Hongqi statt Mercedes? Wo Russen auf Chinesen warten, um Deutsche zu ersetzen

2019 feierte man noch die Eröffnung des Mercedes-Benz Werks im Industriepark Jessipowo bei Moskau.

Am vergangenen Dienstag saß der russische Präsident Wladimir Putin im Kreml dem chinesischen Staats- und Parteichef Xi Jinping gegenüber und lud das „Business“ aus dem Land des Gastes ein, westliche Unternehmen, die Russland verlassen haben, zu „ersetzen“, so die Automobilhersteller. Der Rückzug westlicher Produzenten aus Russland im Ukrainekrieg hat ohnehin dazu geführt, dass chinesische Hersteller mittlerweile 36 Prozent des russischen Automarkts abdecken, dreieinhalbmal so viel wie vor einem Jahr. Allerdings bewirkt die geschwundene Konkurrenz, dass kein chinesisches Modell für weniger als 2 Millionen Rubel (24.300 Euro) verkauft werde, berichten Marktanalysten; in Russland ist das viel Geld. Eine eigene Fertigung in Russland unterhält bisher nur der chinesische Hersteller Haval. Doch dem von Putin ausgegebenen Ziel soll bald auch das vom deutschen Daimler-Konzern gebaute Mercedes-Werk im Industriepark Jessipowo 40 Kilometer nordwestlich von Moskau dienen. Es ist eines der modernsten Autowerke in Russland. Sein Schicksal veranschaulicht den Wandel im deutsch-russischen Miteinander. Erst vor vier Jahren wurde das Werk feierlich eröffnet. Von deutscher Seite waren unter anderen der damalige Daimler-Vorstandsvorsitzende Dieter Zetsche und der damalige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier gekommen. „Mercedes-Benz glaubt an Russland“, sagte Zetsche. Er und Altmaier schwärmten vom „großen Potential“ Russlands und von Exportchancen.

Dabei war schon damals die Hoffnung, Russland werde der größte Absatzmarkt für Personenwagen und leichte Nutzfahrzeuge in Europa, geschwunden. Zudem hielt das Land schon damals seit fünf Jahren die ukrainische Halbinsel Krim besetzt und führte den seinerzeit noch verdeckten Krieg im Donbass. Doch Berlin war bemüht, dem noch mehr Miteinander und wirtschaftliche Zusammenarbeit entgegenzusetzen, Putin einzubinden. Altmaier brachte den Ansatz in Jessipowo auf die Formel, man müsse anstreben, „Konflikte“ zu beenden, aber zugleich die Wirtschaftsbeziehungen „im Interesse der Menschen auf beiden Seiten“ entwickeln.

Beteiligung von den „Kollegen aus China” ist nicht ausgeschlossen

Zudem gratulierte er Russland zu einem „großen wirtschaftlichen Erfolg“. Das „Pilotprojekt“ in Jessipowo zeige, wie Russland sich noch erfolgreicher entwickeln könne. Auch Putin war bei der Eröffnung dabei, signierte die Motorhaube einer ersten vor Ort gefertigten Limousine der E-Klasse und pries in einer Ansprache die kurze Bauzeit des Werks von nur eineinhalb Jahren, die geplante Produktionszahl von 25.000 Autos im Jahr und die anvisierte Arbeiterzahl von fast 1000. Mercedes-Benz, so Putin, werde „gewiss nicht enttäuscht sein“ davon, wie man in Russland arbeite und Geschäfte mache. „Wir werden dafür alles tun, wir werden unseren Partnern helfen“, versprach Putin.

Der deutsche Konzern schätzte seine Vermögenswerte in Russland Ende 2021 auf 2 Milliarden Euro. Über den Preis, den der Autohändler Avtodom dann im vergangenen Herbst unter anderem für das Mercedes-Werk in Jessipowo bezahlte, wurde Stillschweigen vereinbart. Russische Marktanalysten verwiesen indes auf die Praxis westlicher Investoren, ihre Aktiva für einen symbolischen Rubel abzustoßen, um den russischen Markt rasch zu verlassen. Doch auch auf russischer Seite verläuft der Wechsel nicht glatt. Schon im Herbst berichteten russische Medien, in dem Werk in Jessipowo dürften künftig chinesische Autos gefertigt werden. Ende vorigen Jahres hieß es vonseiten Avtodoms dann, Mitte 2023 könne das Werk seine Arbeit wieder aufnehmen. Offen blieb, welcher Hersteller es werden könne.

Während Putin nun Xi zu Gast hatte, teilte Avtodom mit, eine chinesische Premiummarke solle es werden. Am Donnerstag berichtete die kremltreue Zeitung „Iswestija“ unter Berufung auf Quellen im Autohandel und bei einem chinesischen Hersteller, die Marke Hongqi könne es werden. Auch das wäre passend, zumal Xi Jinping in einer Limousine dieses Herstellers bei Putin vorgefahren ist. Doch spruchreif scheint der Einstieg noch nicht zu sein. Avtodom wollte die Information gegenüber der „Iswestija“ nicht kommentieren. Auch Russlands Industrieminister, Denis Manturow, wurde danach befragt. Er hatte 2019 auch schon dieses Amt inne und war bei der Eröffnung des Werks in Jessipowo unter anderen Vorzeichen dabei. Nun sagte Manturow, es gehe darum, eine „gemeinsame Produktion“ aufzubauen. Es sei „nicht ausgeschlossen“, dass daran in dem früheren Mercedes-Werk die „Kollegen aus China“ beteiligt würden. „Doch eine endgültige Entscheidung ist noch nicht getroffen.“