Nie wieder Brautjungfer: eine persönliche Abrechnung mit einer veralteten (und viel zu teuren) Hochzeits-Tradition
Nie wieder Brautjungfer: eine persönliche Abrechnung mit einer veralteten (und viel zu teuren) Hochzeits-Tradition
Brautjungfersein ist anstrengend und teuer: deshalb gibt unsere Autorin die Rolle ein für alle Mal auf.
Okay, Real Talk. Nach anderthalb Jahren, in denen ich auf drei Hochzeiten die Brautjungfer gespielt habe – und insgesamt eine Summe von sage und schreibe 4.340 Euro ausgegeben habe – kündige ich hiermit. An alle aktuellen und zukünftigen Freund:innen: ihr könnt euch etwaige Anfragen ersparen. Versteht mich nicht falsch, ich liebe euch und würde wirklich fast alles für euch machen. Alles, außer noch einmal in ein schlecht sitzendes salbeifarbenes Satinkleid zu schlüpfen, all meinen Urlaub für euer Fest zu verbraten und dabei halb zu verarmen.
&
Brautjungfernleben ade: Deshalb quittiere ich diesen Freundschaftsdienst ein für alle Mal
Ich will die Brautjungferntradition nicht per se schlecht machen. Und wem es Spaß macht, der:die soll sich bitte nicht abhalten lassen. Aber es ist jetzt mal an der Zeit, für diejenigen in die Bresche zu springen, die wie ich, die Nase voll haben. Diejenigen von uns, die weiter still und freundlich grinsen, während sie ertragen müssen, zuzusehen, wie ihr hart verdientes Geld in der Hochzeitssaison zwischen Mai und September zu Asche verkohlt.
Wir sind müde, und wir wollen nicht mehr! Und das ist auch nicht schlimm, wenn wir lernen, besser Nein zu sagen – und uns unsere Freund:innen auch nicht böse sind, wenn wir den Ruf zur Brautjungfer höflich ablehnen. Betrachtet diesen kleinen folgenden Rat also als Solidaritätsbekundung für uns berufene Freund:innen, die den Strauß halten, den Junggesellinnenabschied organisieren sollen, Kleider tragen, die wir uns nicht selbst ausgesucht haben, usw., aber auch als Weckruf für die zukünftigen Bräute da draußen: Lasst uns bei eurer Hochzeit einfach nur Zuschauer:innen sein!
&
Auf dem Brautjungfersein liegt viel emotionaler Druck – manche messen daran sogar die Qualität der Freundschaft
Der Gedanke daran, fester Teil des Hochzeits-Orga-Teams zu sein, ist erst einmal schön. Schließlich geht es darum, einem geliebten Menschen an einem ganz besonderen Tag mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Eigentlich – so die gesellschaftliche Vorstellung – sollte man einfach nur froh sein (und sich vielleicht sogar etwas geehrt fühlen), wenn man die Hochzeit von Freund:innen auf diese intime Art und Weise miterleben darf. Und doch muss ich nach diesem Jahr – in dem zwei meiner besten Freundinnen und eine Cousine von mir geheiratet haben – das Resümee ziehen, dass sehr viel mehr in mir kaputtgegangen ist als nur mein Make-up während der Verlesung der Eheversprechen.
Die Antwort “Ja, natürlich!” auf die scheinbar einfache, aber unbestreitbar schwerwiegende Frage “Willst du meine Brautjungfer sein?” ist oft ein aussichtsloses Unterfangen. Wir haben das Gefühl, dass unsere Liebe und Loyalität daran gemessen werden, wie bereit wir sind, Kleider zu kaufen, die nicht richtig passen, und Nude-Pumps, die wir nie wieder tragen werden. Oder daran, ob wir bereit sind, Hunderte Euro für einen Junggesellinnenabschied auszugeben, der zum Wochenendtrip in ein Wellness-Hotel ausartet, und die Vor-Hochzeitsphase, die fast immer eine übermäßige Anzahl von Abendessen und Barrechnungen beinhaltet, zusätzlich zu Unterkunft bei der Hochzeit selbst, Flug oder Zug (Destination Wedding gehört schließlich für viele mittlerweile zum guten Ton) – und nach alle dem ist man dann ja noch Gast und muss natürlich auch noch ein Geschenk mitbringen.
