«Wartezeit über ein Jahr» – Psychiater warnt
Die Zahl der Spitalaufenthalte aufgrund psychischer Erkrankungen hat drastisch zugenommen – ohne Anzeichen einer Besserung. Der Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie sieht diesen Zustand als Bedrohung für die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen.
Wer ärztliche Hilfe benötigt, möchte kein Jahr auf einen Termin warten. Für Kinder und Jugendliche, die psychische Probleme haben, ist aber genau das Realität. Schon während und nach der Corona-Pandemie haben die Notfälle in Kinder- und Jugendpsychiatrien zugenommen.
«Die Situation hat sich nicht verändert. Im Gegenteil, der Versorgungsnotstand wird immer grösser», sagt nun Michael Kaess, der Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie der UPD. Er berichtet, dass die Anzahl der Notfallbehandlungen im Jahr 2023 ein neues Rekordniveau erreicht hat. «Vor allem Jugendliche mit Suizidgefahr und Depressionen sind besonders häufig», so der Direktor.
Kaess wendet sich deshalb an die Politik – mit der Bitte, für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen. Seit dem Jahr 2021 gab es zwar finanzielle Unterstützungen und kurzfristige Projekte, die temporär geholfen hätten, jedoch sei die Auslastung der Klinik immer weiter angestiegen.
Wartezeit von über 12 Monaten
Die Kinder- und Jugendpsychiatrie werde von den Krankenkassen schlecht finanziert. Das spiegle sich in den Löhnen der Ärztinnen und Ärzte und der Kostendeckung der Spitäler.
Psychische Erkrankungen würden immer noch stigmatisiert und nicht als ähnlich schwerwiegend angesehen wie körperliche Beschwerden, so der Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie der UPD.
Gerade bei jungen Personen sei die Heilungschance gross. «Jedoch muss man die Patienten schnell behandeln können, aber viele warten zurzeit über zwölf Monate auf einen ambulanten Behandlungsplatz», so Kaess weiter. Manchmal würden Eltern sogar die Motivation verlieren, noch einen Therapieplatz zu finden. «Beim zwanzigsten Telefon und der zwanzigsten Absage ist das nicht verwunderlich», betont der Chefarzt.
«Es geht um Anerkennung und Gleichberechtigung»
Psychische Erkrankungen würden immer noch stigmatisiert und nicht als ähnlich schwerwiegend angesehen wie körperliche Beschwerden. «Wenn die psychiatrische Versorgung schlechter bezahlt wird, ist das auch eine Form der Stigmatisierung.» Es müsse attraktiver werden, in diesem Bereich als Ärztin oder Arzt zu arbeiten. «Wir brauchen langfristig mehr Fachkräfte, sonst gibt es künftig irgendwann keine Kinder- und Jugendpsychiatrie mehr.»
«Wenn die psychiatrische Versorgung schlechter bezahlt wird, ist das auch eine Form der Stigmatisierung.»
Das sagt die Politik
Für Regine Sauter, Präsidentin des Spitalverbandes H+, ist klar, dass der Bund notwendige Schritte einleiten muss, um die Versorgung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in der gesamten Schweiz zu gewährleisten. Darum reicht die FDP-Nationalrätin einen Vorstoss ein. «Es gibt eine Unterversorgung, dem wollen wir mit dieser Motion begegnen. Die Tarifstruktur muss stimmen und die Leistungen sollen adäquat finanziert werden. Heute ist es finanziell zu wenig attraktiv, in diesem Berufsfeld zu arbeiten», so Sauter.
SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr sieht das Problem in der Gesellschaft und warnt vor mehr Staat. «Es ist so, dass wir heute immer mehr psychische Erkrankungen haben. Nicht nur bei den Jugendlichen, sondern auch bei den Erwachsenen, ein Problem, dem ich auch mit gemischten Gefühlen entgegenblicke und als problematisch erachte.» Jedoch sehe sie die Verantwortung mehr bei den Eltern. «Der Medienkonsum, bei den Jungen wie bei den Älteren, ist zu hoch und bei den Kindern kommt oft noch dazu, dass die Eltern bewusst oder unbewusst zu wenig Zeit für die Kinder haben», so Gutjahr.