Gewalt von Jugendlichen: Junge Täter für extreme Taten
17- bis 18-Jährige, die einen Politiker verprügelt haben sollen. Ein ungewöhnlicher Fall? Eine NGO warnt: Immer Jüngere radikalisieren sich über soziale Medien.
Online, verdrahtet und rechts: Die Nichtregierungsorganisation CeMAS warnt vor der Radikalisierung jüngerer Menschen.
Im Zusammenhang mit dem Angriff auf den SPD-Europapolitiker Matthias Ecke am Freitag in Dresden verdichten sich die Hinweise darauf, dass die Tatverdächtigen Kontakte in die rechtsextreme Szene haben sollen. Das Landeskriminalamt Sachsen hatte das zuvor bereits am Montag in Bezug auf einen 17-jährigen Tatverdächtigen mitgeteilt, in dessen Wohnung und auf seinem Handy entsprechende Hinweise gefunden worden sein sollen.
Laut Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR sollen auch zwei weitere Tatverdächtige in Verbindung zu der rechtsextremen Gruppierung Elblandrevolte stehen und auf ihren Social-Media-Kanälen rechtsextreme Einstellungen geteilt haben. Alle vier Tatverdächtigen sind zwischen 17 und 18 Jahre alt.
Klar benannt, dass die Tat rechtsextrem motiviert war, hat das LKA Sachsen das bislang nicht. Doch: Die Gruppe, die den SPD-Politiker Ecke angriff, soll mutmaßlich auch Wahlkampfhelfer der Grünen attackiert haben, darunter deren Regionalkoordinatorin Anne-Katrin Haubold.
Junge Täter für extreme Taten – lässt sich das häufiger beobachten? Es gibt zumindest Anzeichen, die in diese Richtung deuten.
“Natürlich müssen wir in diesem Fall noch vorsichtig sein, aber was wir beobachten, ist, dass rechtsterroristische Taten vermehrt von Minderjährigen geplant werden”, sagt Pia Lamberty, Co-Geschäftsführerin beim Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS). Ihre Nichtregierungsorganisation dokumentiert seit Jahren Hass, Hetze und Desinformation in den sozialen Medien.
Vor wenigen Tagen hatte das CeMAS eine Untersuchung (PDF) vorgelegt. Darin werden Fälle ausgewertet, in denen es in den vergangenen 13 Jahren zu rechtsterroristischen Taten, Plänen und Verdachtsmomenten gekommen war. Zu der Untersuchung hat die Organisation auch eine Datenbank veröffentlicht, in der die analysierten Fälle dokumentiert sind. Zusammenfassend schreibt das CeMAS auf seiner Website, dass die Rolle der Vernetzung über Messenger-Dienste, soziale Medien oder Onlinecommunitys in den vergangenen Jahren zugenommen habe. Und weiter: “Radikalisierte Minderjährige stellen eine immer größere Gefahr dar.”
Einer der dokumentierten Fälle aus der Datenbank: Ein 13-Jähriger, der bei Telegram eine Chatgruppe mit dem Namen Feuerkrieg Division gegründet und dort Terrorfantasien sowie Waffen- und Sprengstoffanleitungen geteilt hatte. Ende August vergangenen Jahres stürmte die Polizei sein Zimmer.
Ein weiterer dort dokumentierter Fall: 2023 hatte die Polizei in Hessen die Wohnräume eines Schülers und mutmaßlichen Neonazis durchsucht, der sich seitdem in Untersuchungshaft befindet. Der 18-Jährige hatte in Internetforen angekündigt, zur Durchsetzung seiner politischen Ziele andere Menschen töten zu wollen. Insgesamt sind es 50 rechtsterroristische Fälle, die die Datenbank vom CeMAS derzeit auflistet. Unter rechtsterroristisch versteht die Organisation eine vorsätzlich geplante Tat, bei der das Ziel auf Grundlage rechtsextremer Ideologien ausgewählt wurde und die Tat psychologische Auswirkungen über Opfer und Ziel hinaus haben soll.
Vernetzung über soziale Medien einfacher
Bei der Radikalisierung sehr junger Menschen spielen auch extremistische Inhalte in sozialen Medien eine Rolle, so die Analyse des Instituts. Es gebe eine meist lose über Onlinecommunitys vernetzte Szene, die den Zusammenbruch westlicher Demokratien zum Ziel habe. “Es ist sehr viel leichter, sich bei Telegram oder TikTok international zu vernetzen, illegales Material zu teilen und sich über extremistisches Gedankengut zu informieren”, sagt Lamberty. Dafür brauche es dort auch keine gezielte Koordination. “Das permanente Abspielen von Inhalten, die Gewalt zeigen, führt irgendwann auch zu realer Gewalt.”
Ob allerdings allein das Schauen von extremistischen Inhalten wie beispielsweise von TikTok-Videos zu einer Radikalisierung führen kann, ist wissenschaftlich gesehen noch nicht zweifelsfrei belegt. Eine Studie, die im vergangenen Jahr erschienen ist, konnte für die Plattform YouTube nicht belegen, dass der Algorithmus radikalisiert, indem er unbedarften Usern immer stärker polarisierende und extremistische Inhalte vorschlägt, um sie auf der Plattform zu halten.
Das Bundeskriminalamt (BKA) erfasst ebenfalls Straftaten “politisch motivierter Kriminalität” (PMK), darunter auch solche, die in den staatsschutzrelevanten Phänomenbereich “rechts” fallen. Ihrer Zählung zufolge, die sich von der Definition des CeMAS allerdings unterscheidet, blieb die Zahl minderjähriger Tatverdächtiger zwischen 2012 und 2022 konstant, zuletzt sind vor zwei Jahren 1.684 Fälle erfasst worden. Die Bedeutung von sogenannten Onlineumgebungen für die Radikalisierung von Kindern und Jugendlichen variiere dabei im Einzelfall und hänge von unterschiedlichen Einflussfaktoren ab, teilte eine Sprecherin des BKA auf Anfrage mit.
Thomas Haldenwang, Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, sagte bei der Vorstellung des Jahresberichtes seiner Organisation im vergangenen Jahr allerdings etwas, das ebenfalls in die Richtung der CeMAS-Äußerungen deutete: “Die Zahl gewaltorientierter Extremisten steigt; sie werden zum Teil immer jünger.” Und er sagte auch, dass diese sich ihr Weltbild nach einem Baukastenprinzip mit Versatzstücken aus dem Internet zusammenbastelten.