Candida Höfer wird 80: Zeitdruck gilt nicht
Tabula rasa vor schwarzem Rahmen und Sportwagenikone: Candida Höfer am 7. Juni 2003 in Köln-Rodenkirchen. Ein Jahr vor ihrem sechzigsten Geburtstag vertrat die Fotografin Deutschland auf der Biennale von Venedig.
Derzeit ist der Raum unzugänglich, versteckt hinter einer Stadt in der Stadt, einem unwirtlichen Ensemble von Containern und Bauzäunen. Bis zur Wiedereröffnung des sanierten Opernhauses muss das Foto, das Candida Höfer 2007 vom Innenraum des Baus von Wilhelm Riphahn gemacht hat, den Kölnern und allen Liebhabern der kühnen Aufschwünge der Nachkriegsarchitektur das Haus ersetzen. Der Termin ist schon wieder verschoben worden. Und sollte sich unter dem Offenbachplatz in letzter Minute ein Loch auftun wie 2009 unter dem Stadtarchiv am Waidmarkt, sollten wutbürgerliche Terroristen die Oper in die Luft jagen, weil Abermillionen Euro hier versenkt wurden, müsste das Foto für alle Zeit die Schutzlosigkeit des Denkmals ausgleichen.
Lichtregie ist fast noch der leichteste Trick der Diva: Candida Höfer, Opernhaus Köln I 2007
Es zeigt eine geschlossene Welt der spektakulären Gegensätze: Gleißendes Licht stößt in die Finsternis vor, wie die Logen schlittengleich hinabstürzen ins Parkett. Von der Bühne ist nichts zu sehen, stattdessen haben sich die freistehenden Holzwände, an denen die Logen hängen, mit Aplomb aufgefächert zur Eröffnungsnummer eines Balletts von Monumentalbauteilen. Die leeren Stuhlreihen des Parketts unterlaufen die Schwarzweißmalerei des Theaterhimmels in einem grauen Muster wogender Erstarrung. Von dem Ehrenplatz rechts vorne, auf dem die Fotografin stand, wird allenfalls die Oberbürgermeisterin bei der Endabnahme der Bauarbeiten noch einmal diesen Blick in den Raum der gesammelten Erwartung werfen, wenn nicht der Hausmeister heimlich seine Kinder hineinlässt.
1957, im Jahr der Einweihung von Wilhelm Riphahns Kölner Opernhaus, fotografierte Karl Hugo Schmölz den Zuschauerraum.
Lehrjahre bei Schmölz und Becher
Dasselbe Sujet hat aus ähnlicher Perspektive Karl Hugo Schmölz fotografiert, bei dem Candida Höfer 1963 in die Lehre ging, dreizehn Jahre bevor sie in den ersten Jahrgang von Bernd Bechers Fotografieklasse an der Düsseldorfer Kunstakademie aufgenommen wurde. Was an ihren Bilderserien aus Bibliotheken, Museen und anderen Häusern für den Verkehr des gebildeten Publikums ins Auge fällt, die Menschenleere, war in der Dokumentation des Wiederaufbaus durch Schmölz eine Selbstverständlichkeit, Konvention der Architekturfotografie.
Schmölz präsentierte den Kölnern auf seinen Schwarz-Weiß-Bildern die neuen, durch Symmetrie und Durchblicke bezaubernden Gebäude im Status der technischen Unschuld, bevor sie in Gebrauch genommen wurden. Candida Höfer widmete dem von Schmölz 1952 dokumentierten Funkhaus des Westdeutschen Rundfunks 1985 eine Serie ihrer Farbbilder. Das Epochentypische, die Mischung aus Verspieltheit und Ordnung, setzen beide Fotografen in Szene, mit den Treppen als wichtigster Kulisse. Candida Höfer zeigt das Funkhaus in Gebrauch – aber wie?
Eine Grundentscheidung ihrer Arbeit ist der radikale Verzicht auf das geläufigste Vokabular aller Architekturbilder außerhalb von Verkaufsprospekten, die Zeichensprache der Vergänglichkeit. Der Kölner Dom war Ruine lange vor seiner Fertigstellung – nichts bröckelt in Candida Höfers Kulturkathedralen, sodass für den Fall eines Abrisses der Riphahn-Oper nach nochmaliger Kostenexplosion ihr Bild von 2007 bei näherem Hinsehen doch keinen Trost spenden könnte. Ihr Funkhaus zeigt wundersamerweise keine Verschleißspuren, sieht aber auch nicht aus wie neu, wie von Schmölz fotografiert. Die Zeit ist gegenwärtig als Atmosphäre, durch Diffusion des Lichts und Vermittlung von Tonalitäten. Der Treppenaufgang von „Funkhaus Köln I“ ist mit dem Übereinander von Geländer, Wandbeleuchtung und geriffelter Decke eine Studie über Taktung, über gestaffelte Rhythmen. Die Folge der überhell schimmernden Leuchten wird unvermittelt fortgesetzt durch zwei schwarze Totenmasken unbekannter Helden des Rundfunks.
Das Funkhaus war der Arbeitsplatz von Candida Höfers Vater. Ihre Mutter war Solotänzerin der Kölner Oper, aber nicht mehr auf Riphahns Bühne. Ihre Auskunft, Kindheitserinnerungen hätten nichts mit ihrer Arbeit zu tun, deckt sich mit dem, was wir vor Candida Höfers Bildern empfinden: Wir treten ein in eine Welt jenseits von Privatmythologien, die Welt der Kultur, in der alles gestaltet ist und genutzt werden will. Veränderungen können zugerechnet werden, Zeitdruck ist keine Ausrede. Candida Höfer wird am heutigen Sonntag achtzig Jahre alt.