«Baby, bitte hör auf!» – Ein Schreibaby kann seine Eltern in den Wahnsinn treiben

«baby, bitte hör auf!» – ein schreibaby kann seine eltern in den wahnsinn treiben

Was, wenn das Kind zu schreien beginnt – und einfach nicht mehr aufhört? Für betroffene Eltern ; Tomohiro Ohsumi / Getty

Unter der Dusche hört Patricia das Babygeschrei manchmal immer noch. Dieses schrille, durchdringende Kreischen. Ihr Puls geht hoch. Sie dreht den Wasserstrahl runter, horcht. Es ist still. Erst dann realisiert sie: Ihre Tochter ist gar nicht im Haus. Es war ein Flashback in die Babyzeit – Phantomschreien nennt Patricia dieses Phänomen, medizinisch betrachtet eine Halluzination.

Mia (Name geändert) ist die Tochter von Patricia und Marc, 31 und 35. Und Mia war ein Schreibaby. Bereits vier Wochen nach der Geburt brachte sie Patricia an den Rand der Verzweiflung.

Heute sitzt Patricia mit alkoholfreiem Bier in einem Café in Zürich, zwischen Arbeit und Kita findet sie eine freie Minute zum Erzählen. Mia ist jetzt zwei Jahre alt. Und sie weint mittlerweile wie alle anderen Kinder. Doch jedes Weinen wirft die Mutter zurück in jene Zeit davor.

Die Erinnerung daran schmerzt sie.

Beim Wickeln, Anziehen, Ausziehen. Beim Einschlafen, Aufwachen, Eintauchen ins Babybad: Bei praktisch allem begann Mia zu schreien. «Für unsere Tochter war die Welt um sie herum eine einzige Bedrohung», sagt Patricia. «Das Quietschen der Trams, eine Tür, die ins Schloss fällt, selbst leise Schritte im Zimmer; alles war Anlass, um in ein lautes Schreien auszubrechen.»

Schreibabys sind verbreitet

Mia ist kein Einzelfall. Jedes fünfte Kind gilt als Schreibaby. Die Zahl ist seit Jahren konstant, und sie gilt weltweit – entgegen der Behauptung, Schreibabys kämen in anderen Kulturen weniger und bei Naturvölkern überhaupt nicht vor. Der einzige Unterschied ist der Umgang mit ihnen.

Wann ein Baby als Schreibaby gilt, da gehen die Meinungen auseinander. Eine kompliziertere Definition geht so: Säuglinge, die an drei aufeinanderfolgenden Tagen in drei aufeinanderfolgenden Wochen stark schreien und sich dabei kaum beruhigen lassen, fallen in diese Kategorie. In Fachkreisen nennt man das Regulationsstörung.

Eine einfachere Definition besagt dies: Liegt das Schreien des Babys über der Grenze dessen, was Eltern aushalten, ist das Kind ein Schreibaby.

Am Ende ist es egal, welche Umschreibung man wählt. Ein schreiendes, untröstliches Baby hebelt die Normalität aus – und versetzt die gesamte Familie in den Ausnahmezustand.

In ihrem Freundeskreis sind Patricia und Marc die Ersten, die Eltern werden. Das Abenteuer Kind ist für sie wie eine Fahrt ins Blaue. Was genau kommt, wissen sie nicht, aber sie freuen sich. Patricia geniesst die Schwangerschaft, die lange Geburt endet mit einem Notkaiserschnitt. Die Mutter ist erschöpft, aber glücklich. Sie hat ein gesundes Kind auf die Welt gebracht. Fünf Tage bleiben die beiden zur Erholung im Spital.

Doch bereits dort merkt Patricia, dass ihr Baby anders ist. Da ist kein anderes Kind, das kreischt. Mia aber weint, sobald sie aufwacht. Sie verfällt dann oft in ein Schreien. Und das ist erst der Anfang. Zwei Wochen später, längst wieder zu Hause, geht es richtig los.

Mia brüllt aus voller Kehle. Der Kopf schwillt rot an, die Augen sind geschlossen, der Körper durchgebeugt. «Wir konnten sie kaum im Arm halten. Kein Wiegen, Schaukeln, Herumgehen, Halten, Singen oder Hinlegen half – nichts. Das war für uns auch körperlich anstrengend.»

