Zwei Sätze mehr über Gott im Grundsatzprogramm der CDU
Politik unter dem Kreuz: Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz am Montag auf dem Parteitag in Berlin
Die Frage, welchen Stellenwert das Christliche gegenüber dem Bürgerlichen in der CDU hat, spielte auf dem Parteitag in dieser Woche eine größere Rolle als erwartet. Zum einen, weil nahezu in letzter Minute zwei Sätze zum Gottesbezug in den Anfangsteil des neuen Grundsatzprogramms geschrieben wurden. Und zum anderen, weil zwei Bischöfe mit Verweis auf das christliche Menschenbild den neuen harten Migrationskurs der Partei scharf kritisiert hatten.
Im Entwurf für das Grundsatzprogramm stand in der Einleitung zunächst lediglich, dass das christliche Bild vom Menschen „unser Kompass“ sei. Dem Vorsitzenden des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU, Thomas Rachel, war das zu wenig. Auch wenn an anderer Stelle im Programmentwurf durchaus die Rede war vom Menschen als von Gott geschaffenem Wesen und von der Verantwortung vor Gott und den Menschen. Auch der erste Abschnitt des zweiten Kapitels widmet sich dem christlichen Menschenbild. Aber der Gottesbezug sollte noch deutlicher in den ersten Zeilen des Programms stehen.
Evangelischer Arbeitskreis handelt Kompromiss aus
ARCHIV – 08.03.2024, Baden-Württemberg, Stuttgart: Vor dem Schriftzug der Partei sitzen bei einer Grundsatzprogrammkonferenz der CDU in Baden-Württemberg Teilnehmer in der Carl Benz Arena in Stuttgart. (zu dpa: «Was will die CDU in ihrem neuen Programm?») Foto: Bernd Weißbrod/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Weil die Antragskommission mehrere Änderungsvorschläge seines Arbeitskreises nicht unterstützt hatte, die den Gottesbezug deutlicher herausstellen sollten, handelte Rachel am Vorabend der Beratung über das neue Programm einen Kompromiss aus: Der Evangelische Arbeitskreis würde auf alle entsprechenden Anträge verzichten, wenn dem Satz vom „christlichen Kompass“ zwei Sätze vorangestellt würden: „Unsere Politik beruht auf der Verantwortung vor Gott und den Menschen. Für uns ist der Mensch von Gott nach seinem Bilde geschaffen.“ Darauf ließ sich die Antragskommission ein. Am Dienstagabend stimmten die Delegierten schließlich der Änderung zu.
European Commission President Ursula von der Leyen, Bavarian State Prime Minister Markus Soeder and Christian Democratic Union (CDU) party leader Friedrich Merz attend the 36th Christian Democratic Union (CDU) party convention in Berlin, Germany, May 8, 2024. REUTERS/Lisi Niesner
Rachel, der auch religionspolitischer Sprecher der Unionsfraktion ist, hatte am Dienstagmorgen in einer kurzen Rede daran erinnert, dass die „Erfolgsgeschichte der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands“ mit einer grundlegenden Entscheidung verbunden sei: dem C im Namen. „Das C ist auch heute noch so notwendig und unverzichtbar wie nie“, sagte er. Es bilde die „einigende Klammer“ für die „bunte Vielfalt“ der unterschiedlichen politischen Strömungen in der Partei. „Das C sorgt dafür, dass das Liberale menschlich bleibt. Das C sorgt dafür, dass das Soziale nicht in den Sozialismus führt. Und das C sorgt dafür, dass das Konservative nie in eine Blut- und Bodenideologie abgleitet.“
Das C sei eine „klare Grenze nach rechts außen“. Es sei „gerade nicht exklusiv“, sondern „plural anschlussfähig, inklusiv und integrativ“. Die Äußerung ist im Zusammenhang zu sehen mit einer Diskussion, die nach der vergangenen Bundestagswahl über das C im Parteinamen geführt worden war. Damals hatte der Mainzer Historiker und frühere Leiter der CDU-Grundwertekommission, Andreas Rödder, in einer internen Wahlanalyse das C im Parteinamen zur Diskussion gestellt. In einem Gastbeitrag in der F.A.Z. stellte er damals anschließend klar: „Ich habe nicht vorgeschlagen, das C abzuschaffen, sondern, darüber nachzudenken, ob es noch zeitgemäß ist – und wenn ja: es reflektiert zu verwenden, statt es nur zu beschwören.“
07.05.2024, Berlin: Die Delegierten stimmen zur Wehrpflicht beim CDU-Bundesparteitag ab. Auf dem Programm steht die Verabschiedung des neuen Grundsatzprogramms der Union. Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Wofür steht das „C“ heute?
