News: Prorussische Ukrainer, Friedrich Merz, Europarat
Auf dem Weg zur Kanzlerschaft muss Friedrich Merz einen Gegner überwinden: sich selbst. Und: Prorussische Ukrainer sind offenbar nach Deutschland geschleust worden. Regierungsmaschinen fliegen oft ohne Passagiere. Das ist die Lage am Samstagmorgen.
News: Prorussische Ukrainer, Friedrich Merz, Europarat
Prorussische Ukrainer
Wie perfide Moskau in seinem Propagandafeldzug gegen die Ukraine und den Westen vorgeht, das zeigt das Beispiel von Jurij Dudkin.
Der 63-Jährige aus der Ukraine bejubelte im Februar 2022 auf Facebook den russischen Überfall auf seine Heimat, sechs Monate später erhielt er in Deutschland vorübergehenden Schutz als Kriegsflüchtling. Dudkin tritt regelmäßig als Experte in prorussischen Medien auf und wettert gegen »das Naziregime in Kiew«.
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Ein SPIEGEL-Team um meine Kollegen Maik Baumgärtner und Wolf Wiedmann-Schmidt berichtet vom Verdacht westlicher Geheimdienste, dass Leute wie Dudkin hierzulande im Sinne Moskaus Einfluss auf die politische Stimmung ausüben sollen. Er wird demnach einem Netzwerk um Wiktor Medwedtschuk zugerechnet, einem Vertrauten Putins.
Vor wenigen Wochen erst hat Tschechien einen Teil von Medwedtschuks Einflussoperationen aufgedeckt: Das in Prag ansässige Propagandamedium »Voice of Europe« soll nach Überzeugung der Nachrichtendienste auch dazu gedient haben, moskaufreundlichen Politikern verdeckt Geld zuzuschanzen. Zu ihnen gehört mutmaßlich der AfD-Politiker Petr Bystron, der die Vorwürfe bestreitet.
Und so schließt sich der Kreis.
Die Dämonen des Friedrich Merz
Eigentlich läuft es für Friedrich Merz kurz vorm CDU-Bundesparteitag, der am Montag startet. Bei 30 Prozent und mehr liegt die Union in den Umfragen. Im Falle vorgezogener Wahlen zum Bundestag hieße der Kanzlerkandidat mit großer Wahrscheinlichkeit: Merz. Ebenso hieße wohl der nächste Kanzler. Eigentlich.
Aber erstens ist nicht von vorgezogenen Bundestagswahlen auszugehen; und zweitens könnte Merz sein gefährlichster Gegner in die Quere kommen: er selbst.
Mein Kollege Konstantin von Hammerstein hat den CDU-Vorsitzenden über viele Monate begleitet, im In- und Ausland. Ergebnis ist eine fulminante SPIEGEL-Titelgeschichte über den Mann, der sich anschickt, der zehnte Kanzler der Bundesrepublik zu werden, wenn nicht … Sie wissen schon.
Merz sei »ein hochintelligenter Mensch, der im kleinen Kreis sehr offen und auch selbstkritisch ist«, sagt Konstantin. Der CDU-Mann kenne die eigenen Schwächen ziemlich genau, »er arbeitet dran, aber wie soll er seine Persönlichkeit ändern mit 68?« Man könne Merz lesen, »wie ein offenes Buch, das ist seine große Schwäche«.
Markus Söder, Merz’ möglicher Rivale um die Kanzlerkandidatur der Union, wird womöglich erst mal Konstantins Porträt lesen.
Europa hat Geburtstag
Kennen Sie den Unterschied zwischen Europäischem Rat und Europarat? Fangfrage aus dem ersten Semester Politikwissenschaften. Antwort: Der Europarat ist die älteste politische Organisation der Europäer und hat nichts zu tun mit der Europäischen Union (EU), deren Europäischer Rat wiederum die Versammlung der Staats- und Regierungschefs ist.
Also der Europarat: Am Sonntag ist 75-jähriges Jubiläum, die Bundesrepublik trat 1950 bei, die DDR war nie Mitglied. (Dafür aber das Saarland). Heute sind 46 europäische Länder am Start, darunter alle EU-Staaten. Russland ist seit dem Überfall auf die Ukraine raus.
