„Gewaltopfer erster und zweiter Klasse“ – Kritik an Vorstoß zur Strafverschärfung

Die Innenminister von Bund und Ländern lassen Strafverschärfungen für Angriffe auf Politiker prüfen. Denn hier gehe es auch um Attacken auf die demokratische Ordnung. Doch Kritik wird laut: Sollten nicht alle Bürger in Zeiten wachsender Gewalt von einem verstärkten strafrechtlichen Schutz profitieren?

„gewaltopfer erster und zweiter klasse“ – kritik an vorstoß zur strafverschärfung

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) picture alliance / Geisler-Fotopress

Dem SPD-Politiker Matthias Ecke wird in Dresden von einem Jugendlichen das Jochbein gebrochen, die Grünen-Lokalpolitikerin Yvonne Mosler bedrängt, bedroht und bespuckt. Die Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) in einer Bibliothek tätlich angegriffen und verletzt, ein AfD-Landtagsabgeordneter im niedersächsischen Nordhorn an einem Infostand mit Eiern beworfen und ins Gesicht geschlagen. Dies sind nur einige, drastische Beispiele aus der Liste der jüngsten Gewaltdelikte gegen politisch aktive Personen.

Das Klima hat sich seit dem Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke im Jahr 2017 verschärft. Im Jahr 2023 wurden die meisten Gewaltdelikte gegen die AfD verübt (86 Fälle), gefolgt von den Grünen (62 Fälle). Nimmt man alle Arten von Delikten zusammen, sind die Grünen am stärksten betroffen (1219 Fälle), gefolgt von der AfD (478 Fälle). Den Großteil stellen Äußerungsdelikte dar, also etwa Bedrohung, Beleidigung, Nötigung oder Verleumdung.

Als Reaktion auf diese Gewaltvorfälle fordert die gesondert einberufene Innenministerkonferenz (IMK) in einem Beschluss vom Dienstag die Prüfung von Strafrechtsverschärfungen bei Delikten gegen politisch engagierte Menschen und Mandatsträger. Die Innenminister von Bund und Ländern stellen dabei fest, dass „sich die Folgen dieser Taten über die Verletzung des Einzelnen hinaus auf die Funktionsfähigkeit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung erstrecken“.

Zudem soll die bereits existierende „Bundesratsinitiative für ein Gesetz zum strafrechtlichen Schutz gemeinnütziger Tätigkeit“ schneller vorangetrieben werden, „um entsprechende Übergriffe auf politisch engagierte Menschen stärker zu bestrafen und die Sozialschädlichkeit solcher Taten härter zu sanktionieren“.

Darüber hinaus soll die Strafverfolgung mit der anlasslosen Speicherung von IP-Adressen zur Identifizierung von Online-Geräten auch im Bereich der Bekämpfung politisch motivierter Kriminalität verbessert werden. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte zusätzlich an, das Melderecht ändern zu wollen, um Wohnadressen etwa von Kommunalpolitikern besser zu schützen. Nötigung vor den Privathäusern von Politikern kommt immer wieder vor.

Auf den sächsischen Vorstoß, einen neuen Straftatbestand für Angriffe auf politisches Personal zu schaffen, reagierte die Ministerrunde jedoch verhalten. Der Hamburger Innensenator Andy Grothe (SPD) sagte in der anschließenden Pressekonferenz, diese Debatte habe nicht so breiten Raum eingenommen. Faeser teilte mit, Täter müssten durch schnelle Verfahren „die volle Härte des Rechtsstaates“ spüren. Wenn Strafverschärfungen nötig seien, werde sie schnell mit Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) darüber sprechen.

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) ist jedoch diesbezüglich skeptisch und möchte Gegenmaßnahmen nicht nur auf Politiker konzentrieren. WELT sagt er: „Wir in Nordrhein-Westfalen tun seit Jahren etwas gegen die wachsende Gewalttätigkeit gegenüber Mitarbeitern im öffentlichen Dienst, gegen Rettungskräfte, Mitarbeiter im Ausländeramt oder Polizisten. Stehen die nicht auch im Dienst der Allgemeinheit, brauchen die keinen Schutz?“

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Alexander Throm, geht noch weiter und spricht von dem Eindruck von „Gewaltopfern erster und zweiter Klasse“. Der CDU-Politiker nennt Faesers neueste Versprechen „hilflosen Aktionismus“. „Auch immer mehr Bürgerinnen und Bürger spüren die zunehmende Gewalt in ihrem Alltag. Dazu schweigt die Innenministerin völlig.“

Hemmschwelle für Gewalt sei drastisch gesunken

Auch der stellvertretende Vorsitzende der FDP, Wolfgang Kubicki, beklagt doppelte Standards: „Was mich stört: Wenn ein Politiker betroffen ist, dann schreien alle auf. Wenn eine Jugendbande eine Stadt terrorisiert oder Leute am Bahnhof zusammengeschlagen werden, dann wird das eher hingenommen.“ Die Hemmschwelle für Gewalt sei insgesamt dramatisch gesunken.

