Nächstes Atomkraftwerk verschoben: Nachbarland beißt sich die Zähne aus
Atomkraftwerke gelten in vielen Ländern als saubere Alternative zur Kohleverstromung.
Polen strebt die große Wende in seiner Energiepolitik an, indem es sich zunehmend von der Kohle abwendet und Atomenergie als zentrale Säule der zukünftigen Energieversorgung des Landes etabliert. Das Nachbarland, das derzeit fast 80 Prozent seiner Energie aus Stein- und Braunkohle gewinnt, sieht in der Kernenergie eine tragfähige Alternative, um die CO₂-Emissionen signifikant zu senken und die Energiequellen zu diversifizieren.
Wie das heise-Magazin schreibt, haben die Verantwortlichen des Ausbaus der Kernenergie in Polen allerdings mit erheblichen Verzögerungen zu kämpfen. Ursprünglich geplante Termine können nicht eingehalten werden. Beispielsweise war der Baubeginn des ersten Reaktorblocks ursprünglich für 2026 angesetzt, mit einer geplanten Inbetriebnahme im Jahr 2033. Aktuelle Prognosen gehen jedoch davon aus, dass das erste Atomkraftwerk erst zwischen 2039 und 2040 ans Netz gehen wird.
Trotz dieser Verzögerungen hält das Land an den ambitionierten Zielen fest. Polen plant, bis 2043 an zwei Standorten insgesamt sechs Reaktorblöcke zu errichten, die zusammen eine Leistung von bis zu 9 Gigawatt erzeugen sollen. Diese Standorte befinden sich in der Woiwodschaft Pommern, nahe der Ostseeküste und in der Nähe von Gdynia sowie potenziell in Lubiatowo.
Neue Reaktor-Generation soll Betrieb sicherer machen
Neben den traditionellen Kernkraftwerken erkundet Polen auch innovative Technologien wie Small Modular Reactors (SMRs), die eine flexiblere und möglicherweise kostengünstigere Alternative darstellen sollen. Im Herbst 2023 informierte Polen das deutsche Umweltministerium über geplante Neubauprojekte für SMRs an drei Standorten: Stawy Monowskie, Włocławek und Ostrołęka. Diese Projekte nutzen die BWRX-300-Technologie von Hitachi Nuclear Energy und könnten zusammen eine Leistung von bis zu 4.600 MWe (Megawatt elektrisch) erreichen. Auch bei den weltweiten SMR-Projekten gibt es große Verzögerungen: Bis auf eine Anlage in Shidaowan in China (210 MWe) und militärische Reaktoren spielen die kleinen, in der Theorie günstig und schnell baubaren Anlagen noch keine Rolle. Rolls Royce zum Beispiel hat nach eigenen Angaben fertige Pläne für bis zu 30 neue Reaktoren in Großbritannien. Eine Umsetzung steht aber noch in den Sternen.
Die Pläne Polens haben internationale Aufmerksamkeit erregt, insbesondere vonseiten Deutschlands. Aufgrund möglicher negativer grenzüberschreitender Umweltauswirkungen fordert die deutsche Regierung eine stärkere Einbindung in die Planungsprozesse. Ein Gutachten ergab, dass Deutschland mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent bei einem Unfall in einem polnischen AKW betroffen sein könnte, was die Bedenken hinsichtlich Sicherheit weiter verstärkt hat.
Das Verlängern von Zeitplänen bei der Realisierung von Atomkraftprojekten in Polen ist kein Einzelfall. Selbst etablierte Atomkraft-Nationen wie Frankreich oder Finnland haben immer wieder mit Problemen zu kämpfen. Der modernste verfügbare europäische Reaktortyp EPR (Europäischer Druckwasser Reaktor) ist an allen Standorten mit drastischen Kostensteigerungen in den Schlagzeilen: Flamanville in Frankreich und Hinkley Point C verzögern sich jeweils um mehrere Jahre, der Doppelreaktor Hinkley Point C könnte am Ende 53 Milliarden Euro gekostet haben. Olkiluoto in Finnland ist seit einem Jahr in Betrieb, ist zur Zeit aber schon seit Wochen für Wartungsarbeiten vom Netz.
Wissenschaftler prognostizieren eine Verzögerung auch bei den Reaktoren der kommenden Generation, wie zum Beispiel Salzschmelzreaktoren, um mehrere Jahrzehnte.