Im Zentrum der Arbeit des Europarats: der Schutz von Menschenrechten und Demokratie. Dafür hat er den Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dessen Richtersprüche bindend sind für verurteilte Länder. Vor zwei Jahren zum Beispiel hinderte der EGMR die Briten daran, Asylsuchende nach Ruanda auszufliegen. Premier Rishi Sunak hat das Problem kürzlich auf andere Weise gelöst: Er hat angekündigt, einstweilige Verfügungen des Gerichtshofs künftig zu ignorieren.
Merke: Institutionen schützen vor politischer Dummheit nicht. (Zweites Semester Politikwissenschaft.)
Mehr Hintergründe lesen Sie hier: Sunak lässt Migranten festnehmen, um sie nach Ruanda abschieben zu können
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Die Startfrage heute: An welchem Tag findet in Deutschland 2024 die Europawahl statt?
Verlierer des Tages …
… ist die Luftwaffe. Weil trotz des Umzugs von Regierung und Parlament im Jahr 1999 von Bonn nach Berlin die Flugbereitschaft des Verteidigungsministeriums ihren Standort noch immer in Köln-Wahn hat. Auch der erste Dienstsitz des Wehrressorts ist weiterhin auf der Bonner Hardthöhe, der zweite im Berliner Bendlerblock.
Für Dienstflüge der Regierungsmitglieder seit Amtsantritt der Ampel mussten deshalb 1301 Leerflüge zurückgelegt werden, um die Maschinen von Köln-Wahn zum Abflugort zu bringen, meist nach Berlin. Das Verteidigungsministerium betont, dass solche Flüge ohne Passagiere zur »Aus- und Weiterbildung« der Luftwaffe genutzt würden.
Ich erinnere mich leider allzu gut an einen Flug in der Regierungsmaschine mit Kanzler Olaf Scholz nach einem Besuch in den Niederlanden zurück in Richtung Berlin. Über Niedersachsen wurde es reichlich ungemütlich.
Nach der Landung in Berlin-Schönefeld blieb die Crew im Flugzeug, sie mussten spät abends ja wieder in die Gegenrichtung, zurück nach Köln-Wahn. Also noch einmal durchs Unwetter. Das tat mir leid, die Soldatinnen und Soldaten aber waren entspannt. Der Leerflug bedeutete fürs Kabinenpersonal: weniger Arbeit. Turbulenzen hin oder her.
Die jüngsten Meldungen aus der Nacht
CDU-Vize Prien hält Zusammenarbeit mit Bündnis Sahra Wagenknecht für möglich: In Thüringen, Sachsen und Brandenburg stehen bald Wahlen an. Karin Prien, stellvertretende Vorsitzende der CDU, möchte nicht ausschließen, dass die CDU dort danach mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht kooperiert.
Trumps Ex-Pressechefin enthüllt ihre damalige Strategie: »Leugnen, leugnen, leugnen«: Donald Trump prahlte einst in einer Unterhaltungsshow mit sexuellen Übergriffen auf Frauen. Die Geschworenen konnten den genauen Wortlaut nun nachlesen – und erfuhren, wie geschockt seine einstige Pressechefin von dem Video war.
»Sterben« mit Goldener Lola ausgezeichnet: Der große Sieger beim Deutschen Filmpreis ist »Sterben«: Matthias Glasners Drama gewinnt vier Preise. Die Holocaustüberlebende Margot Friedländer nimmt die Branche bei der Gala in die Pflicht.
Diese Geschichte möchte ich Ihnen heute besonders empfehlen:
Einfach mal zuhören, bitte: Wer für andere ein offenes Ohr hat, ist erfolgreicher, glücklicher und versteht die Welt besser. Aber was macht gutes Zuhören eigentlich aus? Meine Kollegin Maren Keller ist dieser Frage nachgegangen. Dabei ist sie auch auf einen Essay der Historiker Svenja Goltermann und Philipp Sarasin gestoßen. Die beiden stellen darin fest, dass in unserer Zeit so viel über das Zuhören gesprochen wird wie noch nie seit mehr als 200 Jahren. Goltermann und Sarasin schreiben: »Alle sprechen heute vom Zuhören, paradox ist allein, dass gleichzeitig der Eindruck vorherrscht, es würde zu wenig zugehört und die Gesellschaft drohe deswegen auseinanderzudriften, ja zu zerreißen.«
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihr Sebastian Fischer, Leiter des SPIEGEL-Hauptstadtbüros