Im Gesundheitswesen werden jährlich Milliarden verschwendet – was die Kostenbremse-Initiative daran ändern würde, bleibt offen

im gesundheitswesen werden jährlich milliarden verschwendet – was die kostenbremse-initiative daran ändern würde, bleibt offen

Die Abgrenzung zwischen nötigen und unnötigen Operationen ist oft schwierig. Oliver Berg / DPA

Der Patient litt an einer Schultersteife. Die Sache war schmerzhaft. Der Hausarzt schickte den Patienten zum Spezialisten. Letzterer empfahl eine Operation der Schulter. Doch der Patient wollte eine konservative Behandlung. Daraufhin verschrieb ihm der Hausarzt neun Besuche beim Physiotherapeuten – ein Neuner-Paket darum, weil die Krankenkassen bei Physiotherapien oft neun Besuche ohne grosse Fragen bezahlen. Der Patient ging in die Physiotherapie, doch nur zwei- oder dreimal. Dann beschloss er, dass er die nötigen Übungen auch daheim machen könne. Die Übungen wirkten allem Anschein nach: Die Schulterprobleme verschwanden.

So hat es der Patient erzählt. Die Moral seiner Geschichte: Ohne sein kostenbewusstes Verhalten hätte es eine teure unnötige Operation und diverse unnötige Besuche beim Physiotherapeuten gegeben. Der Betroffene ist der Obwaldner Mitte-Ständerat Erich Ettlin. Er sitzt im Komitee der Volksinitiative für eine Kostenbremse im Gesundheitswesen.

Laut dem Initiativtext muss der Bund in Zusammenarbeit mit anderen Akteuren wirksame Gegenmassnahmen ergreifen, wenn die Kosten in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) prozentual deutlich stärker wachsen als die Löhne oder die Gesamtwirtschaft. Ab welchem Schwellenwert einzugreifen wäre und welche Massnahmen mit welcher Wirkung nötig wären, lässt der Initiativtext offen; einen Schwellenwert nennt nur die Übergangsbestimmung. Das Parlament könnte diese aber durch eigene Regeln aushebeln.

10 000 Franken pro Einwohner

Die Kernbotschaft der Initianten: Eine Bremsung des Kostenanstiegs im Gesundheitswesen sei ohne Qualitätseinbusse möglich, weil es viel Verschwendung gebe. Die Schweiz hat weltweit eines der teuersten Gesundheitswesen. Die Gesamtkosten für das Schweizer Gesundheitswesen beliefen sich 2022 auf knapp 92 Milliarden Franken – gut 10 000 Franken pro Einwohner. Davon entfielen netto etwa 33 Milliarden Franken auf die OKP.

Gemessen an den gesamten Gesundheitsausgaben pro Einwohner liegt die Schweiz laut Daten des Ländervereins OECD hinter den USA auf Platz 2. Aussagekräftiger sind allerdings die Ausgaben gemessen an der Gesamtwirtschaft, weil mit steigendem Wohlstand die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen typischerweise überproportional zunimmt. Hier liegt die Schweiz praktisch gleichauf mit drei anderen Ländern zwischen Rang 4 und 7 (vgl. Grafik).

Dass es eine gewisse Verschwendung im Schweizer Gesundheitswesen gebe, sagen viele Fachleute. Dafür sorgen die Fehlanreize bei zentralen Akteuren. Die Anbieter bestimmen die Nachfrage nach medizinischen Leistungen grossenteils selber, da es den Patienten meist an Fachwissen fehlt. Das Einholen von Zweitmeinungen durch Patienten und deren Rückgriff auf «Doktor Google» können das Problem vielleicht lindern, aber nicht restlos beseitigen. Für Ärzte, Spitäler und Therapeuten bedeuten Mehrleistungen zusätzlichen Umsatz und damit mehr Einkommen.

Abwälzung der Kosten

Die Patienten sind derweil längst nicht immer so kostenbewusst wie im eingangs erwähnten Beispiel: Denn sie können die Kosten von medizinischen Behandlungen meist grossenteils auf die Krankenkassen und damit auf die Gesamtheit der Versicherten und Steuerzahler abwälzen.