&
Brautjungfersein ist in erster Linie: teuer
Und damit sind wir eigentlich auch schon mittendrin, bei einem der Hauptprobleme, die mich zu diesem Text führen: das Geld. Ich verdiene ein durchschnittliches Einkommen für jemanden Ende 20 und habe keine Rücklagen aus Erben oder anderen Finanzspritzen aus der Familie. Ich miete meine eigene kleine Wohnung, und obwohl ich dankbar bin, dass mir nach Abzug der Miete jeden Monat noch ein wenig Geld zur freien Verfügung übrig bleibt, wird mir wohl niemand böse sein, wenn ich sage, dass ich nicht alles davon für Kleidung, Reisen und Aktivitäten ausgeben will, die ich mir nicht im engsten Sinne selbst ausgesucht habe. Wie eingangs erwähnt, habe ich mal nachgerechnet, und ich habe dieses Jahr insgesamt 4.340 Euro nur für Hochzeiten ausgegeben. Und es hätte sehr leicht noch mehr werden können, wenn ich nicht bei jedem Kostenpunkt genau geguckt hätte, wo ich sparen kann und welche Dinge, die ich bereits im Schrank habe, ich eventuell für meine Outfits wiederverwenden kann. Aber sechs (!) Kleider gehen einfach ins Geld. Wer jetzt sagt: Moment mal, es waren doch nur drei Hochzeiten. Stimmt, aber gerade bei einer multikulturellen Hochzeit, wie einer der dreien, auf der ich dieses Jahr eingeladen war, ist es eben ganz normal, drei Tage lang und mit mehreren Zeremonien zu feiern, um beiden Familienseiten gerecht zu werden – und dafür braucht man dann auch mehrere Outfits.
&
Der Anspruch, 24/7 erreichbar sein zu müssen, macht das Brautjungfern-Dasein auch psychisch anstrengend
Aber nicht nur mein Konto war nach den drei Hochzeiten erschöpft – auch meine Psyche musste einige mentale Spagate hinlegen, um dem Tauziehen zwischen der Zufriedenheit der Bräute und meiner Mental Health standzuhalten. Denn irgendwie ist in den Monaten vor der Hochzeit eben immer etwas zu tun, und als Brautjungfer ist man auf der Notfall-Kurzwahl.
Wer sich jetzt fragt, ob man nicht einfach bei Aufgaben, die man nicht übernehmen möchte oder die einem zu viel werden würden, Nein sagen kann – denen sage ich: Ich hab es versucht. Aber es scheint ein ungeschriebenes Gesetz in der Brautjungfernbibel zu geben, das einem eine, höchstens zwei “Raus aus dem Brautjungferndienst”-Karten erlaubt, bevor man riskiert, endgültig mit dem gefürchteten Etikett “schlechte Brautjungfer” – oder noch schlimmer “schlechte Freundin” abgestempelt zu werden.
Es ist ein strategischer Tanz, ein sorgfältig choreografierter Balanceakt, innerhalb der Brautjungfernschicht “Nein” zu sagen. Ein weiterer Grund, weshalb ich mich jetzt entschieden habe, das Nein lieber schon deutlich früher zu setzen und den Schichtdienst gar nicht anzutreten. Ich möchte mich nicht mehr in die Lage bringen, Dinge aus Zeit- oder Kraftgründen ablehnen zu müssen, nur um dann von einer Jury von anderen Braut-Freund:innen und ihrer Familie beurteilt zu werden.
&
Brautjungfernsein – aka: wie es ist, wenn man sich nicht mal sein eigenes Kleid aussuchen darf
Und dann wäre da noch die Sache mit den Kleidern. Ja, ich weiß, das habe ich schon im “Geld”-Teil meines kleinen Rats geschrieben – aber ich finde noch einen ganz anderen Aspekt an klassischen Brautjungfernkleidern problematisch.
Kleiner Exkurs an dieser Stelle: Die Geschichte von Brautjungfern in identischen Kleidern geht bis in die Antike zurück, als sie noch als Lockvögel für rachsüchtige Geister dienten, die die Braut nicht erreichen sollten. Damals mussten diese armen Seelen das Aussehen der Braut deshalb so gut, es ging, nachahmen. Heutzutage ist natürlich genau das Gegenteil der Fall – denn wenn man sich bei einer Hochzeit auch nur auf Zehenspitzen in das Gebiet der weißen Kleidung begibt, bewegt man sich schnell auf sehr dünnem modischem Eis. Der aktuelle Trend ist eher, uns in perfekt aufeinander abgestimmten Chiffonkleidern in neutralen Pastelltönen wie Geschwister aussehen zu lassen. Der Schnitt und die Farbe des Kleides ist meist von der Braut mitausgesucht und ist so gut wie nie etwas, das irgendwer nach der Hochzeit auch nur ein einziges Mal für einen anderen Anlass recyceln könnte. Ich weiß zumindest, ich werde meine sechs Kleider nie wieder tragen.
