Vier Anklagen: Es läuft gut für Donald Trump
Manhatten am 18. April: Präsidentschaftskandidat Donald Trump verlässt den Gerichtsssaal.
Wenn Donald Trump eines nicht liegt, dann ist das Schweigen. Und so gibt es im Moment zwei Versionen des Mannes, der im November ein zweites Mal amerikanischer Präsident werden will. Die eine sitzt vier Tage die Woche in Saal 1530 des Kriminalgerichts in Lower Manhattan und ist überraschend zurückhaltend. Die ersten zwei Wochen des Schweigegeld-Strafprozesses gegen den Republikaner sind vorbei, und noch hat Trump sich im Gerichtssaal keine Ausrutscher geleistet. Er flüstert mit seinen Anwälten, schüttelt mal den Kopf, blättert in Dokumenten.
Umso weniger hält Trump sich dagegen in den sozialen Medien zurück und bei seinen Auftritten außerhalb des Gerichtssaals. Er dürfe dort ja nichts sagen, könne nur zuhören, behauptete er vergangene Woche vor Journalisten und sagte dann einiges. Etwa, dass der ganze Fall ein Betrug sei und gekippt werden müsse oder dass die Äußerungsverbote für ihn verfassungswidrig seien. In seinem Netzwerk „Truth Social“ ging es später weiter: Der Richter sei parteiisch und müsse sich zurückziehen, das Gericht sei ein Witz, die „New Yorker Kabale“ überhaupt das Werk der Demokraten.
Sein Team will Trump als Opfer darstellen
Ungewohnt zurückhaltend: Bisher hat sich Trump im Gerichtssaal keinen Ausrutscher geleistet.
Die Bezirksstaatsanwaltschaft New York wirft Trump vor, Geschäftsunterlagen mit der Absicht gefälscht zu haben, Einfluss auf die Präsidentenwahl 2016 zu nehmen. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten, dass ein früherer Präsident in einem Strafprozess vor Gericht steht. Trump lenkt davon ab, indem er die Erzählung einer angeblichen Hexenjagd täglich fortschreibt. So behauptete er jüngst, dass Tausende Unterstützer nicht vor das Gericht gelassen worden seien (nicht wahr). Er beschwert sich über den angeblichen Maulkorb (der unter anderem für Äußerungen über Jurymitglieder und Zeugen gilt, weil Trump diese bedroht hatte). Und er erweckt den Anschein einer politisch motivierten Justiz (wie er es bei allen vier Anklagen tut, die gegen ihn erhoben wurden).
Polizisten halten Demonstranten vor dem Kriminalgerichts in Lower Manhattan auf Abstand.
Im Wahlkampf für sechs Wochen oder länger ständig vor Gericht erscheinen zu müssen ist für einen Präsidentschaftskandidaten natürlich ein Problem. Doch Trumps Team hat aus der Not eine Tugend gemacht. Sein Kampf gegen die 88 Anklagepunkte in vier Strafprozessen ist ein zentraler Punkt der Kampagne: Trump als Opfer, nicht als Täter.
Dabei spielt es ihm in die Hände, dass es ausgerechnet in New York zum ersten Prozess kam. Die Anklage gilt juristisch als die schwächste von allen. Auch wenn der Fall auf den ersten Blick hat, was es für einen Skandal braucht: mehrere angebliche Affären Trumps, Hunderttausende Euro Schweigegeld und heftige Bemühungen, diese Geschichten vor der Präsidentenwahl 2016 unter den Teppich zu kehren.
Trump ließ der 32 Jahre jüngeren Pornodarstellerin Stormy Daniels der Anklage zufolge über seinen Anwalt Michael Cohen 130.000 Dollar zahlen, damit sie über eine angebliche Affäre 2006 schwieg. Außerdem kaufte die Muttergesellschaft der Boulevardzeitung „National Enquirer“, mit deren Herausgeber David Pecker Trump damals freundschaftlich verbunden war, zwei Geschichten für insgesamt 180.000 Dollar, um sie anschließend zu begraben. In dem einen Fall berichtete ein Pförtner über ein außereheliches Kind Trumps, im anderen Fall behauptete das Playboy-Model Karen McDougal, in den Jahren 2006 und 2007 ein zehn Monate langes Verhältnis mit dem verheirateten Trump gehabt zu haben.
