Volocopter: Mit deutschen Flugtaxis durch die Welt
Der Volocopter 2X, ein elektrisch betriebenes senkrecht startendes und landendes Luftfahrzeug (eVTOL), fliegt bei einem Testflug in New York.
Die Kabine sieht aus wie die vieler herkömmlicher Helikopter. Die Konstruktion, die das elektrische Flugtaxi Volocity des baden-württembergischen Unternehmens Volocopter in die Luft bringt, erinnert jedoch an ein kreisrundes Geweih mit 18 Einzelrotoren. Auch wenn das futuristische Fluggerät schon mehr als 2000 Testflüge in Europa, den USA und Japan absolviert hat, fehlt für den kommerziellen Betrieb weiter die Zulassung durch die europäische Luftfahrtbehörde EASA.
Klar ist, dass Volocopter Geld braucht, um die Zeit bis zur Ausstellung der offiziellen Flugerlaubnis zu überstehen. Dass dem Unternehmen im Zuge der angestrebten Zertifizierung kurzfristig das Geld auszugehen droht, weist Volocopter-Chef Dirk Hoke allerdings zurück. „Wir sind in sehr fortgeschrittenen Verhandlungen mit Investoren. Dazu gehören Investoren, die bereits engagiert sind, und eine europäische Investorengruppe, die neu hinzugekommen ist“, sagt Hoke der F.A.Z.
Zu den Geldgebern, die schon Anteilseigner sind, gehören unter anderem die Autohersteller Mercedes und Geely , die saudi-arabische Projektgesellschaft Neom, die Bahn-Tochter Schenker, der Chip-Hersteller Intel oder der Vermögensverwalter Blackrock. „Eine Summe, die wir brauchen, um das Unternehmen bis zur EASA-Zertifizierung zu finanzieren, nenne ich nicht – das macht auch keinen Sinn“, erklärt Hoke.
75 Millionen Euro zur Überbrückung
„Aber niemand in der Branche ist wirtschaftlich und zeitlich so nah an der EASA-Zertifizierung.“ Dem Wirtschaftsmagazin „Capital“ nannte Hoke vor einigen Tagen einen Betrag von 75 Millionen Euro, der ausreiche, um die Zeit bis zur EASA-Zulassung zu überbrücken.
Zuvor hatte sich Volocopter bei der Bundesregierung und den Landesregierungen von Baden-Württemberg und Bayern um staatliche Unterstützung bemüht, die Gespräche, die sich über Monate hinzogen, kamen jedoch nie zu einem erfolgreichen Abschluss. „Wir haben neben den Gesprächen mit dem Bund und den Bundesländern auch immer andere Optionen verfolgt. Mit Bund und Bundesländern gibt es noch sporadische Gespräche“, sagt der frühere Chef der Weltraum- und Verteidigungssparte von Airbus.
Zuerst war eine gemeinschaftliche Finanzierung von Bund und Baden-Württemberg im Gespräch, danach versuchte Volocopter, die bayerische Staatsregierung von einer Förderung zusammen mit Berlin zu überzeugen. Am Ende scheiterte die Unterstützung am Nein der Landesregierungen.
„Absurde“ Diskussion
„Es ist sehr ärgerlich, dass wir in Deutschland neue Geschäftsfelder immer wieder mit etablierten Industrien vergleichen“, sagt Hoke verärgert „Die Diskussion, ob man das Geld für eine 100-Millionen-Euro-Bürgschaft nicht lieber in den öffentlichen Personennahverkehr, der Milliarden benötigt, stecken sollte, ist doch absurd.“
Nach Einschätzung von Mitgliedern der Ampelfraktionen im Bundestag versuchen mehr als hundert Unternehmen auf der Welt, mit Flugtaxis in den Markt einzutreten, darunter sind auch mehrere, mit wesentlich mehr Kapital ausgestattete amerikanische Unternehmen. In Europa will Airbus mit dem im März vorgestellten „City Airbus Next Gen“ den Markt erobern. Wenn das gelinge, gebe es bei dieser Technologie einen großen europäischen Player, heißt es in Berlin. Volocopter hingegen besetze eine kleine Nische, es gebe zu viele Wettbewerber, und das Unternehmen sei zu kapitalschwach, heißt es.
Zwischen dem Bundesverkehrsministerium und der bayerischen Staatsregierung soll offenbar eine Art politisches Kompensationsgeschäft zum gegenseitigen Nutzen diskutiert worden sein: Die bayerische Regierung habe ein großes Interesse daran, dass das in Gauting ansässige Luftfahrtunternehmen Lilium weiterhin am Markt bleibe.
FDP will Volocopter helfen
In der Ampelregierung gibt es seitens der FDP den Wunsch, Volocopter unter die Arme zu greifen. Dementsprechend soll das Bundesverkehrsministerium der bayerischen Regierung in Aussicht gestellt haben, im Fall Lilium zu helfen, wenn die Bayern die 50 Millionen Euro für die gemeinschaftliche Finanzierung von Volocopter übernehmen würden.