Eine Hebamme aus dem nahen Umfeld eilt wiederholt notfallmässig zu Hilfe. Sie zeigt, dass es darum geht, beim Kind zu sein, es zu begleiten, auch ohne eine positive Reaktion zu erhalten. Und sie beschwichtigt: Eltern sollten vermeiden, in Aktivismus zu verfallen.

Doch Patricia und ihr Mann sind in Sorge. Ist ihr Kind wirklich gesund?, fragen sie sich. Die beiden lassen Mia im Spital untersuchen, fragen nach, ob organisch vielleicht etwas nicht stimmt. Sie suchen eine Osteopathin auf, lassen das Baby bei einer Craniosacraltherapeutin behandeln, besuchen eine Schreiberatung.

Alle Fachpersonen, die sie konsultieren, begegnen Patricia und ihrem Mann mit Verständnis, die Eltern fühlen sich aufgehoben. Doch dann geht es wieder nach Hause – mit einem weiterhin schreienden Kind.

Patricia spürt, wie ihre Kräfte schwinden. Am liebsten möchte sie nicht mehr aufstehen, durchfährt es die Mutter immer öfter. Sie will zurück in ihr altes Leben. Ohne Kind. Oder einfach weit weg sein – alleine.

Warum Schreibabys schreien

Welche Gründe hinter diesem intensiven Schreien liegen, ist nicht restlos geklärt. Es kann eine Frage des Naturells sein, denn Babys zeigen schon früh unterschiedliche Temperamente. Nach der Geburt ist alles anders, alles neu. Das kann viel Stress und Unsicherheit auslösen. Man nennt das auch Adaptionsschwierigkeiten. Indem es weint, sagt es: «Ich bin völlig überfordert.»

Vielleicht leidet das Baby aber auch unter schmerzhaften Verspannungen. Es erlebt kein Wohlgefühl, der Magen-Darm-Trakt verkrampft sich, was wiederum Koliken auslösen kann.

Eltern von Schreibabys leben wie unter einer Glocke. Von der Öffentlichkeit entrückt, in einer Welt mit eigenen Gesetzen. Einige bekommen einen Tinnitus vom lauten Schreien. Andere wagen sich nur selten vor die Tür. Die Beklemmung ist gross, ein schreiendes Baby zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Betroffene Eltern fürchten sich vor bösen Blicken, gutgemeinten Ratschlägen – oder fühlen sich einfach nur schlecht, weil sie das eigene hilfsbedürftige Kind nicht beruhigen können.

Das berichtet auch Patricia. Ist das Baby ruhig und die Lage entschärft, bleibt sie lieber zu Hause. Und wenn das Baby schreit, wagt sie sich erst recht nicht vor die Tür. Der Radius wird eng.

Welche Dramen sich abspielen können, lässt sich auf dem Portal von «Schreibabyhilfe» nachlesen, einer Selbsthilfeinitiative von betroffenen Eltern. Dort tauschen sich Mütter, ganz selten auch Väter, aus. Oder sie laden einfach einmal ab.

«Mein Sohn schreit, als ob es der Weltuntergang wäre, und ich fühle jede Sekunde mit.»

«Die Einsamkeit ist schrecklich. Wir getrauen uns kaum irgendwohin.»

«Seit Stunden hüpfe ich auf dem Yogaball auf und ab, aber meine Tochter schläft einfach nicht ein.»

«Unerträglich finde ich, wenn man vor dem Einschlafen das Schreien im Kopf hat und jedes Geräusch zehnmal intensiver wahrnimmt.»

«Nur das Stillen beruhigt meinen Sohn. Es schmerzt, weil er auch da sehr unruhig ist. Zu wissen, dass ein Abend ohne mich der Super-GAU wäre, kreiert ganz viel Druck.»

«Besonders schlimm ist es, wenn mein Sohn in den schwarzen Schreimodus kommt – er kriegt dann keinen Ton raus, hat einen hochroten Kopf und ist komplett weg. Dann bricht auch bei mir innerlich die Welt zusammen.»

Es sind viele Fragen, die betroffene Eltern beschäftigen: Leidet mein Baby trotz Abklärung unter unerträglichen Schmerzen? Ist das Schreien gefährlich für mein Kind? Was mache ich falsch? Bin ich schuld? Hätte ich die Schwangerschaft ruhiger angehen sollen? Wird mein Kind auch später Mühe haben, seine Gefühle zu kontrollieren?

