Verschwundenes Geld, drohender Rauswurf und eingeschränkte Mitsprache: Was hinter der Idylle der Zürcher Wohnbaugenossenschaften zum Vorschein kommt
Der Ruf mancher Genossenschaften bröckelt wie hier der Verputz. Karin Hofer / NZZ
In der Stadt Zürich gelten sie fast schon als heiliger Gral für Wohnungssuchende: die Baugenossenschaften. Bei vielen Wohnungsmietern einen schlechten Ruf haben Private: Institutionelle Anleger, die Liegenschaften besitzen, sind als «Immobilienhaie» verschrien. Für Mieterinnen und Mieter in den «Gnossis» scheint die Welt dagegen in Ordnung zu sein.
Sie schätzen es, dass mit ihrer Miete keine Gewinne erzielt werden. Sie müssen nicht befürchten, aus ihrer Wohnung geworfen zu werden, weil ein Neubau geplant ist. An der Generalversammlung entscheiden die Mitglieder gemeinsam über die Zukunft.
Doch diese genossenschaftliche Idylle ist trügerisch. Sie wird in jüngster Zeit zunehmend durch Eklats, Entlassungen, verschwundenes Geld und zweifelhafte Verwaltungsstrukturen gestört. Zuletzt in der Baugenossenschaft Frohheim (BGF), die 16 Siedlungen mit insgesamt 1094 Wohnungen im Kanton Zürich besitzt.
Für den 1. April 2024 geplante Mietzinserhöhungen sorgten bei den über tausend Genossenschafterinnen und Genossenschaftern für Unmut. Auch in anderen Baugenossenschaften, darunter die Allgemeine Baugenossenschaft Zürich (ABZ) oder «Sunnige Hof», stiegen die Mieten, allerdings nur um 5 bis 8 Prozent. Bei der BGF hingegen waren es satte 30 Prozent.
Im Januar überschlugen sich die Ereignisse in der BGF: Der langjährige Geschäftsführer wurde fristlos entlassen, der Vorstandspräsident trat per sofort zurück. In einem Schreiben des Vorstands an die Genossenschaftsmitglieder heisst es: «Hintergrund sind potenzielle finanzielle Unregelmässigkeiten» und: Es gelte die Unschuldsvermutung. Die BGF beauftragte einen externen Anwalt damit, die Vorkommnisse zu untersuchen.
Nach dem Anwalt ermittelt nun eine interne Kommission
Im April habe die BGF ihre Mitglieder an einer ausserordentlichen Generalversammlung (GV) über die Erkenntnisse des externen Juristen informiert, heisst es auf der Plattform «Inside Paradeplatz».
Die Untersuchung habe die Verdachtsmomente gegen das ehemalige Führungsduo bestätigt, heisst es dort weiter. Die genaue Höhe des finanziellen Schadens liege nach wie vor im Dunkeln, die Rede ist «von einer Million Franken oder mehr». Trotzdem verzichte der Vorstand auf eine Anzeige. Man erhoffe sich, dass die alte Führung der BGF das Geld freiwillig zurückzahlen werde.
Das Vorstandspräsidium wie auch der Posten an der Spitze der Geschäftsführung der BGF sind nach wie vor vakant. Derzeit führt der Vizepräsident Enrico Magro die Geschäfte. Er gehört seit vergangenem Sommer zum Vorstand.
Zu den jüngsten Entwicklungen will sich Magro auf Anfrage der NZZ nicht äussern. Er verweist auf die laufende Untersuchung der Genossenschaftlichen Untersuchungskommission (GUK).
Das vierköpfige Gremium wurde von der Generalversammlung eingesetzt und besteht aus Magro, zwei weiteren Genossenschaftsmitgliedern und der Delegierten der Stadt Zürich, Gina Balsiger. Die GUK soll nun klären, was wann schiefgelaufen ist. Zudem soll sie «die Unternehmensführung und deren Kontrollstrukturen (Compliance-Strukturen) analysieren» und Verbesserungsvorschläge formulieren, heisst es auf der Webseite der Genossenschaft.
