«Es fehlt Geld, weil an den Halunken niemand verdient»
Die Gefängnisse in der Schweiz sind voll. Das Bevölkerungswachstum, die Zuwanderung und die Überlastung der Justiz sind Gründe. Einfache Lösungen gibt es nicht.
Überlastete Mitarbeitende, frustrierte Inhaftierte, Wohncontainer zur Erweiterung: Die Lage in Schweizer Gefängnissen ist angespannt. Einige Haftanstalten sind schon seit Monaten überfüllt. Das sind die Gründe.
Gefängnisse sind immer wieder verstopft
Es ist nicht das erste Mal, dass der Justizvollzug am Anschlag ist. «Die Belegung von Gefängnissen verläuft über die Jahre wellenförmig, das zeigen auch die Zahlen des Bundesamtes für Statistik», sagt Katja Schnyder-Walser, Geschäftsführerin der Konferenz der kantonalen Leitenden Justizvollzug (KKLJV). Justizvollzugsexperte Benjamin Brägger fügt an: «Es gibt Phasen, in denen die Zahl der Inhaftierten schnell zunimmt und es so schnell zu einer Verstopfung kommt.»
Wieso es zu diesen Wellen kommt, lasse sich nicht auf eine Ursache herunterbrechen. «Die Gründe sind wie immer mannigfaltig und teilweise kantonal unterschiedlich», sagt Schnyder-Walser. Einerseits gebe es externe Faktoren. Dazu gehört laut dem Sprecher der Aargauer Oberstaatsanwaltschaft, Adrian Schuler, das Bevölkerungswachstum. «Fakt ist logischerweise: Je mehr Menschen, desto mehr Straftaten, desto mehr U-Haftanträge.»
Gefängnisse wurden geschlossen
Das zeigt auch die Statistik des BFS. Die Zahl der Haftplätze pro 100’000 Einwohnenden ist in den letzten Jahren stetig gesunken. Konkordatssekretär Stefan Weiss erklärt dies so: «Die Einwohnerzahl wächst schneller als die Zahl der Plätze – entsprechend schlechter wird das Verhältnis.» Aber auch die absolute Anzahl Haftplätze habe in den letzten Jahren leicht abgenommen. «Dies hat insbesondere damit zu tun, dass diverse kleinere Regional- und Bezirksgefängnisse geschlossen wurden.»
Zusammenhänge mit Migration und Flüchtlingswellen können nur vermutet werden, sagt Schuler. Der sogenannte Kriminaltourismus, der laut neuester Kriminalstatistik gestiegen ist, habe da sicher auch einen Einfluss. Er betont aber: «Die Hürden für Untersuchungshaft sind äusserst hoch angesetzt, da ein Freiheitsentzug in der Schweiz die härteste Sanktion darstellt. Für geringfügigere Delikte, die lediglich das Vermögen betreffen, ist es deutlich schwieriger, Untersuchungshaft zu erhalten.»
Längere Haftdauer: «Wie bei einer Badewanne mit Stöpsel drin»
Dann gebe es die internen Faktoren, die mit dem Justizsystem selbst zu tun haben, sagt Experte Brägger. «Ich höre von vielen Seiten, dass die Fälle komplexer geworden seien.» Viele Staatsanwältinnen und -anwälte würden auch der revidierten Prozessordnung, die seit dem 1. Januar in Kraft ist, Schuld daran geben. Sie habe die Regeln für ein Strafverfahren mühsamer gemacht.
Auch die allgemeine Überlastung des Justizsystems habe einen Zusammenhang mit den vollen Gefängnissen. Im Kanton Bern zum Beispiel hat vor allem die Zahl der Personen in Sicherheitshaft zugenommen, wie das dortige Amt für Justizvollzug sagt. In Sicherheitshaft sind all die Personen, die nach Ende der U-Haft – und damit dem Abschluss der Ermittlungen – auf ihren Prozess warten. «Das lässt auf einen Rückstau bei den Gerichten schliessen», sagt Brägger.
Immer mehr Straftäter werden therapiert
Laut ihm haben zudem die Anordnungen von stationären therapeutischen Behandlungen enorm zugenommen. Auch weil die Richter dann auf der sicheren Seite seien. «Täter, die als psychisch schwer gestört eingeschätzt werden, sind oft relativ lange in Haft, wodurch auch Plätze später freigegeben werden.» Das müsse man sich wie in einer Badewanne vorstellen. «Wenn ich den Stöpsel reinstecke und immer mehr Wasser reinlaufen lasse, überläuft sie irgendwann.»
Um dem drohenden Kollaps entgegenzusteuern, sieht Brägger vor allem die Politik in der Verantwortung. «Im Bereich Justiz wird nicht gerne Geld investiert. Mit den Halunken gewinnt man halt keinen Blumentopf.» Dabei sei dieser Sektor zentral für das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger. Welche Massnahmen zur Entlastung Brägger konkret fordert, hat er in einem ausführlichen Interview erzählt.