Dieser Haltung widerspricht der SPD-Innenpolitiker Sebastian Hartmann. WELT sagt er: „Das Ziel der Taten ist nicht die Körperverletzung als solche. Den Tätern geht es um den Angriff auf unser demokratisches System und insbesondere die Behinderung von freien Wahlen. Es soll ein Klima der Verunsicherung und des Hasses geschaffen werden.“ Die Debatte um Gewaltopfer erster und zweiter Klasse verkenne dieses Problem grob und sei „im Kern zersetzend als auch der Verteidigung unserer Demokratie abträglich“. Deutschland brauche mit Blick auf politisch motivierte Gewalt beides: konsequente Verfolgung der Straftäter und eine Verschärfung des Strafrechts.

Die Ampel-Parteien sind sich also uneins über den Vorstoß der Innenminister. Die erste parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Irene Mihalic, ist ebenfalls zurückhaltend und warnt bei Änderungen im Strafrecht vor „Schnellschüssen mit unerwünschten Folge- und Nebenwirkungen“. Sie sei zwar offen für die Prüfung konkreter Vorschläge. „Veränderungen im Strafrecht werden aber mit Blick auf die aktuellen Wahlkämpfe nicht greifen und zu spät kommen. Die Innenministerkonferenz hat sich zu wenig damit befasst, was jetzt sehr schnell getan werden kann und muss, nämlich die Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer so gut es geht zu schützen.“

Dort, wo es geboten sei, sollten etwa genügend Polizeikräfte zur Verfügung stehen in einer Bund und Länder übergreifenden Zusammenarbeit. Das dürfte allerdings aufgrund der Personalknappheit eine Herausforderung für die Behörden sein.

Die rechtspolitische Sprecherin der Linken, Clara Bünger, sieht das Problem eher bei mangelhafter Strafverfolgung – vor allem mit Blick nach Rechtsaußen. „Eine Verschärfung des Strafrechts halte ich nicht für notwendig. Was es aber braucht, ist eine konsequente Strafverfolgung bei rechten und rassistischen Straftaten.“

Der innenpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Gottfried Curio, spricht sich für eine Verbesserung der Gesetzeslage für „alle Gewaltdelikte und für alle Gewaltopfer“ aus. „Denn wo ein Politiker tatsächlich besser geschützt werden kann, sollte auch jeder andere Bürger solcher Verbesserung seines Schutzes teilhaftig werden können.“

Juristisch gesehen gibt es aktuell nur den Paragrafen 188 im Strafgesetzbuch, der sich explizit auf Delikte gegen Personen des politischen Lebens bezieht. Dieser sieht für die Straftatbestände Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung härtere Strafen vor, wenn sie sich öffentlich gegen eine Person des politischen Lebens richten. Beispielsweise kann dann der Straftatbestand der Beleidigung eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren nach sich ziehen – und nicht nur von bis zu zwei Jahren, wie es bei anderen Personen der Fall wäre.

Die Innenminister haben deshalb vor allem die Straftatbestände im 17. und 18. Abschnitt des Strafgesetzbuches im Blick, für die es noch keine solche Verschärfung gibt. Darunter finden sich etwa Körperverletzung und Nötigung. Grundsätzlich gilt, dass die „Beweggründe und Ziele des Täters“ sowie die „verschuldeten Auswirkungen der Tat“ auch nach geltendem Recht bereits das Strafmaß beeinflussen können. Wie im Paragrafen der Strafzumessung (Paragraf 46 StGB) festgeschrieben, gilt dies etwa für Taten mit menschenverachtendem Hintergrund.

Der Bundesrat möchte mit der im IMK-Beschluss erwähnten Gesetzesinitiative die Strafzumessung so ergänzen, dass „hinsichtlich der verschuldeten Auswirkungen der Tat auch solche in Betracht zu ziehen sind, die geeignet sind, gemeinnütziges Engagement der oder des Geschädigten nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen.“

Tatjana Hörnle, Leiterin der Abteilung Strafrecht des Max-Planck-Instituts, hält die IMK-Vorschläge für problematisch. WELT sagt sie: „Das Strafrecht verfügt bereits über ausreichende Instrumente, um derartige Delikte angemessen zu ahnden. Anlassbezogene Strafnormen sollten vermieden werden, weil sie das Strafgesetzbuch aufblähen und unübersichtlich machen – und vor allem, wenn sie suggerieren, dass Sonderrecht für Gruppen geschaffen wird. Eine angemessene Bestrafung, die dem Unrecht einer konkreten Tat entspricht, ist möglich, da die gesetzlichen Strafrahmen viel Spielraum lassen.“

Bei der Strafzumessung könne es eine Rolle spielen, ob besonders schwere Folgen für das individuelle Opfer oder für die Allgemeinheit entstanden sind. Negative Auswirkungen einer Tat für die Gesellschaft oder die Demokratie bei Delikten gegen Personen des politischen Lebens könnten bereits strafverschärfend berücksichtigt werden. Dafür müsse das Gesetz nicht geändert werden. „Es sollte nicht jede tagesaktuelle Konstellation neue Gesetze nach sich ziehen. Das ist rechtspolitisch unklug und reine Symbolpolitik.“

Ob die Vorschläge der Innenminister in die Tat umgesetzt werden, hängt jetzt zunächst an den Justizressorts des Bundes und der Länder, die die Möglichkeiten von Verschärfungen prüfen müssen.

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