Außerdem ist es sehr schwierig, sich einen Look aufzwingen zu lassen. Besonders für jemanden wie mich, die schon immer stolz auf den individuellen Stil war. Brautjungfernkleider fühlen sich für mich deshalb wie ein Rückfall in die Zeit vor der Mittelschule an, als mir noch meine Eltern die Klamotten aussuchten. Deshalb in aller Deutlichkeit: Lasst eure Freund:innen tragen, was sie wollen! Es ist unmöglich, dass jemand der Braut die Show stiehlt, sie ist schließlich die Braut – alle werden auf sie schauen, nicht auf meinen geliebten schwarzen Rock, der angeblich nicht zur Hochzeitsgarderobe taugt.
&
Die Königsdisziplin des Brautjungfern-Daseins ist der JGA: Und der ist oft teuer und nimmt viel Urlaubszeit in Anspruch
Außerdem zeigt eine kleine Anekdote aus meinem Jahr, dass es ja nicht damit getan ist, dass man sich als Brautjungfer an ein Kleid gewöhnt, das man sonst eher nicht tragen würde: Wir alle verliebten uns in ein orangefarbenes, ärmelloses Chiffonkleid mit Rundhalsausschnitt. Endlich, ein Brautjungfernteam, das sich mal einig ist, dachte ich! Bedauerlicherweise vollzog die Braut einige Monate später eine 180-Grad-Wende, was ihren geplanten Wedding-Look angeht: neuer Stil, neue Farbe – einfach so. Also mussten auch neue Brautjungfernkleider her. Der Grund für diesen abrupten Wechsel bleibt ein Rätsel. Natürlich wagte niemand von uns, ihre Entscheidung infrage zu stellen. Stattdessen beschworen wir unsere inneren Märtyrer herauf, zückten die Kreditkarten und hielten unsere geschundenen Mode-Egos stumm.
Aber jetzt zur Königsdisziplin des Brautjungfern-Daseins: der Junggesellinnenabschied. Das große Event vor dem wirklich großen Tag, das im Zeitalter von Instagram und TikTok meist nicht mehr nur ein Abend in der örtlichen Bar ist. Sie sind zu mehrtägigen Ausflügen geworden, die nicht selten sogar Flugreisen erfordern. Für den Junggesellinnenabschied meiner Cousine waren wir in Miami. Nicht gerade mein Traumurlaub, aber ich habe mich gut amüsiert, trotz klassischer Pannen wie der, als eine der Brautjungfern versehentlich gefälschte “Magic Mike”-Karten kaufte und uns Geld kostete. Die finanziellen und zeitlichen Verpflichtungen sind aber nur ein Teil des Wahnsinns, wenn es um Junggesellinnenabschiede geht. Die endlosen Gruppenchats, Splitwise-Anfragen und die Koordination neben meinem 9-to-5-Job haben mir den Rest gegeben. Mein Rat: Macht mit, wenn ihr es wirklich wollt, wenn ihr es euch leisten könnt und von dem Ziel begeistert seid. Wenn nicht? Lasst es einfach sein.
&
Eine Anleitung für die richtige Brautjungfern-frisur? Das war die absurdeste Erwartung, die eine Braut bisher an mich hatte
Aber der Höhepunkt meiner Brautjungfernfrustration kam während der letzten Hochzeit, an der ich dieses Jahr teilnahm. Meine beste Freundin, die ich über alles liebe, hatte Hochzeitsgesellschafts-Nachrichten mit allen erdenklichen Details geschickt, von der Schuhfarbe bis zum Schminkstil. So weit so sehr bekannt in der Brautjungfernwelt. Aber es gab auch eine Notiz über die bevorzugte Frisur, die den Vogel abschoss.
In der Nachricht hieß es: “Haare: lockig/gewellt, vorzugsweise mit natürlicher Struktur; Perücken mit Locken/Wellen und Clip-ins auch in Ordnung” und “glattes, zurückgekämmtes Haar, Pferdeschwänze und Flechtfrisuren” nicht erlaubt waren. Das wäre wohl auch so schon schwierig, aber als Schwarze Frau glätte und flechte ich mein Haar immer, wenn ich auf Reisen bin, weil es dann leichter zu handhaben ist.Zu meinem Erstaunen sprachen mich während der Generalprobe andere Schwarze Brautjungfern darauf an, und wir beschlossen, mit der Braut zu sprechen, die von ihrer Ansicht nicht abrücken wollte. Ob es nun Loyalität, Liebe oder die Bereitschaft war, an ihrem großen Tag nachgiebig zu sein, ich ging an diesem Abend tatsächlich nach Hause und wusch mir die Haare, um sie nach dem herausgegebenen Leitfaden zu stylen – obwohl ich es nicht wollte.
