Wie der frühere Signa-Aufsichtsratsvorsitzende die prekäre Lage schönredete
Alfred Gusenbauer mit René Benko und Sebastian Kurz (von links nach rechts)
Mit den Hintergründen für den Kollaps der Immobilien- und Handelsgruppe Signa werden Fachleute noch lange beschäftigt sein. Klar ist, dass der prekäre Zustand des Konglomerats von wichtigen Akteuren verschleiert wurde. Dazu passt, was nun über eine Intervention des früheren Aufsichtsratsvorsitzenden zentraler Immobilienunternehmen, Alfred Gusenbauer, bekannt geworden ist. Der einstige sozialdemokratische Kanzler der Republik Österreich hat versucht, über den Vorstand der Finanzmarktaufsicht (FMA) Kontakt zur Europäischen Zentralbank (EZB) zu bekommen. Hintergrund war eine Warnung der EZB an europäische Banken im vergangenen Sommer, bei der Kreditvergabe an Signa vorsichtig zu sein.
Gusenbauer schrieb Mitte September und damit wenige Monate vor dem Kollaps einen Brief an Helmut Ettl, den der Sozialdemokratie nahestehenden Vorstand der Aufsicht. In seiner Funktion sitzt er in wichtigen Gremien: Er ist Mitglied im Rat der Aufseher (Board of Supervisors) der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA), Mitglied im Europäischen Ausschuss für Systemrisiken und seit 2014 Mitglied im Aufsichtsgremium (Supervisory Board) der Bankenaufsicht (SSM, Single Supervisory Mechanism) der EZB.
In dem Schreiben schilderte Gusenbauer die Lage der Signa in rosigen Farben und bezeichnete die Vorgangsweise der EZB als unerklärlich. In weiterer Folge listete Gusenbauer exemplarisch drei Verkäufe der vergangenen Monate auf und wies Ettl darauf hin, dass die Onsite-Inspections der EZB nicht die aktuelle Marktlage abbildeten. „Die zentralen, innerstädtischen Lagen eines Großteils des Signa-Portfolios zeigen, dass selbst in einem schwierigen Markt-Umfeld, wie es zweifelsfrei dzt. vorherrscht, solche außergewöhnlichen Immobilienlagen in deutschen und österreichischen Städten gefragt sind und die Immobilienwerte eine hohe Stabilität aufweisen“, heißt es dort.
Gusenbauer seit Ausscheiden aus Politik für Benkos Gruppe tätig
Im Namen von Signa schrieb Gusenbauer: „Wir bitten Dich um Unterstützung bei der Aufklärung der Sachlage und stehen jederzeit für Gespräche – auch mit Vertretern der EZB – zur Verfügung.“ Drei Monate später meldete Signa Insolvenz an. Aus der FMA hieß es dazu am Dienstag: „Wir bestätigen das Einlangen der E-Mail. Wir haben sie an die Bankenaufsicht der EZB als zuständige Behörde weitergeleitet.“
Zudem ließ der Gründer von Signa – René Benko – schon im Juli 2023 im Zusammenhang mit der EZB-Kritik zwei Bankenprüfer der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) ausfindig machen und schickte ihre Namen mit Lebensläufen versehen an seine beiden Berater, Gusenbauer und den einstigen konservativen Bundeskanzler Sebastian Kurz. Kurz, der auf die Benko-Mail mit den Werdegängen mit einem knappen „Danke“ geantwortet hatte, will laut einem Sprecher jedoch „keine Aktivitäten“ zu diesem delikaten Thema entwickelt haben. Die Nationalbank kündigte eine genaue Prüfung der Vorgänge an.
Gusenbauer war bald nach seinem Ausscheiden aus der Politik ab Februar 2009 in Benkos Gruppe tätig und legte vor allem für seine Beratungen im Zusammenhang mit den Stützungen der deutschen Steuerzahler für Galeria Karstadt Kaufhof zwischen 2020 und 2023 hohe Honorare. Im Februar dieses Jahres gab er bekannt, Mitte März aus dem Aufsichtsrat der insolventen Signa-Töchter Prime und Development auszuscheiden.
Signa Retail insolvent
In der Insolvenzkaskade der für Europa wichtigen Gruppe ist nun ein weiterer Fall aufgetreten. Die Signa Retail GmbH ist zahlungsunfähig, wie die österreichischen Gläubigerschutzverbände AKV, Creditreform und KSV1870 mitteilten. Schulden von 1,13 Milliarden Euro steht ein Vermögen von nur 1,51 Millionen Euro gegenüber. Dennoch strebt das Unternehmen ein Sanierungsverfahren an, dafür bietet es 20 Prozent Quote innerhalb von zwei Jahren. Das Handelsgericht Wien hat den Masseverwalter der Holding, Christof Stapf zum Insolvenzverwalter und Leonhard Bauder zu dessen Stellvertreter bestellt. Die allgemeine Prüfungstagsatzung wurde für den 20. Juni anberaumt, die Sanierungsplan- und Schlussrechnungstagsatzung für den 25. Juli 2024.
Die Signa Holding hält direkt und indirekt gut 95 Prozent an der Signa Retail. Durch die Pleite der Muttergesellschaft wurden auf Ebene der Signa Retail abgegebene Haftungszusagen schlagend und konnten mangels Finanzierung durch die Gesellschafter nicht mehr bedient werden, teilte der AKV mit. Aktuell hält die Signa Retail mittelbare Beteiligungen an diversen Unternehmensgruppen im Handel. Dazu zählen unter anderem GKK, die KaDeWe-Group, Globus und die Selfridges Group. Doch hat Signa Retail hat nur einen Beschäftigten und kaum laufende Kosten, daher sei die Fortführung des Unternehmens wirtschaftlich darstellbar, wie Kreditschützer die Eigendarstellung zitieren.
Seit der Insolvenz der Holding im vorigen Dezember sind zahlreiche Ableger ebenfalls zahlungsunfähig geworden. In Summe ist es mit über 10 Milliarden Euro an Passiva die mit Abstand größte Insolvenz in Österreichs Wirtschaftsgeschichte und wegen der zahlreichen Verbindungen in andere Länder auch ein bedeutender Fall in Europa. Die Verbindlichkeiten der Holding belaufen ich auf fünf Milliarden Euro.
Es folgten die Immoflaggschiffe Prime und Development, die Kaufhaustochter Galeria, die KaDeWe-Gruppe, das im Bau befindliche Wiener Luxuskaufhaus Lamarr und schließlich auch Benko als Einzelunternehmer, gegen den 2 Milliarden Euro an Forderungen gestellt wurden. In Summe gab es ein Dutzend Insolvenzen in Österreich und über hundert in Deutschland in dem verschachtelten und intransparenten Unternehmensgeflecht mit tausend Beteiligungen.