Der Zusammenbruch

Nach zehn Wochen in ihrer neuen Rolle als Mutter glaubt Patricia, die Kontrolle zu verlieren. Sie kann nicht mehr. In ihrem Beruf als Sozialarbeiterin rät sie Personen in Not, sich Hilfe zu holen. Nun ist es Patricia, die Hilfe braucht. Sie fährt notfallmässig in die Schreiambulanz des Zürcher Stadtspitals Triemli.

Die Ärzte stellen erneut fest: Körperlich fehlt Mia nichts. Nach einem zweistündigen Gespräch fragt die Psychologin Patricia: «Fühlen Sie sich wieder in der Lage, nach Hause zu gehen?» – «Nein», antwortet die Mutter. «Ich habe Angst vor dem, was passieren könnte. Ich laufe in eine Wand.»

Das Team im Spital setzt nun alle Hebel in Bewegung, um der Mutter und ihrem Kind zu helfen. Patricia hat Glück. Der einzige stationäre Platz im Kanton Zürich für Babys mit Regulationsstörungen wird frei. Er befindet sich im sozialpädiatrischen Zentrum in Winterthur. Noch am selben Abend zieht Patricia mit ihrer Tochter dort ein.

Katharina Jockers ist die zuständige Oberärztin für das stationäre Regulationsprogramm am Kantonsspital Winterthur. Sie sagt: «Was für ein Kind man hat, kann man nicht planen.» Oftmals fehle den Eltern eine Entlastung. Denn nicht immer leben die Grosseltern in der Nähe und können helfen.

Der Stresspegel bei Eltern mit einem schreienden Baby ist hoch. Wenn jemand zuvor bereits unter einem Burnout, einer Depression oder anderen starken Belastungen gelitten hat, wird die Situation noch belastender. Teilweise haben Kind und Familie auch eine schwierige Geburt erlebt.

Hier, im Regulationsprogramm, ist es aber nicht so wichtig, warum die Kinder schreien. Vielmehr geht es darum, die Eltern ernst zu nehmen und ihnen zu helfen, das Baby zu begleiten und zu beruhigen.

Wieder zu sich kommen

Die zwei Wochen auf der stationären Abteilung verändern Patricias Blick auf ihre Situation. Die Fachleute bestätigen, dass sie und ihr Mann nicht mehr machen können als das, was sie bereits getan haben. Das Zimmer befindet sich im Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, sie fühlen sich aufgehoben. Dass Mia schreit, stört hier niemanden.

Immer wieder setzt sich eine Fachperson zu Patricia und fragt, wie es ihr gehe. Man improvisiert: Über Nacht kommt Patricias Mann, nimmt Mia zu sich. Die Mutter schläft zum ersten Mal wieder einige Stunden am Stück. Die ständigen Kopfschmerzen gehen zurück.

Zwar schreit Mia nach dem Aufenthalt im Spital weiter, auch über den typischen Höhepunkt von zwölf Wochen hinaus, aber da ist nicht länger das Gefühl des kompletten Kontrollverlusts.

Barbara Stocker Kalberer hat viele Familien durch die ersten Wochen begleitet, auch solche mit Schreibabys. Die Präsidentin des Schweizerischen Hebammenverbandes kennt ihre Sorgen. «Was denken die Nachbarn!», etwa. Oder: «Ich kann nicht einmal mein Baby beruhigen – wie stehe ich da?»

Ratschläge aus dem nahen Umfeld sieht sie kritisch. Sie seien zwar häufig gut gemeint. Das Verabreichen von beruhigenden Tropfen etwa. Oder Wärmekissen, spezielle Tees, leichte Arzneimittel. «Es ist jedoch nicht erwiesen, dass irgendeines dieser Hausmittel direkt wirkt», sagt Stocker Kalberer.

Betroffenen hilft man besser, wenn man ihnen zuhört und ihre Situation ernst nimmt. Einen einzigen Ratschlag gilt es aber jederzeit zu beachten, er ist einfach und fundamental: das Baby nie und unter keinen Umständen schütteln.

Der Wendepunkt

Nach fünf Monaten schläft Mia zum ersten Mal ein, ohne zu schreien. Die Eltern stellen es erst am nächsten Morgen verblüfft beim Frühstück fest. Es ist der Wendepunkt.

Mit etwas Abstand sieht Patricia heute auch die positiven Seiten dieser dunklen Zeit: Die Nachbarn, die sie vorher kaum kannten, boten an, Mia ein paar Stunden zu sich zu nehmen. Zudem hat die schwierige Erfahrung Patricia und Marc noch mehr zusammengebracht.

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