Wenn in der Genossenschaft Geld verschwindet
Voraussichtlich bis zur ordentlichen GV 2025 soll die GUK ihre Überprüfung abgeschlossen haben und der Versammlung einen Bericht dazu vorlegen. Dieser soll auch die Frage beantworten, wie es möglich war, dass der Geschäftsführer und der Vorstandspräsident – seit 2013 beziehungsweise seit 2007 im Amt – die Genossenschaft offenbar über Jahre an der Nase herumführen konnten. Gemäss Statuten gibt es keine Amtszeitbeschränkung für Vorstandsmitglieder.
Hinzu kommt, dass der entlassene Geschäftsführer der BGF kein unbeschriebenes Blatt ist. Bereits 2015 kam es im Zusammenhang mit dem Neubau der Stammsiedlung Brüderhofweg in Zürich Unterstrass zu Reibereien zwischen Bewohnern und der Geschäftsführung.
Gemäss Berichten der Tamedia-Zeitungen wurde beispielsweise versucht, Mitglieder mit einer 4000-Franken-Abfindung zum Austritt aus der Genossenschaft zu bewegen. Wer das entsprechende Schreiben nicht innert dreitägiger Frist unterschreibe, werde aus der Genossenschaft ausgeschlossen, hiess es.
Der Geschäftsführer wies damals sämtliche Vorwürfe zurück. Die BGF sei bemüht, die Umsiedlung so sozialverträglich wie möglich zu gestalten.
Der Zürcher Regionalverband der Wohnbaugenossenschaften kritisierte das Vorgehen der BGF. Mietende auf diese Art zum Austritt zu drängen, sei bei Genossenschaften mehr als unüblich.
Frohheim ist nicht die einzige Genossenschaft, deren Leitung in den letzten Jahren für Schlagzeilen gesorgt hat: 2018 wurde der ehemalige Geschäftsführer und Präsident der «Baugenossenschaft Zürich 2» zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, weil er rund 850 000 Franken von seiner Arbeitgeberin abgezweigt hatte.
Im Falle der Baugenossenschaft Letten wurden 2020 mehrere Mitarbeitende wegen finanzieller Unregelmässigkeiten freigestellt. Der Geschäftsführer, der seinem Vater in diese Position gefolgt war, wurde schliesslich entlassen. Über die Jahre soll er mehrere hunderttausend Franken veruntreut haben.
«Kein grundsätzliches Problem»
Andreas Wirz ist seit 2023 Präsident des Verbandes Wohnbaugenossenschaften Zürich. Dass der Eklat in der Genossenschaft Frohheim so «viel Aufmerksamkeit bekommt», hält er für nachvollziehbar. Daraus aber auf ein grundsätzliches Problem zu schliessen, wäre seines Erachtens übertrieben. «Es gab in den letzten Jahren vielleicht drei Fälle von Unregelmässigkeiten bei Genossenschaften.» Verschwindend wenige also, wenn man bedenke, dass allein sein Verband über 270 Mitglieder habe.
Natürlich seien auch Genossenschaften nicht unfehlbar, sagt Wirz. Die Organisationsform sei aber höchst transparent. Der Verband helfe mit Empfehlungen und Richtlinien. Er sei überzeugt, dass Genossenschaften zukunftsträchtig seien. Die derzeitigen Bemühungen der BGF, die jüngsten Vorfälle aufzuarbeiten, zeigten zudem, dass die Genossenschaft die Sache ernst nehme.
«Im Gegensatz zu privaten Immobilienfirmen sind Genossenschaften demokratisch organisiert», fährt Wirz fort. Ein eindeutiger Vorteil für die Mitglieder. Es bedeute aber auch, dass sie ihren Pflichten an der Generalversammlung nachkommen müssten und fehlbare Vorstände nicht Jahr für Jahr wiederwählten.