Das „C“ sei nach 1945 ein integrierendes Moment gewesen, als mehr als 96 Prozent der Bevölkerung einer christlichen Konfession angehörten und die überkonfessionelle Partei eine revolutionäre Neuerung darstellte, erläuterte Rödder der F.A.Z. nun am Rande des Parteitags.
Wenn hingegen weniger als fünfzig Prozent der Bevölkerung einer christlichen Konfession angehörten, sei das christliche Selbstverständnis für eine Volkspartei keine Selbstverständlichkeit. Daher habe er der Union empfohlen, „das ‚C‘ zum einen nicht nur habituell zu pflegen, sondern inhaltlich zu profilieren, sodass es auch Nichtchristen anspricht, und zum anderen ergänzende Identifikationsmöglichkeiten wie ihr Selbstverständnis als ‚bürgerlich‘ herauszustellen“. Dass nun zwei neue Sätze im Grundsatzprogramm hinzugekommen sind, sieht Rödder gelassen. Das sei „eine Frage der Tonalität“. Er würde es anders intonieren, aber nicht in der Substanz widersprechen. Rachel sieht hingegen einen Unterschied. „Das ist keine Frage der Tonalität, sondern des innersten Selbstverständnisses der Christdemokratie.“
Wie auch immer die beiden neuen Sätze semantisch zu bewerten sind – die kirchliche Kritik am migrationspolitischen Kurs im Grundsatzprogramm dürften sie nicht aus dem Weg räumen. Die CDU will, dass Asylsuchende ein Verfahren in einem sicheren Drittstaat durchlaufen. Selbst wenn ihnen dort ein Asylstatus zugesprochen würde, wäre es nicht sicher, ob sie in ein europäisches Land kämen. Es sollen nur Kontingente aufgenommen werden.
Die Flüchtlingsbeauftragten der beiden großen Kirchen halten das für nicht vereinbar mit dem Bekenntnis zum christlichen Menschenbild. In einem Gastbeitrag für die „Welt“ zitierten der katholische Erzbischof Stefan Heße und der evangelische Bischof Christian Stäblein vor dem Parteitag diesen Satz aus dem Programmentwurf: „Jeder, der in Europa Asyl beantragt, soll in einen sicheren Drittstaat überführt werden und dort ein Verfahren durchlaufen.“ Und sie urteilten, dass er „in einem bemerkenswerten Widerspruch zur Orientierung an christlichen Werten“ stehe. Sie sehen darin „einen radikalen Bruch“ der CDU „mit ihrem humanitären Erbe im Flüchtlingsschutz“.
Rachel hält den Gastbeitrag für „wenig hilfreich und zu kurz gesprungen, da er die intensiven Abwägungsentscheidungen nicht berücksichtigt“. Was im Grundsatzprogramm vorgeschlagen wird, sei „der Versuch, auch aus dem christlichen Menschenbild heraus, im Sinne von Humanität und Ordnung einen Weg zu finden, die wirklich Verfolgten aufzunehmen“. Vom jetzigen System profitierten vornehmlich die Starken, und es überfordere die Kommunen.