Später sprach ich mit meiner Freundin noch einmal darüber und verstand, dass es ihr wichtig war, dass wir unser natürliches Haar trugen, weil sie es so schön findet – und nebenbei politisch wichtig, Schwarzes Haar in seiner natürlichen Form zu feiern. Aber es nahm mir die Wahl und meine eigene Entscheidungsfreiheit. Ich fühlte mich kontrolliert.
&
Die Moral von der Geschichte
Warum also nicht auf die Rolle der Brautjungfer verzichten und diese Art von Situationen ganz vermeiden? Aus Liebe? Loyalität? Diese Werte sind zwar wichtig, sollten aber nicht zu der Erwartung führen, dass diese Liebe in ganz konkreten Taten eingelöst werden muss, wenn das Gegenüber diese nicht tun will. Als Frauen wurde uns beigebracht, immer unkompliziert zu sein, und dann wären wir eine gute Freundin. Aber jetzt kommt der Clou: Ich möchte die Freundin sein, die mit unerschütterlicher Ehrlichkeit auftritt, ohne den freundschaftlichen Frieden zu gefährden.
Deshalb hoffe ich, dass dieser Text nicht nur alle potenziellen Brautjungfern empowert, “Nein” zu sagen, wenn sie diesen Job nicht erfüllen wollen oder können. Sondern auch als Aufforderung an Bräute mit einer strengen Vorstellung davon, wie ihre Hochzeit sein soll, dient, das wirklich Wichtige – die Freundschaft – nicht aus den Augen zu verlieren und die eigenen Erwartungen neu zu formulieren. Jeder sollte die Wahl haben, selbst zu entscheiden, auf welche Weise er Freund:innen unterstützen kann und möchte.Und zu guter Letzt: Ja, ich weiß, dass mein offizieller Rücktritt aus der Brautjungfernwelt auch bedeutet, dass ich sehr wahrscheinlich auch keine Brautjungfern haben werde, wenn mein großer Tag kommt. Aber es wird auch niemand an meiner Hochzeit verarmen, sich in einem falschen Kleid unwohl fühlen oder mit einer Freund:in brechen müssen. Und das klingt doch sehr gut, oder?
Und jetzt ein Glas Prosecco auf mich, die ich meine Brautjungfernschärpe in meinen besten Jahren an den Nagel hänge!
Dieser Text kommt von unseren GLAMOUR-Kolleg:innen aus den USA und ist Teil der Coverstory “We Don’t: The Bridesmaid Burnout”, in der die Redaktion die oft absurden Anforderungen, die astronomischen Kosten und die große Menge an unbezahlter Arbeit untersuchen und Wege aufzeigen, wie man die Tradition so verändern kann, dass alle Beteiligten davon profitieren.
&
Cover_Hires_BridesmaidBurnout.jpg
100723-Brautzilla-GettyImages-84049788
“Brautzilla”: Wieso die Bezeichnung sexistisch ist und ungleich verteilten Mental Load in Partnerschaften ignoriert
Furie in Tüll?
GLAMOUR-Redakteurin Katharina Walser, frisch verheiratet, wurde vor ihrer Hochzeit oft dafür gelobt, so entspannt zu sein. Daraufhin fragt sie sich: Wo kommt es eigentlich her, dass Bräute als chronisch verspannt gelten? Und ist das nicht eigentlich total problematisch? Eine Abrechnung mit einem sexistischen Stereotyp
Mean Girls
Die lustigsten “Ich hab noch nie”-Fragen für Freund:innen-Abende, Jungesell:innen-Abschiede und Co.
Unterhaltung
Ob als Trinkspiel oder nüchterne Variante – dieses Fragespiel ist vor allem eine gute Art, ins Gespräch zu kommen und mehr über eure Freund:innen zu erfahren!
180723-Divine Feminitiy-auf TikTok
“Divine Feminine” auf TikTok: Bringt der neue Self-Care-Trend jetzt veraltete Genderrollen zurück?
Meinung
Es gibt einen neuen Trend am Self-Care-Himmel: “Divine Feminine”. Durch den Rückbezug auf diese “Energie”, behaupten einige Content Creator:innen, könnten Frauen endlich zu mehr Glück finden. Aber waren wir nicht eigentlich schon hinweg über vereinfachte Gender-Konzepte wie “Femininität”?
240424-Alter-kommentieren-ueber-30-kein-Kompliment-Aufmacher
Alter kommentieren: Deshalb ist “Du siehst gar nicht wie über 30 aus” kein Kompliment
Leben Ü30
Immer wieder bekommt unsere Autorin zu hören, wie jung sie für ihr Alter aussehen würde. Was eigentlich gut gemeint ist, empfindet sie jedoch keineswegs als Kompliment