Medizinstudium in Berlin: Es gibt unzählige Arten, sich im Krankenhaus falsch zu verhalten
Leon-Alexander Regin
In einer Woche startet der erste Abschnitt meines Praktischen Jahres (PJ) im Medizinstudium. Ich freue mich darauf. Endlich wieder echte Patienten sehen. Nicht nur Prüfungsfragen wie im Staatsexamen. Aber denke ich an das PJ, habe ich auch Zweifel. Ich sehe Momente in der Klinik auf mich zukommen, die unangenehm werden können. Oder peinlich.
Es gibt unzählige Arten, sich im Krankenhaus falsch zu verhalten oder sich vor Patienten als Anfänger zu outen. Das birgt Konfliktpotenzial. Wie zum Beispiel beim Legen von Zugängen in die Venen von Patienten, was zu den Hauptaufgaben von PJ-Studenten auf Station zählt.
In meinem letzten Praktikum sagte der Assistenzarzt zu mir: „Wenn du es dreimal verkackt hast, komme ich und helfe dir.“ Das habe ich noch im Ohr. „Aber“, fuhr er fort, „wenn du später allein auf Station bist, musst du das können, du musst es lernen.“ Es ging um den Zugang bei Frau Sobek, einer Patientin. Ich hasste ihn für diese Sätze, weil ich wusste, dass er recht hatte.
Frau Sobek lag im Zimmer 49. Sie hatte zwei offene Beine und erzählte, wie sie im sozialistischen Polen zehn Jahre lang eine Champignonfarm leitete. Ihre Eltern seien Zahnärzte in Niederschlesien gewesen, erzählte sie, während ich den ersten Zugang aus der Packung nahm. An ihrem ersten Arbeitstag in der Zahnarztpraxis ihres Vaters sei sie umgekippt, weil sie kein Blut habe sehen können. Ich verfehlte ihre Vene. So musste sie auch kein Blut sehen.
Eine Champignonfarm, dachte ich, wäre vielleicht eine Alternative, wenn ich weiter den Zugang nicht reinbekomme. Zweiter Versuch. Die alte Dame machte eine Faust, ich stach die Metallnadel in ihre dünne, blasse Vene auf dem Handrücken. Das durchsichtige Endstück des Zugangs füllte sich rot. „Na, sehen Sie mal, jetzt klappt es“, sagt sie.
Ich zog die Nadel heraus, schob langsam das Plastikröhrchen vor. Auf dem Handrücken unter der pergamentartigen Haut bildete sich ein lilafarbener Kreis, ein Bluterguss. Ein richtig großer sogar.
Einen Zugang zu legen ist eine Standardaufgabe. Ich bin mittlerweile seit sechs Jahren im Studium, habe sicher Hunderte Zugänge gelegt. Aber wenn man einmal aus der Übung ist, wird man nervös. Die Haare fallen in das Gesicht. Man zieht sich die Latex-Handschuhe über die schwitzigen Hände, sie kleben an der Handfläche, man zittert. Die Leichtigkeit fehlt, die es braucht, damit es klappt.
Frau Sobeks Vene war geplatzt, das Blut floss daneben. „Tut mir leid“, sagte ich und hörte in meinem Kopf schon ihre Beschwerden: Der ganze Arm blau wegen Ihnen! Sah, wie sie mich mit gequältem Blick ansehen und sagen würde, dass ich es sein lassen solle. Doch stattdessen lächelte Frau Sobek mild und sagte: „Ist ja noch kein Meister vom Himmel gefallen. Versuchen Sie es einfach noch mal.“
Für einen Patienten ist es manchmal doch nur ein Stich. Bei einem Medizinstudenten im PJ kann das viel mehr auslösen. Man will zeigen, dass man es allein hinkriegt, dass man souverän ist und professionell wirkt. Man will gegenüber den Patienten vor allem keine Unsicherheit ausstrahlen, sondern Routine. Aber das ist es am Anfang eben noch nicht, wo alles neu und ungewohnt ist. Darauf freue ich mich im PJ am allermeisten.
Mascha Osang und Leon-Alexander Regin („Siemens“) berichten im Wechsel aus ihrem Alltag als Medizinstudenten in Berlin. Die Kolumnen erscheinen alle zwei Wochen.