Former US President Donald Trump arrives for the second day of his trial for allegedly covering up hush money payments linked to extramarital affairs, at Manhattan Criminal Court in New York City on April 16, 2024. Trump said April 15, 2024 that he has a “real problem” with the judge handling his New York criminal case — and that he should be on the campaign trail instead of in court. “We’re not going to be given a fair trial,” Trump told reporters outside the Manhattan courtroom after jury selection ended for the day in his “hush money” trial, one of four separate criminal cases he faces. (Photo by JUSTIN LANE / POOL / AFP)
Stormy Daniels’ Geschichte im Herbst 2016 aus der Öffentlichkeit zu halten war besonders wichtig für Trump. Keinen Monat vor der Wahl musste er ohnehin einen Skandal aussitzen: seine durch einen Zeitungsbericht publik gewordenen abfälligen Bemerkungen über Frauen. Am Set einer Fernsehshow hatte er damals unter anderem gesagt, er könne jeder Frau in den Schritt greifen („Grab them by the pussy, you can do anything“).
Strafbar ist jedoch weder die Schweigegeldzahlung noch die Vereinbarung, negative Geschichten zu unterdrücken. Die Anklage des Staatsanwalts Alvin Bragg ist komplizierter. Im Kern geht es um die Frage, ob Trump das gezahlte Schweigegeld als Wahlkampfausgabe hätte deklarieren müssen. Angeklagt ist der frühere Präsident deshalb wegen 34 Fällen von Geschäftsunterlagenfälschung, mit denen er ein anderes kriminelles Vorgehen vertuscht haben soll: einen Verstoß gegen das Wahlkampffinanzierungsgesetz. Das Vergehen der Fälschung von Geschäftsunterlagen wäre so betrachtet ein Verbrechen, das mit einer Freiheitsstrafe von bis zu vier Jahren geahndet werden kann.
Staatsanwaltschaft spricht von Wahlbetrug
Former President Donald Trump at a campaign event in Portsmouth, N.H, on Wednesday night, Jan. 17, 2024. Former South Carolina Gov. Nikki Haley, a candidate for the Republican presidential nomination, has been careful about how and when she criticizes the former president. New Hampshire will test her approach. (Doug Mills/The New York Times/Redux/laif)
Die Staatsanwaltschaft zielte in den Eröffnungsplädoyers denn auch auf die große Geschichte hinter der Anklage. Es handele sich um eine „kriminelle Verschwörung und Vertuschung“, durch die Trump die Präsidentenwahl habe beeinflussen wollen. Es sei „schlicht und einfach Wahlbetrug“. Doch es bleibt dabei, dass erst die als Rechtskosten verbuchte Rückzahlung an Cohen, die Trump auf 420.000 Dollar hochrechnete, strafrechtlich relevant ist. Trumps Verteidigung stellte die ausgestellten Schecks als belanglos dar: „Nichts davon“ sei ein Verbrechen gewesen.
Trumps einzigartige juristische Lage führte am Donnerstag dazu, dass er in gleich zwei Gerichtssälen Gegenstand der Debatte war. Während im Kriminalgericht in New York der frühere „Enquirer“-Herausgeber Pecker als Zeuge gehört wurde, versammelten sich die neun Obersten Richter der Vereinigten Staaten in Washington zu einer Anhörung. Ihnen obliegt die Entscheidung über die komplexeste aller Rechtsfragen, die sich in Bezug auf Trump gerade stellt: Genießt er als früherer amerikanischer Präsident absolute Immunität, wie seine Verteidiger das fordern? Kann er für Handlungen im Rahmen seiner Präsidentschaft also überhaupt belangt werden?
Republican presidential candidate and former President Donald Trump sits in Manhattan state court in New York, Monday, April 23, 2024. (Brendan McDermid/Pool Photo via AP)
Bis die Richter ihre Entscheidung bekannt geben, dauert es vermutlich bis zum Ende der Sitzungsperiode in gut zwei Monaten. Die drei Stunden lange Anhörung ließ jedoch einen Mittelweg vermuten. So könnten künftige Präsidenten keine vollständige Immunität genießen, wohl aber vor Strafverfolgung in Bezug auf in der Verfassung festgeschriebene Aufgaben geschützt sein. Man schreibe damit „eine Regel für die Ewigkeit“, sagte der konservative Richter Neil Gorsuch.
