Neue Straße für Berlins Osten: Das steht in den Plänen für die TVO
Wieder viel los auf der Köpenicker Straße in Biesdorf. Die Tangentialverbindung Ost soll diesen und andere Verkehrswege entlasten. Eine Verkehrsprognose zeigt, wie stark die Belastung abnähme.
Schon vor einem Jahrhundert gab es Ideen für eine solche Straßenverbindung. 1969 wurden sie im Generalverkehrsplan für Berlin, Hauptstadt der DDR, präzisiert. Nun ist es endlich so weit: Das im Herbst gestartete Genehmigungsverfahren für den Weiterbau der Tangentialverbindung Ost, kurz TVO, zwischen Marzahn und Köpenick geht in eine erste wichtige Etappe. Seit Dienstag liegen die Pläne öffentlich aus, bis 8. Juli können sie von allen Interessierten eingesehen werden. Zu Beginn gab es Protest gegen das Projekt.
„TVO – no!“ In der Wuhlheide drohe die größte Waldzerstörung seit vielen Jahrzehnten, warnten die Bürgerinitiative Wuhlheide und Robin Wood. Es sollen so viele Bäume für den Straßenbau fallen wie schon lange nicht mehr in Berlin. Die Protestaktion fand vor der Senatsbauverwaltung am Fehrbelliner Platz 4 statt. Dort hat die Auslegung der Planfeststellungsunterlagen für das nach der A100 nächste große Straßenbauvorhaben im Osten Berlins begonnen. Wer nicht nach Wilmersdorf fahren möchte, findet die Pläne und Berichte auch im Internet unter www.uvp-verbund.de – insgesamt 45 Ordner.
Zustimmung kam dagegen vom Verband Deutscher Grundstücksnutzer, kurz VDGN. „Endlich ist das Planfeststellungsverfahren eröffnet. Dieser Schritt war mehr als überfällig und schafft Klarheit für den dringend notwendigen Lückenschluss“, lobte Jochen Brückmann, der Präsident des Verbands. „Die Belange für Natur, Anwohner sowie Wirtschafts-, Bus- und Fahrradverkehr sind gleichermaßen berücksichtigt.“ Die Bürger hoffen auf einen baldigen Baubeginn, bekräftigte Peter Ohm vom Planungsbeirat. „Der Weiterbau der TVO ist ein anspruchsvolles, aber sinnvolles Projekt“, sagte er.
Die Meinungen gehen also auseinander. Für die Diskussion liefern nun die ausgelegten Unterlagen eine aktualisierte Basis für das Projekt. Die Basisfakten: 7,2 Kilometer lang wird die Verbindung, die zwischen der Märkischen Allee und der Spindlersfelder Straße eine Lücke im Berliner Hauptstraßennetz schließt. Es wird Tempo 50 gelten. Zwei Fahrstreifen pro Richtung sind geplant, am Ostrand verlaufen ein 2,80 Meter breiter Gehweg sowie ein vier Meter breiter Zweirichtungsradweg. Weil auf der TVO auch die BVG fahren soll, entstehen am Fahrbahnrand Bushaltestellen. Damit man dorthin gelangt, werden Ampeln gebaut, an denen Fußgänger grünes Licht anfordern können.
Nach vielen Debatten einigten sich die Planer mit den Bürgermeistern der drei beteiligten Bezirke darauf, dass die 26 Meter breite Straßenanlage am Berliner Außenring mithilfe von Unterführungen zweimal die Seite wechselt. Bis zum Pirol- und Lauchhammerweg verläuft die TVO östlich, dann westlich der Gleise, um später wieder auf die Ostseite zu schwenken. „Die zusätzlichen Bauwerke haben die Kosten erhöht“, erklärt Peter Ohm. War lange von 155 Millionen Euro die Rede, wird in den ausgelegten Unterlagen die jüngste Kalkulation bekräftigt: Inzwischen sind es 351 Millionen Euro.
Nach Protesten von Naturschützern passten die Planer auch die Streckenführung in der Wuhlheide an. Dort wurde die TVO so weit wie möglich nach Westen in den weniger wertvollen Kiefernwald verschoben, heißt es im Erläuterungsbericht. Dadurch müssten nicht so viele Eichen gefällt werden, allerdings sei der Eingriff „nicht vollständig vermeidbar“. Zitat: „In die Waldflächen der Wuhlheide, die eine sehr hohe Bedeutung hinsichtlich der landschaftsgebundenen Erholung haben, wird auf einer Fläche von circa elf Hektar eingegriffen. Die Erholungsfunktion geht in diesen Bereichen dauerhaft verloren.“ Damit nicht genug: Knapp 46 Hektar Wald werden dauerhaft verlärmt.
Nein zur geplanten Tangentialverbindung Ost: Vor der Senatsbauverwaltung am Fehrbelliner Platz protestieren Robin Wood und die Bürgerinitiative Wuhlheide gegen die TVO. In dem Gebäude sind die Unterlagen ausgelegt.
Während Experten darüber diskutieren, ob im Zeichen der Erderwärmung Straßenbauvorhaben sinnvoll sind, steht im Osten von Berlin ein folgenreiches Projekt bevor. Den ausgelegten Unterlagen zufolge wird die geplante Verkehrsanlage 35,7 Hektar Fläche in Anspruch nehmen. Davon werden 21,9 Hektar dauerhaft versiegelt und 13,8 Hektar dauerhaft überbaut. Zum Ausgleich sollen Flächen entsiegelt werden – 4,1 Hektar in der Nähe der TVO, weitere 3,2 Hektar weiter weg, heißt es im Bericht.
