Ukraine: Russland bombardiert erneut Kiew und Lwiw
Kurz vor den Feierlichkeiten zum Tag der Befreiung erhöht Russland seine Angriffe auf die Ukraine – mit massiven Luftschlägen auch weitab der Front im Osten. Präsident Selenskyj hofft auf einen Friedensgipfel in Luzern.
Ukraine: Russland bombardiert erneut Kiew und Lwiw
Russland hat die Ukraine nach Angaben von Präsident Wolodymyr Selenskyj in der Nacht auf Mittwoch mit massiven Luftschlägen überzogen. Mehr als 50 Raketen und 20 Drohnen habe Russland eingesetzt, sagte Selenskyj am Mittwochmorgen. Ziele waren unter anderem Lwiw in der Westukraine und die Hauptstadt Kiew.
In Kiew wurden der Militärverwaltung zufolge alle Raketen von der Luftabwehr abgeschossen. Berichte über Verletzte bei den landesweiten Angriffen gab es zunächst nicht. Augenzeugen in Kiew berichten der Nachrichtenagentur Reuters, sie hätten Explosionen gehört, als hätten Luftabwehrsysteme Objekte in der Luft getroffen.
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Schäden an der ukrainischen Stromindustrie
Laut dem ukrainischen Energieminister German Galuschtschenko galten Angriffe vor allem der Energieindustrie. Ziel seien Stromerzeugungs- und -übertragungsanlagen in den Regionen Poltawa, Kirowohrad, Saporischschja, Lwiw, Iwano-Frankiwsk und Winnyzja gewesen, teilte der Minister auf Telegram mit. Bis auf Saporischschja liegen alle anderen Regionen weit von der Front im Osten und Südosten der Ukraine entfernt. Mehrere Anlagen wurden den Behörden zufolge beschädigt. Der landesweit größte private Stromversorger DTEK teilte mit, dass es schwere Schäden bei drei Wärmekraftwerken gegeben habe. Der Stromnetzbetreiber Ukrenergo berichtete von Schäden an einer Anlage in der Zentralukraine.
Die massiven Angriffe kommen unmittelbar vor dem Tag der Befreiung, den Russland am 9. Mai feiert. Kremlchef Wladimir Putin will den 79. Jahrestag des Sieges der Sowjetunion über Nazideutschland mit einer Militärparade auf dem Roten Platz begehen. Es soll einen Aufmarsch mit Zehntausenden Soldaten und eine Waffenschau mit Panzern, Raketen und Militärtechnik geben.
Die Angriffe kommen zugleich nur wenige Wochen vor einem Friedensgipfel in der Schweiz am 15. und 16. Juni in der Nähe von Luzern. Bei der Konferenz sollen früheren Angaben zufolge bis zu 80 Staaten vertreten sein und Friedensperspektiven für die Ukraine diskutieren. Selenskyj bewarb den Gipfel in seiner Videoansprache vom Dienstagabend entsprechend optimistisch: »Während Moskau den Begriff ›Multipolarität‹ nur heuchlerisch verwendet, um seine Versuche, das Leben anderer Nationen zu kontrollieren, zu verstecken, schaffen wir ein Instrument echter Multipolarität.«
Belarus übt mit Atomwaffen
Russlands Präsident Wladimir Putin, der am Dienstag in Moskau den Eid für seine fünfte Amtszeit abgelegt hatte, wirbt immer wieder für die Errichtung einer sogenannten multipolaren Weltordnung anstelle einer angeblichen US-amerikanischen Vorherrschaft. Kritiker weisen jedoch darauf hin, dass Putin, der vor mehr als zwei Jahren den Angriffskrieg gegen die Ukraine anordnete, offensichtlich keine echte Multipolarität anstrebt, sondern die Unterdrückung von Nachbarstaaten.
Immer wieder provoziert Russland seit Kriegsbeginn auch mit Atomübungen. Nach der russischen Ankündigung von Manövern der Atomstreitkräfte testet auch der verbündete Nachbar Belarus die Einsatzfähigkeit seiner nuklear bewaffneten Truppen. Staatschef Alexander Lukaschenko habe ein unangekündigtes Manöver mit Soldaten und Trägerwaffen befohlen, sagte der belarussische Verteidigungsminister Viktor Chrenin in Minsk. Belarus ist zwar nicht selbst Atommacht, auf seinem Territorium sind aber seit Ende vergangenen Jahres taktische Atomwaffen aus Russland stationiert.
In New York rief Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius zum Auftakt einer militärpolitischen Reise in die USA und nach Kanada zu weiterer gemeinsamer Unterstützung der Ukraine auf. Vor Vertretern des American Jewish Committee, das jüdische Interessen vertritt, betonte er die verstärkten Beiträge Deutschlands in der Nato. Putin dürfe mit seinem brutalen Angriffskrieg nicht durchkommen. »Es geht um die Frage, ob und wie Demokratien sich verteidigen«, sagte Pistorius. Dies sei Europas wichtigste strategische Frage und der Angriff darüber hinaus die größte Bedrohung für die internationale Ordnung.