Auch als Stimmbürger haben die Patienten oft Fehlanreize. Bei Abstimmungen über ein Regionalspital vor der eigenen Haustüre oder über den nationalen Rechtsrahmen im Gesundheitswesen kann man einen Teil der Kosten auf andere abschieben, solange man als Steuer- und Prämienzahler nicht einen proportionalen Kostenanteil tragen muss. Mit einem starken Ausbau der staatlichen Prämiensubventionen, wie sie die SP-Prämieninitiative fordert, würden diese Fehlanreize noch vergrössert.

Die Kantone haben durch die Verknüpfung ihrer Rollen als Spitalbetreiber und Schiedsrichter bei Tarifverträgen Interessenkonflikte. Viele Fachleute sagen, dass die Schweiz mit deutlich weniger als den derzeit über 270 Spitälern auskommen könnte. Bisher hat der Mangel an Sparanreizen bei Kantonen, Spitälern, Stimmbürgern und Patienten eine stärkere überregionale und damit kostengünstigere Spitalplanung verhindert. Inwieweit sich dies mit der derzeitigen Welle von roten Zahlen bei Spitälern ändert, muss sich noch zeigen.

Zu den Fehlanreizen trägt auch die Diskrepanz in der Finanzierung zwischen ambulanten und stationären Leistungen bei: Ambulante Leistungen gehen voll zulasten der Krankenkassen, während bei stationären Leistungen die Kantone mindestens 55 Prozent übernehmen. Die Schweiz hat laut Fachleuten einen «überhöhten» Marktanteil von stationären Leistungen – die im Vergleich zur ambulanten Medizin teurer sind. Das Parlament hat 2023 eine einheitliche Finanzierung beschlossen. Das verspricht Einsparungen, doch wegen eines gewerkschaftlichen Referendums wird das Volk darüber befinden.

10 bis 20 Prozent Potenzial

Das Ausmass der Verschwendung im Sinne unnötiger Leistungen im Gesundheitswesen ist Gegenstand diverser Expertenschätzungen. 2017 hatte eine vom Bund eingesetzte Expertengruppe das Sparpotenzial mit Verweis auf frühere Berichte salopp auf rund 20 Prozent beziffert. Das entspräche etwa 18 bis 20 Milliarden Franken pro Jahr bei den gesamten Gesundheitskosten und etwa 7 bis 8 Milliarden Franken in der OKP.

Eine zentrale Basis der genannten Schätzung war eine Übersicht über den Forschungsstand von 2012 durch die Schweizerische Akademie der Wissenschaften. Jenes Papier schätzte die bezifferbaren grossen Verschwendungsposten auf etwa 6 bis 7 Milliarden Franken pro Jahr, was damals rund 10 Prozent der gesamten Gesundheitskosten entsprach. Hinzu kamen laut den Autoren noch weitere Posten, die aber schwer bezifferbar seien.

2019 schätzte eine vom Bund bestellte Studie des Beratungsbüros Infras und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften das Sparpotenzial bei den Leistungen für die OKP auf 16 bis 19 Prozent. In absoluten Zahlen entsprach dies für das Untersuchungsjahr 2016 einem Potenzial von 7 bis 8,4 Milliarden Franken. Die grössten Sparbrocken orteten die Autoren bei den stationären Spitalleistungen (gut 2 Milliarden Franken), den ambulanten Arztleistungen (rund 1,5 Milliarden), den verschreibungspflichtigen Medikamenten (0,9 bis 1,4 Milliarden) und den spitalambulanten Behandlungen (rund 1 Milliarde).

Diese Schätzungen sind als grobe Annäherungsversuche zu verstehen. Hier einige der genannten Kategorien mutmasslicher Verschwendungstreiber, wobei sich die einzelnen Elemente zum Teil überlappen können:

    eine Auswahl spezifischer unwirksamer Leistungen (geschätztes Sparpotenzial: 200 bis 500 Millionen Franken pro Jahr);

    Gesamtbetrachtung von Fehlanreizen zur Mengenausweitung bei den Ärzten (gut 2 Milliarden) und Patienten (knapp 2 Milliarden);

    Mängel in der Koordination der Versorgung mit Doppelspurigkeiten (700 Millionen bis 1,1 Milliarden);

    ineffiziente Produktion in Spitälern und Arztpraxen, etwa weil es zu viele kleine Anbieter gibt (Milliardenbetrag);

    übergrosser Marktanteil der stationären Behandlungen im Vergleich zu den günstigeren ambulanten Behandlungen (rund 600 Millionen);

    tiefere Preise via Referenzpreissystem bei den Generika (200 bis 500 Millionen);

    voller Ersatz von Originalpräparaten durch Generika (500 Millionen).

