Die Dominikanische Republik ist eine Erfolgsgeschichte. Sie hebt sich markant vom chaotischen Nachbarn Haiti ab
Eine 391 Kilometer lange Grenze durch die Karibikinsel Hispaniola trennt die Dominikanische Republik und Haiti. Und damit zwei Welten. Während das im Westen gelegene Haiti als «failed state» gilt und derzeit von kriminellen Gangs überrannt wird, glänzt die Dominikanische Republik mit politischer Stabilität und hohen Wachstumsraten. Die Corona-Pandemie, die den Tourismussektor lahmlegte und die Wirtschaft 2020 um 7 Prozent schrumpfen liess, konnte ihren Aufstieg nur kurz aufhalten.
Laut dem Internationalen Währungsfonds (IMF) hatte die Dominikanische Republik über die vergangenen fünfzig Jahre mit durchschnittlich 4,9 Prozent das höchste Wachstum ganz Lateinamerikas. Obwohl sie nur die dreizehntgrösste Bevölkerungszahl Lateinamerikas hat, besitzt sie die siebtgrösste Volkswirtschaft der Region. Laut dem IMF schliesst kein anderes Land Lateinamerikas die Lücke beim Pro-Kopf-Einkommen im Vergleich zu den USA derart rasch.
Und so glänzt der 2020 angetretene Präsident Luis Abinader mit Zustimmungsraten von 70 Prozent, die ihn zum zweitbeliebtesten Regierungschef Lateinamerikas nach El Salvadors Präsident Nayib Bukele machen. Abinaders Formel lautet: «Wirtschaftsfreundlich sein, aber gepaart mit starken Sozialprogrammen und Transparenz.» Umfragen zu der am 19. Mai stattfindenden Präsidentenwahl sehen ihn mehr als 40 Prozent vor der Konkurrenz.
Währenddessen ist Haiti weiterhin führungslos. Seit 2016 wurden keine Wahlen mehr abgehalten, Präsident Jovenel Moïse wurde 2021 ermordet. Der Interimspräsident Ariel Henry hat vor einigen Tagen erklärt, die Macht an einen neunköpfigen Präsidialrat abgeben zu wollen, sobald dieser konstituiert sei.
Haitianer werden am 21. März von einer Schiesserei in der Nähe des Nationalpalastes überrascht. Demgegenüber geniessen ;die Dominikaner Ruhe und Sicherheit. Ralph Tedy Erol / Reuters
Über Jahrhunderte das karibische Armenhaus
In der Kolonialzeit war das spanische Santo Domingo, wie der Ostteil der Insel Hispaniola damals hiess, deutlich ärmer als Frankreichs reichste Kolonie Saint-Domingue, das heutige Haiti. Nach der Unabhängigkeit wurden beide Länder durch politisches Chaos und bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen geplagt, die jeweils zu amerikanischen Interventionen führten. Bis in die 1960er Jahre hinein waren beide Länder etwa gleich arm.
Die Dominikanische Republik war damals ein Agrarland, das Bananen, Kakao, Kaffee und Zuckerrohr exportierte. Sinkende Zuckerpreise liessen Farmer ab den 1970er Jahren auf lukrativere Produkte wie Avocados umstellen. Während der Agrarsektor in letzter Zeit an Bedeutung verlor, wurde der Tourismus ab den 1980er Jahren zum Wirtschaftsmotor. Er gibt auch Impulse für den Ausbau der Infrastruktur und das Wachsen der Baubranche.
Im Jahr 2019, dem letzten vor der Corona-Pandemie, kamen 6,5 Millionen Touristen. Nach pandemiebedingter Schliessung im Frühjahr 2020 öffneten die Flughäfen in der zweiten Jahreshälfte wieder. Seitdem wächst die Branche rasant. Nach knapp 8 Millionen Touristen im Jahr 2022 waren es 2023 bereits 10,3 Millionen, die rund 11 Milliarden Dollar an Devisen brachten.