Der mittelstandspolitische Sprecher der FDP-Fraktion im baden-württembergischen Landtag, Erik Schweickert, befürchtet, dass die von Volocopter entwickelte Technologie in die Hände chinesischer Unternehmen fallen könnte, wenn es nicht überleben sollte. „Wir sollten nicht zulassen, dass Volocopter als Technologieführer während der abschließenden Lizenzierungsverfahren seiner Produkte von Bruchsal nach München ziehen muss oder komplett von chinesischen Investoren aufgekauft wird“, sagte Schweickert. „Es glaubt doch keiner, dass neue chinesische Eigentümer die Hochtechnologie in Baden-Württemberg herstellen und zusammenbauen lassen.“
Diese Argumente führt auch Volocopter-Chef Hoke an. „China und die USA haben diese Technologien bereits in ihrer nationalen Strategie verankert oder unterstützen die Unternehmen massiv – nur wir in Deutschland zögern schon wieder“, sagt Hoke. „Der Markt wird kommen, was bleibt, ist die Frage, ob mit einem europäischen oder deutschen Player oder nicht.“
Die Olympischen Spiele als Chance
In Stuttgart wird derzeit erwogen, nochmals weitere Finanzierungsmöglichkeiten jenseits einer Landesbürgschaft zu prüfen, das könne auf der Grundlage aktueller Zahlen aus dem Unternehmen und auf der Grundlage einer aktualisierten Risikobewertung geschehen; allerdings schätze man die Handlungsmöglichkeiten weiterhin begrenzt ein.
Die Olympischen Sommerspiele in Paris sollen die große Bühne werden, auf der Volocopter seine Flugtaxis der Weltöffentlichkeit präsentiert, ehe es anschließend nach Rom, Osaka und Saudi-Arabien geht – an diesem Plan hält Hoke trotz aller Schwierigkeiten fest. „Der Plan, im Sommer in Paris zu fliegen, besteht weiterhin, voraussichtlich mit einem sogenannten ,permit to fly’, erteilt von der EASA und den nationalen Behörden“, erklärt Hoke der F.A.Z.
Vorgesehen ist, neben dem Piloten jeweils einen Passagier auf bis zu fünf bestimmten Routen hin- und herzufliegen. Auch die bis zu fünf Start- und Landeplätze sind festgelegt. Dazu gehören die Flughäfen Le Bourget und Charles-de-Gaulle im Nordosten von Paris ebenso wie der südwestlich von Paris gelegene Hubschrauberlandeplatz Issy-les-Moulineaux oder eine schwimmende Plattform auf der Seine.
Ein Flugtaxi je Route
Weil die Reichweite der Flugtaxis zunächst maximal 21 Kilometer betragen soll, sind größere Distanzen nicht drin. Es wird zum Beispiel nicht möglich sein, Passagiere von Le Bourget oder Charles-de-Gaulle in die Pariser Innenstadt zu befördern. Zudem soll nur ein Flugtaxi je Route im Einsatz sein, also mit fünf eine sehr überschaubare Zahl. Zwei der geplanten Routen sind außerdem reine Rundstreckenflüge, sodass die Volocopter-Flüge in diesem Sommer alles in allem mehr touristischen Charakter haben, als dass sie in der Millionenmetropole konventionelle Verkehrsmittel auch nur ansatzweise ersetzen könnten.
Auch deshalb hält man im sozialistisch regierten Pariser Rathaus nicht viel von dem Projekt und sieht darin eine umweltschädliche Spielerei für Reiche. Blockieren können die Lokalpolitiker die Genehmigung der Flugrouten im zentralistischen Frankreich aber nicht. Staatliche Instanzen halten die Zügel in der Hand, und im Verkehrsministerium gab es bislang viel Rückhalt für Volocopter.
Geschäftsführer Hoke pflegt seit seiner Airbus-Zeit gute Kontakte in die französische Spitzenpolitik bis hinauf zum Élysée-Palast. An Zuspruch in Frankreich mit seiner lebendigen Luftfahrtszene mangelt es auch sonst nicht. Die rechtsbürgerlich regierte Pariser Metropolregion Île-de-France steht hinter dem Projekt.
Den Pariser Flughafenbetreiber ADP hat Volocopter sogar als Kooperationspartner gewinnen können. Für das Unternehmen wären die Werbeflüge in Paris ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Beweis, dass das Geschäftsmodell von Volocopter tragfähig ist.
Der Chef des einst belächelten Start-ups hat daran keine Zweifel. „Ich bin bereit, jede Wette einzugehen, dass diese Industrie in den nächsten Jahren massiv skalieren wird“, erklärt Hoke. Voraussetzung ist allerdings, dass er die laufenden Investorengespräche zu einem erfolgreichen Abschluss bringt.