieben, tatsächlich stammt es von dem Diplomaten Gennadi Gerassimow. Während der Westen zögerte und beriet, hat sich der Kreml mit dem Bau der Eisenbahnstrecke von der Brücke unabhängig gemacht. Vermutlich wurde die Bedeutung der Brücke immer übertrieben, denn Moskau konnte die Krim auch vor dem Bau der Brücke versorgen. So wie auch jetzt die Versorgungsgüter für die militärischen Einrichtungen auf der Krim mit Schiffen und Flugzeugen auf die Halbinsel gelangen.
Die Mofar-Gruppe befürchtet, dass Kiew die knappen Ressourcen an präzisen Fernwaffen, die die russische Verteidigung überwinden können, für einen PR-Stunt geopfert hat, anstatt die wirklichen Lebensadern des russischen Nachschubs zu zerstören. Das Eisenbahnnetz auf dem Festland ist allerdings kein so verlockendes Ziel wie die gewaltige Brücke. Auch die Brücke ließe sich nicht mit einem einzigen Marschflugkörper zerstören, da waren sich auch die deutschen Offiziere bei ihrem Taurus-Planspiel einig. Aber ein Dutzend geeigneter Waffen könnte das Bauwerk rettungslos schädigen.
Auf dem Land sieht das leider anders aus. Auch ein präziser Treffer hat eine begrenzte Wirkung. Der Gefechtskopf einer Missile entspricht einer einzigen 500-Kilo-Bombe, damit kann man in Schienen, Gleisanlagen oder Stellwerken ein Loch schlagen, das sich aber anders als bei der Brücke alsbald reparieren ließe. Hier kann es nicht gelingen, mit nur einem einzigen Schlag die russische Logistik zu kappen. Fortwährende Angriffe könnten sie empfindlich stören, mehr ist nicht zu erwarten.
Eisenbahn-Hubs liegen in Russland
Dazu gibt es weitere Probleme: Der russische Angriffsschwerpunkt im Donbass wird ohnehin aus Russland ohne den Umweg über die Krim versorgt. Das gleiche gilt für eine mögliche russische Offensive im Raum von Sumi und Charkiw. Nur eine eigene ukrainische Offensive im Süden würde dort zu einem hohen russischen Verbrauch an Militärgütern führen. Um den Schienentransport in die Kriegsregion zu beeinträchtigen, müsste Kiew die zentralen Eisenbahnknotenpunkte auf russischem Gebiet angreifen und dürfte sich nicht auf die besetzten Territorien, in denen gewissermaßen nur ausgeladen wird, beschränken.
Fraglich ist dabei, ob die westlichen Unterstützer die nötigen Waffen für diese Angriffe dann zur Verfügung stellen. Russland gelingt es zunehmend, die westlichen Präzisionswaffen abzufangen und zu stören. Gleitbomben, Himars und Excalibur-Granaten haben dadurch viel von ihrer Wirksamkeit eingebüßt. Auch die britischen Storm Shadows sind betroffen. Das soll auch ein Grund sein, warum der Westen modernere Systeme zurückhält. Hier gibt es die Befürchtung, dass die Russen Wege finden könnten, auch diese Waffen zu stören, sobald sie im Einsatz sind. Die Verwendung durch Kiew könnte so das westliche Arsenal wertlos machen.
Quelle: Independent
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