Freihandelszonen haben das Wachstum gefördert. Seit der Gründung der ersten 1969 wächst auch die Industrie. Mittlerweile sind 770 Unternehmen in 84 Zonen angesiedelt, viele davon aus den USA und Kanada. Knapp 300 000 direkte und indirekte Arbeitsplätze wurden so geschaffen. Wichtigste Erzeugnisse sind für Nordamerika bestimmte Medizintechnikprodukte, vor Tabakwaren, Elektro- und Elektronikprodukten, Kleidung sowie Metall- und Plastikteilen. Die Freihandelszonen waren 2023 mit Exporten im Wert von über 8 Milliarden Dollar für rund 70 Prozent aller dominikanischen Exporte verantwortlich.
Wichtigster Handelspartner sind die USA, welche die Dominikanische Republik mit der 1984 gestarteten Caribbean Basin Initiative an sich banden. Ab 2004 wurden die Zölle zwischen den USA und dem Karibikstaat weiter reduziert. Die rund 1,5 Millionen in den USA lebenden Dominikaner haben zudem 2023 über 10 Milliarden Dollar an Rimessen in ihre Heimat überwiesen.
Gleiche Insel, unterschiedliche Schicksale
Das ab den neunziger Jahren rasante Wachstum der Dominikanischen Republik hat Haiti weit zurückgelassen. Die dominikanische Wirtschaftsleistung beträgt heute mehr als das Sechsfache der haitianischen, bei etwa gleicher Bevölkerungszahl von jeweils elf Millionen Einwohnern. Lag das Pro-Kopf-Einkommen Haitis jüngst bei 1700 Dollar, beträgt es in der Dominikanischen Republik 11 700 Dollar. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Dominikaner ist zehn Jahre höher.
Das unterschiedliche Wachstum hat auch historische Gründe. Die koloniale Plantagenwirtschaft und die Überbevölkerung haben Haitis Natur zugesetzt. Nur noch rund 12 Prozent des Territoriums ist bewaldet, gegenüber 45 Prozent in der Dominikanischen Republik. Zudem fliessen die wichtigsten Flüsse aus dem Zentralgebirge nach Osten, weshalb die Dominikaner über fruchtbarere Böden verfügen und Haiti unter Trockenheit leidet. Haiti ist zudem anfälliger für Erdbeben und Tropenstürme.
Auch kulturelle Differenzen spielen eine Rolle. So verstehen sich die Dominikaner als spanisch-katholische Kultur, während sie die Französisch und Créole sprechenden und meist dunkelhäutigeren Haitianer als von Voodoo-Hexerei geprägte Afrikaner ansehen.
Dass Haiti im 19. Jahrhundert lange den Ostteil besetzt hielt, trägt bis heute ebenfalls zu Ressentiments bei, die in Diskriminierung und Rassismus gegenüber den Haitianern umschlagen können. Der grausame Höhepunkt war das Massaker an Tausenden von haitianischen Migranten 1937 auf Geheiss des dominikanischen Diktators Rafael Leónidas Trujillo. Im Jahr 2010 verloren Hunderttausende in der Dominikanischen Republik geborene haitianische Migrantenkinder durch eine Verfassungsänderung ihren Anspruch auf einen dominikanischen Pass. Derzeit leben rund eine Million Haitianer im Nachbarland, davon rund die Hälfte illegal. Sie arbeiten zu Dumpinglöhnen in der Landwirtschaft und auf dem Bau und tragen so zum wachsenden Wohlstand der Dominikaner bei.
Präsident Abinader fährt trotzdem einen harten Kurs gegenüber den Nachbarn. Er liess Grenzbefestigungen bauen, um die illegale Migration zu stoppen. Zudem liess er Zehntausende illegal anwesender Haitianer deportieren. Als aufgrund der jüngsten Gewaltwelle in Haiti der Flughafen von Port-au-Prince schliessen musste und Haitis Interimspräsident Henry dort nicht landen konnte, verweigerte Abinader ihm die Landeerlaubnis für Santo Domingo und erklärte ihn zur unerwünschten Person. Die Krise in Haiti stelle eine direkte Bedrohung der Stabilität und Sicherheit der Dominikanischen Republik dar, so Abinader.
Dominikanische ;Soldaten bewachen einen Grenzübergang nach Haiti. Fran Afonso / Reuters