News des Tages: Wladimir Putins fünfte Amtszeit, Maximilian Krah AfD, Umfrage zur Generation Mitte
Was Putin mit seiner Kreml-Show wirklich sagen will. Wie die AfD die Politik verstümpert. Und die deutschen »This is fine«-Boomer. Das ist die Lage am Abend.
News des Tages: Wladimir Putins fünfte Amtszeit, Maximilian Krah AfD, Umfrage zur Generation Mitte
1. Putins Pomp
Schüttelfrost. Gerade jetzt. Dem Mann in Moskau geht es gar nicht gut. Erst das Fieber. Jetzt eine Lungenentzündung. Und sein Krieg? Er hatte gedacht, es würde eine kurze Militäroperation. Doch nun kämpfen seine Soldaten schon seit zwei Jahren in dieser Schlacht der Maschinen, der Logistik. Zehntausende tote Russen – und er hat den gesamten Westen gegen sich aufgebracht. Eine Sackgasse. Noch bevor die Kämpfe vorüber sind, stirbt der Mann in Moskau. Staatstrauer.
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Wir schreiben das Jahr 1855 und der Mann in Moskau ist Zar Nikolaus I. Er hatte 1853 den Krimkrieg begonnen, der erste »Medienkrieg«, Siege und Niederlagen werden per Telegraph in der Welt verbreitet, erste Fotos zeigen Armeen, die sich in Gräben verschanzen und mit Präzisionsgewehren aufeinander schießen.
»Aus meiner Sicht ist Nikolaus I. der Zar, der die meiste Ähnlichkeit mit Putin hat«, meint der britische Historiker Orlando Figes. Warum? Sein Volk unterdrückte er mit scharfer Zensur und harten Strafen für seine Gegner. Vom Westen kapselte er sich ab. Und er riskierte einen Krieg. Für russische Prinzipien.
Putin hat eine Statue von Nikolaus I. im Kreml stehen. Dort wurde heute gefeiert, die fünfte Amtszeit für Wladimir, den Ewigen. »Wir werden gewinnen«, so schloss der 71-Jährige seine kurze Rede vor mehr als 2500 Gästen, darunter Kämpfern aus dem Ukrainekrieg. Herrschaftskulisse für den Soldaten-Präsidenten.
»Es wirkte, als halte Putin Hof«, schreibt meine Kollegin Christina Hebel, die die teils pompöse Feier verfolgte. »Weit vorn im Alexandersaal war auch Putins ehemalige Klassenlehrerin Wera Gurewitsch platziert. Wohl ein Versuch Putins, sich nahbarer zu zeigen.«
Schwach wirkte an diesem Tag der Westen. Frankreichs Botschafter, Diplomaten aus Griechenland, Malta oder Ungarn, nahmen an Putins Zeremonie teil. Deutschland, die USA und die meisten europäischen Staaten hatten abgesagt. »Der Westen erschien gespalten, wieder einmal«, so Christina.
2. Die Stümper der AfD
»Politiker sind Schauspieler ohne Drehbuch und ohne Regisseur, der alles zusammenhält«, hat »Nikita«-Schöpfer Luc Besson gesagt. Tatsächlich wirkt der Spionage-Thriller um AfD-Politiker Maximilian Krah und seinen Ex-Mitarbeiter Jian G. wie eine Netflix-Produktion. Allerdings wie eine ziemlich schlechte: der Cast? Eine Bande von Unsympathen, keiner, wirklich keiner, mit dem man mitfiebern oder gar relaten würde. Der Plot? Echt weit hergeholt. Ein chinesischer Spion, der sich in eine rechtsextreme Partei einschmuggelt. Ernsthaft? Und dann geht es nicht mal um Atomraketen oder ähnliches James-Bond-eskes Weltuntergangsgedöns, sondern um »den Diskussionsprozess zu einer Resolution über Pekings Einfluss auf die kritische Infrastruktur in der EU«. Klingt nicht nach Agent und Casino Royale. Eher wie der Titel einer Masterarbeit, Studiengang Internationale Beziehungen. Vor allem aber entblößt die Episode, wie stümperhaft die AfD agiert: bei Sachthemen genauso wie bei der Personalauswahl. Jian G. wollte eigentlich zum BND. Abgelehnt. Dann zum sächsischen Verfassungsschutz. Auch abgelehnt – wegen Zweifel an der Glaubwürdigkeit. Damit hatte AfD-Mann Krah offenbar kein Problem. Was hat G. auf den Fluren des EU-Parlaments alles herausfinden können?
Ermittler haben heute Krahs Büroräume in Brüssel durchsucht. Allerdings viel zu spät, meint mein Kollege Timo Lehmann: »Fast zwei Wochen nach der Festnahme war das Büro von G. nicht einmal versiegelt. Wenn es Beweise gab, dürften die wohl längst verschwunden sein«. Der Thriller, er wird auch im letzten Drittel nicht besser.
Wenn Sie wissen wollen, welche guten Alternativen es zur AfD bei der Europawahl gibt, empfehle ich Ihnen übrigens unseren Wahl-O-Maten, der heute bei uns an den Start gegangen ist: Die Programme von allen 35 Parteien, die in Deutschland zur Wahl stehen im Vergleich. Probieren Sie es aus. Schließlich sind am Ende Sie alle die Regisseure bei diesem wahren Polit-Blockbuster.
