Psychologe erklärt, warum du immer alles hinausschiebst
Hourglass And Time Crunch With Document In Office
Unangenehme Aufgaben hinauszuschieben, ist weit verbreitet. Ein Psychologe erklärt, warum gewisse Menschen sogar gegen ihren Willen prokrastinieren.
Wartest du bei Aufgaben regelmäßig bis zur Deadline? Dann neigst du wohl zum Hinausschieben von Aufgaben – und bist damit alles andere als allein. Langweilige, unangenehme oder besonders zeitraubende Aktivitäten nicht sofort zu erledigen, ist in vielen Fällen nicht problematisch und kann durchaus auch sinnvoll sein, wie Vincent Trybou, klinischer Psychologe am französischen CTHA (Centre des Troubles Anxieux et de l’Humeur) gegenüber dem “Figaro” erklärt.
Hinter dem Hang zur Prokrastination könne jedoch auch mehr stecken. “Wenn das Warten auf den letzten Moment eine Entscheidung ist, gibt es eigentlich keinen Grund zur Sorge. Wenn das Hinausschieben gegen den eigenen Willen jedoch regelmäßig gewinnt und man es nicht schafft, anders zu funktionieren, muss man sich fragen, warum man den Deadlines immer so nahekommen muss, um aktiv zu werden”, so Trybou.
Manchmal sei die Ursache für das ewige Hinausschieben ein übersteigerter Perfektionismus, der pathologisch sein könne. “Diejenigen, die sich so verhalten, als ob Perfektion erreicht werden könnte und müsste, haben so hohe Standards, Erwartungen oder Ziele, dass sie im Angesicht von Aufgaben wie gelähmt sind”, analysiert der Psychologe. Das kann so weit gehen, dass nicht einmal mehr der erste Schritt gemacht werden kann. Die einzige Möglichkeit, doch noch tätig zu werden, besteht dann im Zeitdruck: “Dann haben Perfektionisten keine Wahl mehr und werden aktiv, ja sogar überaktiv.”
“Der emotionale Teil des Gehirns hat bei diesen Personen das Sagen, nicht der rationale Teil”, stellt Trybou klar. Denn obwohl die Leute wüssten, dass mit Vorausplanung bessere, wenn auch nicht perfekte Ergebnisse erzielt werden könnten, können sie ihr Verhalten nicht einfach so ändern. “Die Amygdala (die für einen großen Teil der menschlichen Emotionen zuständig ist) gerät beim Gedanken, dass nicht alles perfekt sein könnte, in Panik. Es werden Ängste vor Verlassenwerden, Ablehnung und Herabsetzung geweckt.”
Ursache seien oft schmerzhafte Erfahrungen in der Vergangenheit – wenn beispielsweise der Wert eines Kindes über dessen Leistungen definiert wurde. Auch die Rivalität unter Geschwistern oder das Mobbing durch andere Mitschüler können der Grund hinter dem Zwang zum Perfektionismus sein. “Als Erwachsene erlauben sich diese Personen nur in letzter Minute, Fehler zu machen”, sagt der Psychologe.
Betroffene rechtfertigen ihr Hinausschieben und kaschieren ihre Probleme etwa mit der Aussage, sie seien eben besonders effizient. Doch gemäß Trybou überwiegen in den schweren Fällen klar die Nachteile: “Sehr oft grübeln diese Personen, verfluchen sich und werden von Schuldgefühlen und manchmal auch Scham geplagt.”
Am Schluss ist entscheidend, ob sich Betroffene frei oder eingeschränkt fühlen. Wer sich selbst keinen ausreichenden Wert geben könne, der von der eigenen Leistung unabhängig ist, könne allenfalls in einer Therapie herausfinden, was ihn daran hindert. “Im Idealfall können die Betroffenen geistige Flexibilität zurückgewinnen”, sagt Trybou. Denn es sei möglich, in kurzer Zeit eine große Menge an Arbeit zu bewältigen – besonders wenn man die Energie der Jugend hat. “Aber auf lange Sicht droht die Erschöpfung. Darum sollte man nicht bis zur letzten Minute warten, um sich um sich selbst zu kümmern.”