Wiederaufbau mit Luftalarm, aber ohne Minister: Als Svenja Schulze in Kiew ankommt, ist ihr wichtigster Ansprechpartner weg
Die Entwicklungsministerin bereitet in Kiew die Berliner Ukraine-Konferenz vor. Sie hat Hilfe im Gepäck und Wünsche an Selenskyj – und erlebt eine Überraschung.
Svenja Schulze zwischen den Wracks russischer Panzer und abgeschossener Raketen, die in der Stadtmitte von Kiew ausgestellt sind
Nach der langen nächtlichen Zugfahrt von der polnischen Grenze wartet auf die deutsche Entwicklungsministerin am Donnerstagmorgen in Kiew ein herrlicher Frühlingstag, der so gar nicht zur düsteren Lage der Ukraine passen will.
„Ja, hier scheint die Sonne, alles sieht schön aus, aber die Panzer und abgeschossenen Raketen in der Stadt zeigen doch, was das für das Leben der Menschen hier bedeutet“, sagt die SPD-Politikerin Svenja Schulze, „alle haben Angehörige verloren.“ Ein Luftalarm am Nachmittag sorgt dafür, dass der Krieg plötzlich wieder ganz nah ist.
Die Ministerin ist nach Kiew gereist, um die Wiederaufbaukonferenz am 11. und 12. Juni in Berlin vorzubereiten, die ein Signal der Hoffnung aussenden soll für das geschundene Land. Sie hat neue Millionenhilfe und fachliche Hilfe für die Reparatur des Stromnetzes im Gepäck. Gerade in jüngster Zeit hat die russische Armee wieder gezielt die Energie-Infrastruktur angegriffen – Verwundete inklusive.
Ärztinnen und Elektriker sind mindestens genauso wichtig wie Panzer.
Ministerin Svenja Schulze über die deutsche Ukraine-Unterstützung
Aber das Leben muss ja irgendwie weitergehen, weshalb Schulze zur Unterstützung aus Deutschland sagt: „Ärztinnen und Elektriker sind mindestens genauso wichtig wie Panzer.“
Es soll besser werden als zuvor
Wiederaufbau, während der Krieg noch tobt, hört sich wie ein Widerspruch an. Natürlich wird aber so früh wie nur möglich alles Lebenswichtige repariert. Dabei gilt das englische Motto „rebuild better“. Die Hochspannungsleitungen etwa werden nicht einfach in den alten Zustand zurückversetzt, sondern moderner und ans europäische Netz angeschlossen – als Vorbereitung für den EU-Beitritt, auf den gerade am 9. Mai, am Europatag, so viele hoffen.
Darauf setzt auch Präsident Wolodymyr Selenskyj, den die Ministerin am Rande eines Kommunalgipfels in Kiew kurz trifft. Der Anlass mag sich unspektakulär anhören, gerade für die Entwicklungszusammenarbeit aber ist wichtig, dass Städte und Gemeinden nicht alles von der Zentralregierung in Kiew diktiert bekommen, sondern eingebunden sind. „Die lokale Ebene ist beim Wiederaufbau ganz zentral“, sagt Schulze, „dort werden die meisten Entscheidungen getroffen“.
Bürgermeister sollen nach Berlin kommen
Selenskyj bekennt sich in seiner Rede auch zur kommunalen Selbstverwaltung. Im Kriegsmodus aber haben vor Ort die Militärverwaltungen das Sagen – das ist auch einer der Gründe für Selenskyjs innenpolitischen Knatsch mit Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko. Schulze will nicht nur erreichen, dass neben Selenskyj auch 50 ukrainische Rathauschefs nach Berlin kommen. Sie sollen dann selbst mit Ideen und Projekten an die internationale Gebergemeinschaft herantreten können – diese Zusage gibt es von der Regierung in Kyjiw.
Eine politische Hiobsbotschaft aber hat die deutsche Ministerin kurz nach ihrer Ankunft auf jeden Fall schon ereilt. Ihr wichtigster Ansprechpartner bei der Vorbereitung der Berliner Konferenz, Wiederaufbauminister Oleksandr Kubrakow, ist am Morgen von der Rada, dem ukrainischen Parlament, abgesetzt worden. Für Schulze ist das „keine gute Nachricht“ so kurz vor der Konferenz.
Der Ministerin bleibt nur die Friedenskette
Ein Thema dort soll die Rolle der Frauen beim Wiederaufbau sein, da überwiegend Männer an der Front kämpfen und dort verwundet oder getötet wurden. Es soll Förderprogramme geben, um sie in neue Berufe einzulernen. „Sie halten den Laden am Laufen“, sagt Schulze. Der Arbeitskräftemangel droht die ohnehin hart getroffene ukrainische Wirtschaft weiter zu destabilisieren.
Das ist Gegenstand eines Gesprächs mit Gewerkschaftsvertretern. In Berlin soll nämlich vereinbart werden, dass Abschlusszeugnisse und Ausbildungszertifikate, die geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland oder anderen Staaten zwischenzeitlich erworben haben, bei ihrer Rückkehr auch problemlos anerkannt werden – auch das ein Vorgriff auf den möglichen EU-Beitritt.
Aber ob das ohne Oleksandr Kubrakow noch etwas wird? Geblieben ist der Ministerin vorerst nur eine Kette mit einer Friedenstaube, die sie jetzt um den Hals trägt. Eine Assistentin des bisherigen Vizepremiers hat sie vorbeigebracht. Ein Treffen war nicht mehr möglich, so wie auch ein ausführlicheres Treffen mit Selenskyj ins Wasser fällt, weil der sich um die innenpolitischen Turbulenzen kümmern muss.
Schulze bekommt von der ukrainischen Wirtschaftsministerin Yulia Swyrdydenko versichert, dass bei der Wiederaufbaukonferenz alles bleibt wie geplant. Aber der gute persönliche Draht auf der Zielgeraden, der sei nun „weg“, beklagt die Ministerin: „Das ist wirklich sehr, sehr schade“.