Unklare Auswirkungen

Sind Einsparungen bei unnötigen Leistungen möglich, ohne dass auch sinnvolle Leistungen beschnitten werden? Eine gesicherte Antwort gibt es nicht. Ein Erfolg der Kostenbremse-Initiative würde Spardruck ins System bringen, doch die Auswirkungen wären völlig offen. Bei Brachialgewalt mit einem fixen und sehr engen Kostendach wäre die Gefahr der Beschneidung sinnvoller Leistungen gross. Bei sehr lockerer Interpretation des Initiativtexts würde sich im Vergleich zum Gegenvorschlag des Parlaments vielleicht wenig bis nichts ändern.

Erfolgversprechend wären am ehesten Korrekturen bei den Fehlanreizen. Wünschbar wären zum Beispiel mehr Sparanreize für die Kantone mit ihrer zentralen Rolle bei der Spitalplanung und Tarifverhandlungen. Ein Element dazu wäre, die Prämienverbilligung voll statt bis jetzt nur etwa zur Hälfte den Kantonen zu überlassen. Die SP-Prämieninitiative zielt aber mit ihrer Forderung nach einem Bundesanteil von mindestens zwei Dritteln in die Gegenrichtung.

Eine wesentliche Rolle spielt auch die Kostensteuerung bei den Tarifverträgen für Ärzte und Spitäler. Ein Volks-Ja zur Kostenbremse-Initiative würde den Druck auf die Tarifverträge verstärken. Verbesserungspotenzial gibt es theoretisch auch bei Kosten-Nutzen-Vergleichen für Medikamente, doch die praktische Umsetzung ist haarig.

Vielversprechende Modelle

Wünschbar wäre eine stärkere Verbreitung von Versicherungsmodellen mit integrierter Versorgung etwa via Gruppenpraxen, die durch die Vermeidung von Doppelspurigkeiten und unnötigen Konsultationen Einsparungen ohne Qualitätseinbussen bringen können. Die Forschungsliteratur im Inland und Ausland liefert positive Rückmeldungen zu solchen Modellen. Allerdings ist die Bandbreite der geschätzten Spareffekte gross. Es kommt stark auf die Details an.

Laut Bundesstatistik waren 2022 beachtliche 77 Prozent aller Versicherten nicht mehr im Standardmodell versichert. Gemäss einer repräsentativen Umfrage des Vergleichsdiensts Comparis von 2023 war etwa die Hälfte in einer HMO (Gruppenpraxis) oder in einem Hausarztmodell versichert. Gemäss einer Branchenschätzung sind aber nur etwa 20 bis 30 Prozent der Versicherten in Modellen, die wenigstens eine bescheidene Budget-Mitverantwortung von Ärzten umfassen. Solche Modelle können vor allem dann spürbare Einsparungen bringen, wenn teure Kunden wie etwa Chronischkranke zu den Versicherten zählen. Branchenangaben lassen mutmassen, dass Chronischkranke in solchen Modellen erst unterproportional vertreten sind.

Eine denkbare Option wäre die Beschränkung der Prämienverbilligung auf Versicherte in alternativen Modellen mit belegbaren Sparwirkungen. Krankenkassenvertreter zweifeln aber, ob mit einem solchen Zwang die «richtigen» Versicherten in diesen Modellen erfasst wären. Eine sanftere Variante wäre die Berechnung der Prämienverbilligung auf Basis der (günstigeren) Prämien solcher Modelle. Denkbar wäre auch eine Erhöhung der Minimalfranchise im Standardmodell, wodurch Alternativmodelle mit tieferer Kostenbeteiligung der Versicherten für Chronischkranke attraktiver werden.

Wunder wird es kaum geben. Die Diskussionen um den Kostenanstieg im Gesundheitswesen drehen sich zum Teil seit Jahrzehnten im Kreis – vor allem weil niemand schlechtergestellt werden will und Zielkonflikte oft kaum zu vermeiden sind. Das wird weiterhin gelten. Ob mit oder ohne offizielle Kostenbremse.

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