Grossbritanniens Rwanda-Pakt treibt vermehrt Migranten nach Irland – die Regierung in Dublin ist alarmiert
Die Landgrenze zwischen Irland und der britischen Provinz Nordirland war in den Brexit-Verhandlungen ein Politikum. Nun sollen Hunderte von Asylsuchenden über die Grenze nach Irland geflüchtet sein. Clodagh Kilcoyne / Reuters
Der Rwanda-Plan der britischen Regierung wirkt sich bereits auf das Verhalten von Migranten aus, bevor das erste Flugzeug nach Kigali gestartet ist. Die irische Regierung hat eine markante Zunahme von Asylsuchenden registriert, die über die offene britisch-irische Grenze nach Irland gelangt sind – offenbar in der Hoffnung, der drohenden Ausschaffung nach Rwanda zu entgehen.
Gemäss dem Plan der britischen Regierung sollen Asylsuchende, die seit 2022 irregulär von Frankreich über den Ärmelkanal nach England gelangt sind, in das ostafrikanische Land ausgeflogen werden. Nach der Zustimmung des britischen Parlaments vergangene Woche hofft die Regierung auf eine rasche Umsetzung.
Irland will Migranten zurückschicken
Die Zunahme der Migration hat in Dublin Hektik ausgelöst und zu diplomatischen Spannungen mit London geführt. Irland sei kein Schlupfloch, erklärte der neue irische Premierminister Simon Harris. Er werde nicht akzeptieren, dass die Migrationsprobleme anderer Länder die Asylpolitik Dublins hintertrieben.
Das Ausmass dieser Sekundärmigration ist unklar, da die Regierung in Dublin keine exakten Zahlen vorlegt. Gemäss der «Irish Times» stellten im laufenden Jahr nur gut 400 Personen ein Asylgesuch an den Grenzübergängen in den Häfen und Flughäfen. Direkt im Büro der Migrationsbehörde in der Dubliner Innenstadt seien dagegen rund 5000 Anträge eingegangen.
Aufgrund dieser Zahlen kam die irische Justizministerin zu dem Schluss, dass im laufenden Jahr rund 80 Prozent der Asylsuchenden über die offene Landgrenze aus der britischen Provinz Nordirland gekommen seien. Zwischen Irland und Grossbritannien herrscht bereits seit 1923 im Rahmen der Common Travel Area Personenfreizügigkeit und Niederlassungsfreiheit. Daran hat auch der Brexit nichts geändert.
Um der Migration Einhalt zu gebieten, will Irland die Asylsuchenden nach Grossbritannien zurückschicken. Allerdings hat der irische High Court im März alle Rückführungen ins Vereinigte Königreich unterbunden, da das Land wegen des Rwanda-Pakts nicht mehr als «sicherer Drittstaat» gelten könne. Das Abkommen hat Kritik von Menschenrechtsorganisationen hervorgerufen, und der britische Supreme Court hatte eine frühere Version des Plans im vergangenen Winter als völkerrechtswidrig zurückgewiesen.
Nun hat das irische Kabinett ein dringliches Gesetz verabschiedet, das Rückführungen nach Grossbritannien wieder ermöglichen soll. Der Regierungschef Harris erklärte, er erwarte, dass Grossbritannien seinen Verpflichtungen zur Rückübernahme von Migranten aus einem bilateralen Vertrag nachkomme, der im Zuge des Brexits abgeschlossen worden war.
Aus britischer Sicht aber handelt es sich dabei bloss um eine technische Vereinbarung ohne rechtliche Verbindlichkeit. Der britische Premierminister Rishi Sunak erklärte daher, er denke nicht daran, die Migranten aus Irland wieder ins Land zu lassen. Dies, zumal das EU-Land Frankreich sich ebenfalls weigere, über den Ärmelkanal nach England gelangte Asylsuchende zurückzunehmen. Laut Sunak zeigen die Klagen Irlands, dass sein Rwanda-Pakt bereits eine abschreckende Wirkung entfalte.
Ein Echo des Brexit-Streits
Die Aufregung hat auch politische Gründe. In Irland sind die hohen Migrations- und Flüchtlingszahlen in den letzten Monaten zu einem Reizthema geworden. Der erst seit wenigen Wochen amtierende Premierminister Harris will sich profilieren, um seine Mitte-rechts-Partei Fine Gael im Frühjahr 2025 vor einer Wahlniederlage zu bewahren. Der Eindruck, die alte Kolonialmacht Grossbritannien verschärfe die irischen Migrationsprobleme, scheint Harris willkommen zu sein.
Sunak hat derweil versprochen, der Migration über den Ärmelkanal Einhalt zu gebieten. Angesichts der katastrophalen Umfragewerte seiner Konservativen Partei braucht er mit Blick auf die bevorstehenden Lokalwahlen und auf die Unterhauswahl dringend Erfolge.
Der Zwist ist auch ein Echo des Brexit-Streits zwischen London und Dublin. Die irische Regierung hatte stets darauf gepocht, dass die Landgrenze zwischen Nordirland und der Republik Irland im Süden für den Güterverkehr offen bleibe. Nun warf der ehemalige Brexit-Chefunterhändler David Frost Irland Rosinenpickerei vor. Anders als Waren- und Zollkontrollen waren Personenkontrollen in den Brexit-Verhandlungen allerdings nie zur Debatte gestanden.
Derweil arbeitet die britische Regierung mit Hochdruck an der Umsetzung ihres Rwanda-Plans. Das Innenministerium hat rund 5700 Asylsuchende eruiert, die für eine Ausschaffung nach Rwanda infrage kommen, musste aber einräumen, dass ein erheblicher Teil von ihnen untergetaucht sein könnte. In Kürze will die Regierung die ersten Asylsuchenden in neuen Zentren in Ausschaffungshaft nehmen. Die ersten Flüge nach Rwanda sollen gemäss dem Fahrplan der Regierung nach der Behandlung der Rekurse spätestens im Juli abheben.