3. »This is fine«
Kennen Sie das »This is fine«-Meme? Ein, nun ja, orangefarbener Hund sitzt in einem Raum, der lichterloh in Flammen steht, aber hey, immerhin ist da auch eine Tasse Kaffee auf dem Tisch: »This is fine«, so der Hund. Schöpfer KC Green hat den Strip erstmals 2013 veröffentlicht, elf Jahre später ist das Meme noch immer so viral wie treffend: Ukrainekrieg, Klimawandel, Gaza – »this is fine«, lächel. In etwa so wie der Hund in Orange empfindet offenbar Deutschlands »Generation Mitte«, schreibt mein Kollege Florian Diekmann. Er hat eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach analysiert, 1026 Menschen haben mitgemacht. Das Ergebnis: Egal ob im Job, beim Geld oder Wohnen – die 30- bis 59-Jährigen sind ziemlich zufrieden mit sich und der Welt. Angst vor dem sozialen Abstieg? Pff. 28 Prozent der Befragten haben keinerlei Befürchtung, 49 Prozent allenfalls wenige. In großer Gefahr sehen sich nur elf Prozent. Im Herbst 2022 waren es noch doppelt so viele. Neuer deutscher Optimismus? Oder ein Fall von »check your privileges«?
»Die Löhne sind inzwischen stark gestiegen, die Jobs weiter sicher und die staatlichen Preisbremsen scheinen gewirkt zu haben«, schreibt mir Florian. Ihn hat vor allem überrascht, dass die Befragten zwar angeben, die Welt um sie herum sei außergewöhnlich unsicher. Trotzdem bleiben sie zuversichtlich und unaufgeregt. »Solch eine mentale Stabilität ist nicht die schlechteste Voraussetzung für schwierige Zeiten«, urteilt Florian.
Was heute sonst noch wichtig ist
Polizei räumt Pro-Palästina-Camp – Lehrbetrieb teilweise unterbrochen: Etwa hundert Demonstrierende haben auf dem Gelände der Freien Universität in Berlin Zelte errichtet. Die Polizei räumt das Lager. Wissenschaftssenatorin Czyborra findet deutliche Worte.
CDU stimmt für Rückkehr zur Wehrpflicht: Nach einer langen Diskussion fiel der Beschluss: Die CDU will zur Wehrpflicht zurückkehren. Auf dem Deutschlandtag in Berlin sprach sich eine Mehrheit der Delegierten für einen Vorstoß der Jungen Union aus.
Großbrand in Berlin – Polizei geht von Unfall aus: Das Feuer, das am Freitag in einem Werk des Diehl-Konzerns in Berlin ausbrach, wurde wohl nicht mutwillig gelegt. Nach SPIEGEL-Informationen fand die Polizei bislang keine Hinweise auf Sabotage oder einen Anschlag.
Rummenigge mahnt Bayern zu mehr Diskretion bei der Trainersuche: Die Bayern haben weiterhin keinen Trainer für die neue Saison, dafür dringen immer wieder Details zur Suche an die Öffentlichkeit. Das stört einen früheren Boss, der klare Worte an seine Nachfolger richtet.
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
Schreien, wimmern, Bücher kaufen: Ausgerechnet die Video-App TikTok bringt junge Menschen zum Lesen. Neue Zahlen zeigen, wie groß der Boom ist. Verlage mit einst verstaubtem Image werden an den Börsen zum Geheimtipp.
Druckmittel Rafah: Israelische Panzer erobern den Grenzübergang im Süden des Gazastreifens. Doch eine groß angelegte Bodenoffensive ist das noch nicht. Die Militäroperation soll vielmehr die Hamas zu Kompromissen zwingen.
Merchans letzte Warnung an Trump: Der New Yorker Richter Juan Merchan hat damit gedroht, Donald Trump wegen wiederholter Verstöße gegen Benimmregeln hinter Gitter zu stecken. Was würde dann passieren?
Diese Großstadt ist der Hotspot für »Zukunftsjobs« in Deutschland: Programmierer, Bauplaner, Elektrotechniker: Eine Studie zeigt, wo in den vergangenen Jahren besonders viele zukunftsträchtige Arbeits- und Ausbildungsplätze entstanden sind. Vor allem eine Region sticht heraus.
Was heute weniger wichtig ist
Gerontoprise: William Shatner, 93, könnte sich vorstellen, noch mal Captain Kirk zu spielen. Kleines Drehbuchproblem: Der »Raumschiff Enterprise«-Kapitän ist in »Star Trek 7« gestorben. Aber hey, Shatner hat direkt eine Plot-Idee: Kirks Gehirn könne ja eingefroren worden sein. Oder so. Wie auch immer: »Wenn es einen echten Grund für die Rückkehr der Figur gäbe, wäre ich bereit, es ernsthaft in Betracht zu ziehen.« Warum auch nicht? 93 – bestes Alter. Danach kann er immer noch US-Präsident werden.
Mini-Hohlspiegel
Hier finden Sie den ganzen Hohlspiegel.
Cartoon des Tages
Und heute Abend?
Doppelter Durchschnitt: Schneiden Sie. Also Ihr Brot, Sandwich oder die Abendstulle, ganz egal. Hauptsache: Sie machen einen Y-Cut. Wie genau das funktioniert und warum die schnittige Dreiteilung gerade das Netz explodieren lässt, erklärt hier mein Kollege Sebastian Maas (genau, der begnadete Koch ohne Kohle): »Natürlich nimmt die Masse des Brotes nicht zu, und doch ist es psychologisch betrachtet ein genialer Trick. Weil man seinem Hirn kurz vorgaukeln kann, man habe mehr als zwei Hälften vor sich«, so Sebastian. Wenn Sie sich jetzt fragen, was die ganze Aufregung soll und ob wir nichts Wichtigeres zu tun haben: Doch. Deshalb lesen Sie schnell Sebastians Geschichte und dann raus mit Ihnen, die Abendsonne scheint. Genießen Sie Ihren Abend! (Director’s Cut)
Herzlich
Ihr Jens Radü, Chef vom Dienst