23.04.2024, USA, New York: Donald Trump, ehemaliger Präsident der USA, sitzt in einem Gericht in Manhattan. Foto: Brendan McDermid/Pool Reuters/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Für Trump wäre das trotz der Einschränkungen in zweierlei Hinsicht ein Sieg. Zum einen dürften damit mindestens Teile der Anklage des Sonderermittlers Jack Smith wegen Wahlbetrugs und Trumps Handeln beim Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 hinfällig sein. Vor allem aber machte eine solche Entscheidung es noch unwahrscheinlicher, dass der Prozess in der schwerwiegendsten Anklage gegen Trump noch vor der Präsidentenwahl im November beginnt. Die Angelegenheit könnte zur Definition privater und öffentlicher Aufgaben zunächst an das Berufungsgericht in Washington zurückgegeben werden. Bis das abschließend geklärt wäre, würde der Fall des Sonderermittlers in Washington ruhen.
Wechselwähler lassen sich von den Anklagen beeindrucken
Auch die übrigen beiden Anklagen muss Trump erst einmal nicht fürchten. In Florida, wo er wegen seines Umgangs mit Geheimdokumenten und der Behinderung bundesbehördlicher Ermittlungen angeklagt ist, sollte das Verfahren am 20. Mai beginnen. Das gilt inzwischen jedoch als ausgeschlossen. Trumps Verteidiger haben eine Reihe von Anträgen gestellt, mit denen sie die Anklage kippen wollen und die den Prozess bislang erfolgreich hinauszögern.
Die Anklage gegen Trump wegen versuchten Wahlbetrugs im Bundesstaat Georgia wiederum war jüngst zum Erliegen gekommen, weil sich die Anklägerin Fani Willis selbst vor Gericht verteidigen musste. Den Vorwurf eines möglichen Interessenkonflikts wegen ihrer Beziehung zum zuständigen Sonderstaatsanwalt Nathan Wade sah Richter Scott McAfee schließlich nicht bestätigt, doch ein konkretes Prozessdatum ist bislang nicht im Gespräch.
Trump würde vor allem davon profitieren, sollten sich die Bundesanklagen in Washington und Florida weiter nach hinten verschieben. Wird er im November abermals zum Präsidenten gewählt, gilt es als wahrscheinlich, dass er seinen Justizminister anweist, die Anklagen fallen zu lassen. In den Bundesstaaten New York und Georgia könnte er auch als Präsident keinen Einfluss nehmen.
Doch auch wenn gerade vieles in Trumps Sinne läuft, kann er 13 Monate nach der ersten historischen Anklage eines (früheren) Präsidenten nicht nur zuversichtlich auf die Wahl blicken. Bei seinen Stammwählern hat er zwar wenig zu befürchten. Die Erzählung des politisch Verfolgten hat ihn dort weiter in der Heldenrolle gefestigt. Doch das allein wird nicht für einen Sieg reichen: Wechselwähler lassen sich von den Anklagen durchaus beeindrucken.
In einer Umfrage gab neulich mehr als ein Drittel der unabhängigen Wähler an, ein Schuldspruch in New York würde es unwahrscheinlicher machen, dass sie für Trump stimmten. Gut die Hälfte dieser Gruppe hielte ihn in diesem Fall außerdem für schuldig (im Vergleich zu 14 Prozent der Republikaner und 86 Prozent der Demokraten). Bedenkt man, dass Biden einige umkämpfte Bundesstaaten vor vier Jahren mit nur etwas mehr als 10.000 Stimmen Vorsprung gewonnen hat, kann Trump das nicht ignorieren.
Während sein Herausforderer mit juristischen Scherereien zu tun hat, konnte Präsident Joe Biden zuletzt einige wichtige politische Siege einfahren. Nicht nur beschloss der Kongress nach Monaten der Blockade in dieser Woche parteiübergreifend das lang ersehnte Ukrainehilfspaket in Höhe von 61 Milliarden Dollar – ein Schritt, den Trump noch vor einigen Wochen zu verhindern versucht hatte. Biden ist es auch gelungen, den Verbündeten Israel nach der Attacke Irans von einer harten Vergeltung abzuhalten.
Hinzu kommt, dass Biden unter Amerikanern in den vergangenen Wochen beliebter geworden ist. Zwar sehen Umfragen den Präsidenten in entscheidenden Swing States immer noch hinter Trump. Doch der Demokrat hat in einer Reihe landesweiter Umfragen gleichgezogen. Da dürfte es für Trump einen entscheidenden Unterschied machen, wenn er bis November kein zweites oder gar drittes Mal wochenlang im Gerichtssaal sitzen muss.