Bei den Eingriffen werden auch natürliche Lebensräume verschwinden. Etwas mehr als zwei Hektar gesetzlich geschützte Biotope sind betroffen, hinzu kommen neun Hektar weiterer Lebensraum, dessen Wert als hoch bis sehr hoch eingeschätzt wird. In dem Gebiet rund um die geplante Nord-Süd-Straße, das von Fachleuten untersucht wurde, nisten allein 74 Vogelarten. 26 Hektar Lebensraum für Zauneidechsen fällt weg.
Auch die Menschen werden die TVO merken. 125 Gebäude müssen abgerissen werden, darunter fünf Wohnhäuser, steht im Erläuterungsbericht auf Seite 140. Die Planer erwarten, dass zehn Hektar Grün- und Kleingartenanlagen dauerhaft verlärmt werden. „Mit dem nordöstlichen Teil des Tierparks ist ein Schwerpunkt der Erholungsnutzung mit überregionaler Bedeutung betroffen.“ Bis zu vier Meter hohe Schallschutzwände, deren Länge sich auf über zwei Kilometer summiert, sollen die Bewohner von Biesdorf Süd vor dem künftigen Verkehrslärm bewahren. Bei acht Häusern werden die Grenzwerte nachts trotzdem überschritten, deshalb werden Schallschutzfenster spendiert.
„Zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses“ rechtfertigen jedoch Ausnahmen von naturschutzrechtlichen und anderen Verboten, betonten die Planer. Der TVO-Lückenschluss werde gebraucht, um andere Straßen sowie deren Bewohner zu entlasten. Wenn er fertig ist, soll auf Abschnitten der Köpenicker Straße in Biesdorf-Süd die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 auf 30 Kilometer pro Stunde gesenkt werden. Die Straße sei aber auch für den Wirtschaftsverkehr wichtig, so die Planer. Auch erwarten sie Reisezeitvorteile, etwa zum Flughafen BER oder zur Autobahn A113.
Die Verkehrsprognose geht davon aus, dass auf dem Nordteil der TVO werktags im Schnitt 30.100 Kraftfahrzeuge unterwegs sein werden. Für den Südteil erwartet man 41.400 Kfz-Fahrten pro Werktag. Auch auf den heute bereits bestehenden TVO-Abschnitten rechnen die Planer mit Zuwachs: bis zu 9400 Fahrten pro Werktag. Dagegen werde auf der Köpenicker Straße wie erhofft die Belastung sinken. Im Vergleich zum „Nullfall“, in dem die TVO nicht gebaut würde, läge sie abschnittsweise um mehr als 10.000 Kraftfahrzeuge darunter – das wäre eine Reduktion um rund die Hälfte. Auf dem Straßenzug Am Tierpark–Treskowallee wären es bis zu 4900 weniger Kraftfahrzeuge.
Die Prognose bezieht sich auf das Jahr 2030. Dann wird die Tangentialverbindung im Osten Berlins aber noch nicht befahrbar sein. Im vergangenen Juni sorgte die damalige Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) für ungläubiges Raunen, als sie mitteilte, dass der Bau der TVO wohl erst 2026 beginnen und sechs bis sieben Jahre dauern könnte. Inzwischen nennt die Senatsverwaltung gar kein Startdatum mehr, was verständlich ist. Schließlich hängt der Baubeginn davon ab, wie das Genehmigungsverfahren vorangeht und Gerichte über etwaige Klagen befinden. Im ausgelegten Erläuterungsbericht ist auf Seite 140 von einer Bauzeit von „bis zu circa zehn Jahren“ die Rede.
Dass gegen das Vorhaben geklagt wird, dürfte als wahrscheinlich gelten. Christina Albrecht von Robin Wood forderte die designierte neue Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) auf, das Projekt zu stoppen. Am Montag gründete sich das Bündnis „Schiene vor TVO“, dem unter anderem die BI Wuhlheide sowie der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) angehören. Dass zunächst die Straße und erst dann die Nahverkehrstangente gebaut wird, lasse eine „immense Verteuerung“ des Bahnprojekts erwarten, befürchtete Mitinitiator Martin Pogatzki vom Fahrgastverband Pro Bahn. Auf der neuen Bahntrasse soll die Linie S95 vom Flughafen BER über Springpfuhl nach Birkenwerder fahren.
An eine Entlastung der Anwohner glauben die Kritiker der TVO nicht: Der Verkehr werde weiter zunehmen, befürchten sie. Schon jetzt sei der Motorisierungsgrad sehr hoch. Doch nicht wenige Bürger sehen dem Projekt gern entgegen. „Die TVO bietet die Chance, den Verkehr in diesem Gebiet neu zu ordnen“, sagte Peter Ohm, der Vorsitzende des Planungsbeirats, der seit 2015 insgesamt 14-mal getagt hat. Auch der Radverkehr werde von der neuen Straße profitieren. Vor allem aber: „Die TVO bietet ungeahnte Möglichkeiten, gute Wohnqualität im Siedlungsgebiet zu bekommen.“