Polizei-Entscheidung zu Arian (6): Vermissten-Experte ist empört – „Habe dafür kein Verständnis“
Peter Jamin
Polizei-Entscheidung zu Arian (6): Vermissten-Experte ist empört – „Habe dafür kein Verständnis“
Seit dem 22. April suchte die Polizei erfolglos nach Arian aus Bremervörde. Nun wird der Einsatz zurückgefahren. Experten schlagen Alarm – darunter Peter Jamin.
Bremervörde – Die bislang größte Suchaktion nach dem vermissten Arian (6) in Bremervörde-Elm und im Umland hatte am Wochenende eigentlich große Hoffnung bereitet. Mehr als 1200 Einsatzkräfte verschiedener Organisationen beteiligten sich bei der Suche, zahlreiche Spürhunde und Drohnen waren im Einsatz. Doch ohne Erfolg: Von dem Sechsjährigen fehlt seit mehr als einer Woche jede Spur. Am Montag (29. April) kündigte die Polizei an, die Suche ab Dienstag nur noch anlassbezogen fortzusetzen. „Wir werden ab morgen hier nicht mehr vor Ort sein“, sagte ein Sprecher der Polizei. Ein Vermissten-Experte verurteilt die Entscheidung scharf.
Polizei-Entscheidung zu Arian (6): Vermissten-Experte ist empört – „Habe dafür kein Verständnis“
„Ich habe dafür kein Verständnis. Man hat zwar mit mehr als 1000 Menschen gesucht, aber garantiert noch nicht überall“, sagte Peter Jamin zu IPPEN.MEDIA. „Ich fordere, dass man erneut die Suche von vorn beginnt. Mit allen oder mit neuen Kräften, Hundertschaften aus anderen Bundesländern.“
Laut Jamin sei es vor allem verwerflich, dass die Polizei mehrere Male im Jahr hunderte von Einsatzkräften „zu Fußballspielen fahren“ kann, gleichzeitig aber nicht mit allen verfügbaren Polizisten weiter nach dem Jungen sucht. „Wenn man jetzt die Suche aufgibt, ist das ein Versagen des Staates und der Gesellschaft. Mein Appell an die Landesregierung in Niedersachsen: Fußball darf nicht wichtiger sein als die Suche nach einem kranken Kind.“ Sollte die aktive Suche nach Arian nicht fortgeführt werden, fordert der Experte auch eine Einsparung von Polizeieinsätzen bei den zahlreichen Fußballspielen, die den Staat Millionen von Euro kosten.
Peter Jamin ist seit Jahren ein Experte für Vermisstenfälle. Er kann die Entscheidung der Ermittler nicht nachvollziehen.
Experte gibt wichtigen Hinweis bei möglicher Begegnung mit Arian – und bietet Hilfe an
Laut dem Experten müsste die Polizei mindestens noch eine weitere Woche aktiv nach dem sechsjährigen Arian suchen. Sollten sich die Einsatzkräfte ab Dienstag tatsächlich langsam zurückziehen, bittet er wiederum Niedersachsens Bürgerinnen und Bürger, am Mittwoch (1. Mai) einen Spaziergang in dem Ort zu unternehmen und freiwillig nach dem Kind zu suchen. „Sollten die Behörden sich dazu nicht in der Lage sehen, sollten Niedersachsen Bürgerinnen und Bürger die Suche selbst in die Hand nehmen. Durch eine solche bürgerschaftliche Initiative ist es vor vielen Jahren schon einmal gelungen, in Duisburg einen vermissten Menschen vor dem Tod zu retten.“
Jamin rät, sich dem autistischen Kind nicht zu nähern, sondern in aller Ruhe die Polizei oder andere Rettungskräfte zu informieren und an dem Ort abzuwarten. „Gerne fahre ich auch persönlich nach Elm vor Ort, um ebenfalls einen Mai-Spaziergang im Suchgebiet vorzunehmen.“
Vermissten-Experte kritisiert Entscheidung der Polizei im Fall Arian – Ermittler verteidigen sich
Im Gespräch mit IPPEN.MEDIA regierte der Sprecher der Lüneburger Polizei Heiner van der Werp irritiert auf die Vorwürfe des Experten: „Das ist eine persönliche Einschätzung von Herrn Jamin. Diese respektieren wir“. Trotzdem wundere er sich darüber, dass jemand Außenstehendes ein solches Urteil fällen würde „Wir haben acht Tage auf Hochtouren gesucht“, sagt er. Man habe mit der Bundeswehr zusammengearbeitet, viele technische Geräte genutzt und nie auf die Kosten geschaut. „Am Ende ist es aber so, dass wir uns in unserer Suche irgendwann auf Hinweise und tatsächliche Ansatzpunkte beziehen mussten. Und wir haben hier keine Ansatzpunkte mehr gehabt“, schließt der Sprecher.
Die Ermittler hatten zuvor angekündigt, dass die Maßnahmen vor Ort ab Dienstag eingestellt werden. Man bedauere die Entwicklungen in dem Fall. „Wir hätten uns ein ganz anderes Ende gewünscht“, sagte ein Polizeisprecher am Montag. Eine 1,5 Kilometer lange Menschenkette habe das Gebiet nördlich des Wohnorts am Sonntag noch einmal durchkämmt und „jeden Stein umgedreht“. Doch die Suche war ein Wettlauf gegen die Zeit, der Optimismus schwand. „Irgendwann setzt, glaube ich, bei vielen so ein Stück weit Realismus ein“, sagte der Sprecher am Nachmittag. „Und da darf man auch die Augen nicht verschließen.“ Es sei der Moment gekommen, wo die Suche in der Fläche keinen Sinn mehr habe.
Peter Jamin
Peter Jamin beschäftigt sich seit mehr als 25 Jahren mit Vermisstenfällen in Deutschland und steht selbst Angehörigen mit einem offenen Ohr zu Seite. Darüber hat der Düsseldorfer Autor und Journalist auch einige Bücher geschrieben. In seinem neusten Buch „Ohne jede Spur – wahre Geschichten von vermissten Menschen“ arbeitet er Vermissten-Schicksale auf.
Vermisster Arian: Polizei sucht nur noch anlassbezogen – Erkrankung des Kindes erschweren die Ermittlungen
Statt der flächendeckenden Suche wurde nun eine neue Ermittlungsgruppe mit Experten für Vermisstenfälle eingerichtet, die weiter an dem Fall dranbleiben sollen. Ein fünfköpfiges Team in Zeven koordiniere das Vorgehen. Statt weiter in der Fläche zu suchen, werden die Einsatzkräfte künftig nur noch gezielt Hinweisen nachgehen. „Im Moment haben wir keine Anlässe mehr“, räumte der Sprecher ein. Das Ziel der weitergeführten Maßnahmen sei nach wie vor, Arian schnellstmöglich zu finden.
Der sechsjährige Arian war am Montagabend vor einer Woche spurlos und nur leicht bekleidet aus dem Haus seiner Eltern verschwunden. Seitdem sind sieben, teilweise kalte Nächte vergangen.
Laut dem Vermisstenexperten Peter Jamin erschwere vor allem die Autismusstörung des Jungen die Suche, wie er IPPEN.MEDIA bereits am Freitag (26. April) mitteilte. Der Sechsjährige kann sich aufgrund seiner Erkrankung nicht ausdrücken und reagiert auch nicht auf Ansprache. Grundsätzlich müsste man mit allen möglichen Situationen rechnen: Arian könnte sich versteckt halten, aber auch eine Entführung sei laut dem Experten nicht vollkommen auszuschließen. (nz/dpa)