Grundgesetz für das Internet: Jetzt muss die EU zum Vorbild werden – und die Regeln konsequent durchsetzen
Die USA gehen wegen Spionagegefahr gegen das chinesische Tiktok vor. Europa dagegen will jetzt Online-Plattformen grundsätzlich zu mehr Verantwortung zwingen. Endlich.
Tiktok steht womöglich bald auch in der EU unter Druck.
Im Internet galten lange die Gesetze des Dschungels: Der Stärkere hatte das Sagen und agierte nach seinen eigenen Regeln. Staaten und Gesellschaft waren sichtlich überfordert von der Geschwindigkeit und der Radikalität, mit der sich diese Entwicklung vollzog.
So wurde die Zunahme von Hass und Hetze in den sozialen Medien zwar von allen Seiten laut beklagt, dagegen unternommen wurde allerdings wenig. Zu lange haben sich die Gesetzgeber auf die vollmundigen, aber leeren Versprechungen der Internet-Giganten verlassen, die Probleme selbst zu lösen.
Dann aber kam der Januar 2021. Die Welt verfolgte entsetzt, wie aus Worten plötzlich Taten wurden. Der von Ex-US-Präsident Donald Trump entfachte Sturm aufs Kapitol zeigte, wie gefährlich es werden kann, wenn sich Verschwörungserzählungen ungehindert im Netz ausbreiten. Die mächtigste Demokratie der Welt schien in ihrer Existenz gefährdet.
Rolle der Internet-Giganten wird stärker hinterfragt
Nicht nur für die USA war dies ein traumatisches Erlebnis. Endlich wurde die Rolle der bisher scheinbar unangreifbaren Internet-Giganten aus dem Silicon Valley hinterfragt. Sie stellen nicht nur die Plattformen bereit, auf denen sich der digitale Mob austoben kann. Die Whistleblowerin Frances Haugen machte zudem öffentlich, dass etwa Facebook zum Wohle des eigenen Profits Hass und Gewalt befördere.
Dennoch tun sich die USA schwer mit einer Gesetzgebung für das Internet. Zwar versucht Washington gerade, Tiktok wegen des Vorwurfs der Spionage in die Schranken zu weisen. Doch die amerikanischen Unternehmen bleiben bisher weitgehend verschont. Denn Regulierungen gelten im digitalen Raum vor allem als Bremse der Innovation, was dem amerikanischen Pioniergeist widersprechen würde.
Das Silicon Valley schaut beunruhigt nach Europa
Aus diesem Grund blickt die Internet-Welt im Moment gespannt auf Europa. Denn die EU hat sich aufgemacht, dem Treiben im digitalen Raum mit eigenen Gesetzen Grenzen zu setzen. Das sorgt nicht nur im Silicon Valley für einige Unruhe. Denn außenpolitisch ist die Union zwar ein oft belächeltes Fliegengewicht, aber wirtschaftlich ist Europa mit seinen 450 Millionen Einwohnern eine Weltmacht.
Verblüffend einfach: Was im realen Leben verboten ist, soll auch im Internet illegal sein.
Knut Krohn über den EU-Ansatz
Der EU-Ansatz klingt verblüffend einfach: Was im realen Leben verboten ist, soll auch im Internet illegal sein. Konkret heißt das, dass Brüssel die Online-Plattformen dazu zwingen will, endlich mehr Verantwortung dafür übernehmen, was in ihren Foren passiert.
Sie sollen unter anderem Falschinformationen und Gewaltdarstellungen schneller löschen und die Algorithmen hinter personalisierter Werbung offenlegen. Verstößt ein Unternehmen gegen die Regeln, drohen Milliardenstrafen.
Tiktok hat in Europa schon reagiert
Die entsprechenden Gesetze sind nach jahrelanger Arbeit inzwischen in Kraft und die EU-Kommission gibt sich sehr entschlossen, diese auch anzuwenden. Die Unternehmen gehen offenbar davon aus, dass es sich nicht um leere Drohungen handelt.
In diesen Tagen hat die Videoplattform Tiktok ein umstrittenes Belohnungssystem ausgesetzt, nachdem Brüssel aufgrund der neuen Gesetzeslage eine Blockade der Funktion in der EU angekündigt hatte. Hier geht es um Jugendschutz und Suchtprävention.
Auch gegen den Facebook-Mutterkonzern Meta läuft ein Verfahren wegen der Verbreitung von Falschinformationen zur Europawahl, unter anderem aus Russland.
Der EU ist es gelungen, eine Art Grundgesetz für das Internet zu formulieren. Der nächste Schritt muss sein, die Regeln konsequent durchzusetzen – auch mit Milliardenstrafen. Erst dann werden die Internet-Riesen verstehen, dass nicht mehr sie allein die Regeln des Internets bestimmen.