Weiter hätten die Genossenschaftsmitglieder die Möglichkeit, Themen, die ihnen unter den Nägeln brennten, als Traktanden für die Generalversammlung vorzuschlagen, sagt Wirz.
Ein Streit um einen Spielplatz
Doch was, wenn der Vorstand den Antrag für die Traktandenliste ablehnt?
In der Geschichte, die nun folgt, geht es um ein Detail. Die Episode zeigt aber, dass Genossenschaftsvorstände durchaus Möglichkeiten haben, die Mitsprache einzuschränken.
Paul Kunz (Name geändert), Mitglied der Baugenossenschaft Brunnenhof (BBZ), die unter anderem in Schwerzenbach und Zürich Siedlungen besitzt, hat diese Erfahrung gemacht. Seinen richtigen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen. Konkret geht es um den ausgebauten Spielplatz in seiner Siedlung.
Seit dem Ausbau seien dort nun bis spät in die Nacht Kinder und Jugendliche aus der Siedlung und dem umliegenden Quartier anzutreffen. Der Lärm, insbesondere von Fuss- und Basketballspielen, sei unerträglich.
Gemeinsam mit 13 Nachbarinnen und Nachbarn des gleichen Gebäudes hat Kunz eine Sammelbeschwerde an die Verwaltung geschickt.
Es folgte ein Schreiben der Verwaltung an die Bewohner. Doch dies habe am hohen Lärmpegel nichts geändert, sagt Kunz. So stellte er einen Antrag, die Spielplatzthematik und ein allfälliges Basketballverbot an der nächsten Generalversammlung zu traktandieren.
Dies allerdings ohne Erfolg: Sein Anliegen falle nicht in die Kompetenz der GV, heisst es im Antwortschreiben der BBZ. Der Vorstandspräsident Matthias Drabe sagt, es stehe dem Vorstand zwar frei, auch solche Fälle an der GV einzubringen. Das geschehe dann, wenn ein Thema die ganze Genossenschaft betreffe. Bei Kunz gehe es aber um ein allzu lokales Anliegen.
Zudem sei der kritisierte Basketballkorb inzwischen entfernt worden, sagt Drabe. Auch deshalb sehe der Vorstand keine Dringlichkeit, ein Basketballverbot für einen Spielplatz zu traktandieren.
Die Schriftwechsel zwischen Kunz und der BBZ lassen auf ein angespanntes Verhältnis schliessen. Mindestens einmal wurde Kunz mit dem Ausschluss aus der Genossenschaft gedroht. Im Rahmen eines Schlichtungsverfahrens habe der Anwalt der BBZ Kunz Geld geboten, damit er ausziehe. Für Kunz, der auf die günstige Wohnung angewiesen ist, keine Option.
Drabe bestätigt, dass man Kunz eine «Auszugsentschädigung» angeboten habe. Wenn eine gemeinsame Verbesserung nicht möglich erscheine, könne es für alle Beteiligten zielführender sein, eine grundsätzliche Veränderung der Situation anzuregen. Oft komme das aber nicht vor. In der BBZ habe es in den letzten zwanzig Jahren keinen anderen Fall gegeben.
«Es menschelt in Genossenschaften»
Walter Angst vom Zürcher Mieterverband plädiert dafür, dass der Vorstand Anliegen von Genossenschafterinnen und Genossenschaftern der GV vorlegt. «Notfalls kann man an der Generalversammlung auch darüber abstimmen lassen, ob eine Diskussion stattfinden soll.»
Besonders kritisch sieht es Angst, wenn Genossenschaften ihren Mitgliedern mit dem Ausschluss drohen. Es sei unschön, wenn man Mitglieder zum Auszug bewegen wolle, statt sich mit ihnen auseinanderzusetzen, sagt Angst und fasst zusammen: «Auch in Genossenschaften menschelt es – manchmal sogar etwas mehr als in anderen professionell geführten Unternehmen.»