Politik: Schlechter Ruf, solide Bilanz - das Dilemma des Volker Wissing
Unstruttalbrücke bei Karsdorf. Ein Intercityexpress fährt am 27.12.2015 über die Unstruttalbrücke m data-portal-copyright=
Der Verkehrsminister ist einer der wenigen Ampel-Fans. Entsprechend leidet er am Zustand der Koalition, der auch ihm nicht gut bekommt. Nun sucht er die Kehrtwende – mit Themen abseits seines Ministeriums.
„Dzud“ nennen die Mongolen die Schnee- und Eiskatastrophen, die das Land in den Wintermonaten immer wieder heimsuchen. In diesem Jahr ist der „Dzud“ besonders hart, 1,5 Millionen Herdentiere sollen bisher umgekommen sein.
Ausgerechnet hierhin hat es Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) Anfang März verschlagen. Seine Reisegruppe ist bestens vorbereitet: Die Koffer sind voll mit Thermounterwäsche und Gesichtscreme, letztere ohne Wasser, denn das könnte bei den starken Minusgraden zu Erfrierungen führen.
Nur den Minister selbst lässt die Kälte kalt, die Winterjacke hat der FDP-Minister selten übergestreift. Vielleicht zahlt sich da aus, das Wissing einem Kabinett angehört, in dem die Stimmungstemperaturen im sehr frostigen Bereich zu verorten sind. Und dass Wissing die Kälte des politischen Spitzenamtes besonders zu spüren bekommt.
Volker Wissing war als „Mr. Ampel“ in die Koalition gestartet. Als einziges Kabinettsmitglied gehörte er zuvor einer Ampel-Landesregierung an, verhandelte auch dank seiner Erfahrungen den Koalitionsvertrag mit SPD und Grünen erfolgreich mit aus, setzte große Hoffnungen in die Ampel. Er selbst galt als eine Hoffnung in der neuen, selbsternannten „Fortschrittskoalition“ – Verkehr und Digitales in einem Ministerium, mehr Zukunft schien kaum zu gehen.
Doch obwohl Wissing mehr in Schienen, Straßen und Brücken investiert – vor allem außerhalb Bayerns – als alle Verkehrsministerminister vor ihm und auch in Sachen Digitalisierung das ein oder andere vorweisen kann: Es nützt ihm bisher wenig. Statt für Fortschritt steht Wissing für die weiter lahmende Digitalisierung im Land, für das Bahn-Chaos und neuerdings auch für die deutsche Dauerblockade bei Abstimmungen in Brüssel. Das wird auch nicht dadurch besser, dass viele in Berlin ihm zugestehen, dass Verkehr ihm als Thema liege – Digitalisierung aber eher nicht.
Dieses Bild wird bis zur Bundestagswahl kaum noch zu drehen sein. Der Besuch in der Mongolei, der einzigen Demokratie der Welt, die vollständig von Diktaturen umgeben ist, könnte für Wissing deshalb auch eine Art Neuerfindung, der Beginn einer größeren Erzählung sein. Die Reise öffnet für Wissing ein Thema, das er bis zur nächsten Wahl noch häufiger bespielen könnte: Demokratie, Freiheit, Wohlstand sind die Voraussetzung dafür, dass der Westen den Kampf gegen die Autokratien dieser Welt bestehen kann.
///Minister für Kummer // .
Anders als vom Protokoll vorgesehen, begrüßt der Minister seine Gäste auf dem Hinflug in die Mongolei in der Holzklasse des Regierungsfliegers. Wissing trägt Hemd, aber keine Krawatte. Für Wissing-Verhältnisse das Equivalent zum Jogginganzug. Während andere Kabinettsmitglieder schon zu Freizeitklamotten gewechselt sind, sitzt er noch im Anzug am Verhandlungstisch. Auf seiner Reise hört sich Wissing gelassen – und mit den obersten Hemdknöpfen offen – die Klagen der Wirtschaftsvertreter über den unkomfortablen Regierungsflieger an.
Kummer ist Wissing gewöhnt. Gerade machen ihm GDL-Chef Claus Weselsky und der Lokführerstreik das Leben schwer. Wissing mahnt Weselsky öffentlich immer wieder, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Außer mahnen kann er aber nicht viel machen. Auch wenn der Bund Eigentümer der Bahn ist, sind Verhandlungen ausschließlich eine Sache zwischen Konzern und Gewerkschaft.
