Operation Fuchsjagd: Wie Peking einen Dissidenten in Paris entführen wollte
Im 13. Arrondissement liegt das chinesische Viertel von Paris – und eine geheime Polizeistation
Kurz vor dem Staatsbesuch des chinesischen Staats- und Parteichefs Xi Jinping hat ein Bericht über die Methoden der chinesischen Polizei in Frankreich Aufsehen erregt. Der 26 Jahre alte Dissident Ling Huazhan, der in Frankreich politisches Asyl erhalten hat, wurde nach Informationen des Fernsehsenders France 2 und des Magazins „Challenges“ von chinesischen Polizisten in Paris vorgeladen. Der Oppositionelle erlaubte dem staatlichen französischen Fernsehsender, ihn auf dem Weg zur Vorladung zu filmen.
Die geheime Polizeistation liegt in einem Hochhaus im chinesischen Viertel der Hauptstadt in der Avenue de Choisy. „Sie haben mir gesagt, dass sie überall in Frankreich Kontakte haben und mich auf jeden Fall finden werden“, sagte er vor der Kamera, „Ich glaube, ich werde verhaftet und nach China zurückgeschickt.“ Ling wurde von der geheimen Polizeistation im 13. Arrondissement der französischen Hauptstadt zum Flughafen Charles de Gaulle Roissy eskortiert.
In einem am Donnerstag ausgestrahlten Filmbeitrag von France 2 ist er im Terminal 1 des Flughafens zu sehen. Die vereitelte Zwangsrückführung soll am 22. März stattgefunden haben. Botschaftsangestellte sollen ihm seinen Reisepass weggenommen haben. Der Oppositionelle weigerte sich demnach lautstark, ins Flugzeug zu steigen, und wurde schließlich von der französischen Polizei zurückbegleitet. Gegen die begleitenden chinesischen Diplomaten sei die französische Polizei machtlos, da sie durch ihren Diplomatenpass Immunität genießen würden, hieß es in dem Bericht.
Vier geheime Außenstellen der chinesischen Polizei in Frankreich
Die in Madrid eingetragene Nichtregierungsorganisation Safeguard Defenders teilte mit, diese „Strafverfolgungsmaßnahmen auf fremdem Boden“ seien kein Einzelfall. Safeguard Defenders wurde 2016 von dem Schweden Peter Cahlin und dem Amerikaner Michael Caster gegründet und beobachtet insbesondere Menschenrechtsverletzungen der chinesischen Staatsführung. Allein in Frankreich soll die chinesische Polizei vier geheime Außenstellen unterhalten, die nicht offiziell angemeldet seien.
Die Aufgabe der Beamten sei die Überwachung von Minderheiten wie Uiguren, Tibeter sowie von Menschrechtsaktivisten und Dissidenten, teilte Safeguard Defenders mit. Laut einem Mitte April veröffentlichten Bericht der Organisation hat China im vergangenen Jahrzehnt 12.000 Menschen aus 120 Ländern zwangsrückgeführt. Sie seien Teil einer 2014 begonnenen Kampagne mit dem Namen „Fuchsjagd“. Peking konzentriere sich zunehmend darauf, die Aktivitäten seiner Staatsbürger im Ausland zu kontrollieren.
Der französische Innenminister Gérald Darmanin hat sich zu dem jüngsten Fall bislang nicht geäußert. Als er im Dezember 2022 im Senat zu dem Thema befragt wurde, versicherte er, dass Frankreich „diese Art von Praktiken in Bezug auf die vier von dieser Nichtregierungsorganisation erwähnten chinesischen Polizeistationen in Frankreich niemals akzeptieren wird“.
Pekings Männer in Blau
Die Polizei in Fuzhou im Südosten Chinas führt nach Recherchen von „Le Monde“ die Pariser Anschrift ganz offiziell als Büro für örtliche Polizeikräfte auf, zusammen mit einer weiteren Adresse in Noisy-le-Grand. In einer Pressemitteilung der Polizei von Fuzhou sei die Eröffnung von dreißig „Dienststellen 110 im Ausland“ angekündigt worden. 110 ist die chinesische Notrufnummer. Der chinesische Sicherheitsapparat habe ein engmaschiges Netz in Frankreich aufgebaut, schrieb „Le Monde“.
Für den ehemaligen Senator der Grünen, André Gattolin, sind diese Antennen Teil der Überwachung der Diaspora. Unter dem Vorwand administrativer Hilfe würden insbesondere Freunde Tibets und der Uiguren und andere kritische Stimmen kontrolliert und unter Druck gesetzt. Präsident Emmanuel Macron hat Gattolin am Mittwoch in einer feierlichen Zeremonie mit der Ehrenlegion ausgezeichnet. Gattolin zählte zu den schärfsten Kritikern des chinesischen Polizeieinsatzes in Paris 2008, als die olympische Flamme durch die Hauptstadt getragen wurde.
Die chinesischen Einsatzkräfte, sogenannte Männer in Blau, löschten damals eigenmächtig die Flamme und beendeten vorzeitig den vorgesehenen Parcours der Flamme, weil friedliche Demonstranten am Straßenrand gegen die Repression in Tibet protestierten. Die französische Polizei ließ die chinesischen Sicherheitskräfte gewähren, obwohl sie auf französischem Hoheitsgebiet vorgingen.