Unangemessene Bewerbungsgespräche: Wie Unternehmen zu weit gehen – und was Bewerber tun können
Tiergeräusche, Fragen nach der Herkunft oder dem Kinderwunsch: Was Bewerberinnen und Bewerber in Vorstellungsgesprächen erleben, ist erschreckend – weil viele ihre Rechte nicht kennen.
Unangemessene Bewerbungsgespräche: Wie Unternehmen zu weit gehen – und was Bewerber tun können
Meistens sind schon die Minuten vor dem Vorstellungsgespräch die schlimmsten: Bin ich gut vorbereitet? Passend angezogen? Spreche ich wirklich nicht zu schnell? Manchmal aber wird das Bewerbungsgespräch selbst noch viel schlimmer. Wie schlimm, davon berichteten Betroffene nun der britischen BBC.
Da ist etwa die Bewerberin Aixin Fu, die sich zum Mindestlohn für einen Job an einer Universität beworben hatte. Es sei eine »bizarre Erfahrung« gewesen, erzählte sie dem Sender. Plötzlich seien sie und ihre Mitbewerber und Mitbewerberinnen aufgefordert worden, auf Händen und Knien zu kriechen und wie eine Kuh zu muhen, so Fu. »Das taten wir drei bis vier Minuten lang«, sagt sie. Sie habe den Gruppenzwang gespürt und sich damals sehr darüber geärgert.
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Gruppenzwang und bizarre Erlebnisse
Frustriert war auch Pearl Kasirye, die sich als Content Marketing Managerin für einen PR-Job bewarb, den sie teilweise aus dem Home Office für eine Modemarke in Mailand erledigen sollte. Kasirye lebt in London und verließ Uganda als Kind, um in Europa zu leben und zu studieren.
Sie sagt, der Arbeitgeber habe im Bewerbungsgespräch darauf bestanden, ihr Gehalt am ugandischen Durchschnitt zu bemessen – und nicht an dem in London. Sie beschloss daraufhin, ihre Bewerbung zurückzuziehen. Andere Menschen berichteten der BBC über unangemessene Fragen nach dem Kinderwunsch oder dem Alter.
Ist es in Ordnung, nach der Schwangerschaft zu fragen?
Auch in Deutschland beantworten Bewerberinnen und Bewerber im Vorstellungsgespräch immer wieder Fragen, die ein Unternehmen gar nicht stellen dürfte. Das hat eine Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ergeben. Demnach sind viele Bewerber und Bewerberinnen für solche Fragen nicht ausreichend sensibilisiert.
Die Befragung unter knapp 1000 telefonisch interviewten Personen zeigte schon im Jahr 2018 bedenkliche Ergebnisse. Damals gingen etwa 39 Prozent der Interviewten davon aus, dass Frauen in Bewerbungsgesprächen gefragt werden dürften, ob sie schwanger seien. Die Befragten sahen das Interesse des Chefs als gerechtfertigt an, weil er dadurch besser planen könne. Das bewerteten sie höher als den Schutz der Bewerberin vor Diskriminierung.
Auch die Frage nach der Religions- oder Konfessionszugehörigkeit durch den Arbeitgeber im Bewerbungsgespräch hielten 29 Prozent der Befragten für zulässig. Tatsächlich ist die Frage nur erlaubt, wenn sich jemand bei Religionsgemeinschaften und ihnen zugeordneten Einrichtungen, etwa der Caritas, bewirbt. Dort kann die Zugehörigkeit zur jeweiligen Konfession zur Bedingung für eine Beschäftigung gemacht werden, wenn dies nach dem kirchlichen Selbstverständnis und Selbstbestimmungsrecht zur Ausübung der Tätigkeit erforderlich ist. In allen anderen Fällen ist die Frage nach Religion und Konfession aber tabu.
Die Antidiskriminierungsstelle hat einen Leitfaden für diskriminierungsfreie Einstellungsverfahren herausgegeben, in dem diese Regeln aufgeführt und erklärt werden.
Vorab veröffentlichte Fragen
In Großbritannien ist das Einzelhandelsunternehmen John Lewis Partnership noch einen Schritt weitergegangen. Man sei neuerdings dazu übergegangen, Fragen für Vorstellungsgespräche bereits vorab zu veröffentlichen – und zwar über alle Hierarchieebenen hinweg, berichtet die BBC.
Die Fragen müssten dadurch »nicht weniger streng« sein, sagte Lorna Bullet, die im Unternehmen für die Talentakquise zuständig ist, vor allem aber böten sie dem Unternehmen »die besten Chancen, die richtige Person für die Stelle zu finden«.