Der Bahnstreik ist nicht das einzige Thema, bei dem Wissing die Hände gebunden sind. So sollte er eigentlich endlich die Digitalisierung voranbringen, das „Digitales“ steht im Ministeriumsnamen nicht ohne Grund vor „Verkehr“. Doch voran ging es bislang kaum, auch weil eine Reihe weiterer Ministerien für das Thema zuständig ist und gleichzeitig die Länder Fortschritte blockieren, worüber sich der sonst zurückhaltende Wissing einigermaßen aufregen kann.
Wissing übernahm zudem von seinen CSU-Vorgängern als Verkehrsminister reihenweise Großbaustellen. Straßen, Schienen und Brücken wurden auf Verschleiß gefahren, die Bahn, Gradmesser für die Bilanz jedes Verkehrsministers, an den Rand des Totalzusammenbruchs verwaltet.
Die Probleme betreffen jeden Bürger, Wissing zieht dadurch schnell den Ärger vieler Wähler auf sich. Gleichzeitig gibt es aber keine schnelle Lösungen, was politisch gesehen ein Treibsand-Ministerium bedeutet: Wissing rackert und rackert, und kommt doch nicht voran. Die Bahnreform samt Schnellsanierung von Bahntrassen etwa, die Wissing vorangetrieben hat, werden erstmal dazu führen, dass es schlimmer wird, bevor es besser wird.
Allerdings hat Wissing auch selbst zu seinem in der Sache nicht ganz gerechten, aber dennoch unglücklichen Erscheinungsbild beigetragen, das unter ihm wenig vorangeht. So setzte Wissing als Minister mit dem Deutschlandticket eine der wenigen beliebten Ideen der Ampel durch, vollbrachte aber das Kunststück, dass die meisten Deutschen das bis heute für eine Idee der Grünen halten.
Ähnlich ist es mit den Investitionen in die Bahn. Als nach dem Haushaltsurteil aus Karlsruhe einige Mittel in Frage standen, entstand in der Öffentlichkeit der Eindruck, auch Wissing spare nun ausgerechnet bei der Bahn. Dabei liegen die Investitionen trotz leichter Kürzungen immer noch auf Rekordniveau. Während beim Güterverkehr viel Luft nach oben ist, zeigen sich mit den Investitionen in das Schienennetz sogar die Verbände zufrieden. Doch ihm wird vorgeworfen, nicht hart genug bei der Bahn durchzugreifen.
Dennoch ist Wissing als FDP-Politiker stets dem Verdacht ausgesetzt, doch zu sehr den Autominister zu geben, damit sich auch die Kernwähler der FDP abgeholt fühlen.
Genau dieses Narrativ bespielt er auch beim VDA-Neujahrempfang, als er sich als begeisterter Autofahrer bekennt. Wissing muss ständig den Spagat hinkriegen, Mobilität umweltfreundlicher zu machen, ohne dabei die Straße zu vernachlässigen.
Trotz aller Probleme hat Wissing den Glauben an die Ampel nicht verloren. Die Koalition biete die Möglichkeit, verschiedene Strömungen in der Gesellschaft abzubilden und durch Kompromisse zusammenzuführen. Lage von Ampel und Land seien besser als die Stimmung.
Und auch die Ampel in Rheinland-Pfalz, der er als Wirtschaftsminister angehört habe, habe sich doch erstmal zwei Jahre finden müssen, auch dort habe es zu Beginn geruckelt, so Wissing.
///Der Richter // .
Wer Wissing argumentieren hört, denkt unwillkürlich an einen Richter. Es geht um Tatsachen, Beweislast und Unschuldsvermutung. Der ehemalige Staatsanwalt und Richter hat diese Denkweise mit in die Politik genommen, alle Beweise werden akribisch gegeneinander abgewogen. Eine unvollständige oder gar widersprüchliche Argumentation wird nicht akzeptiert.
Wissing wuchs in der Nähe von Landau in der ländlichen Südpfalz auf. Seine Mutter hatte einen Buch- und Schreibwarenladen, sein Vater war Winzer und Lehrer. Er ist ein hart disziplinierter Arbeiter. Emsig, so wie er es von seinem Vater vorgelebt bekommen hat, half er auch schon früh im Weingut der Familie mit.
Der Pfälzer ist sehr gläubig, die protestantisch-calvinistische Kirche spielt im Leben der Familie eine wichtige Rolle. Er selbst spielte 13 Jahre in der örtlichen Kirchengemeinde Orgel. Calvinisten gelten als fleißige Arbeiter – auch der heutige Verkehrsminister