Legitimer Pluralismus oder „Verfolgung“?

legitimer pluralismus oder „verfolgung“?

Legitimer Pluralismus oder „Verfolgung“?

Schwer einzuordnen war Anton Bruckner immer schon. Er irritierte bereits die Zeitgenossen, aber auch die Nachwelt tat sich schwer mit ihm und rezipierte sein Werk nur schleppend. Bruckner-Forscher Leopold Nowak schrieb: „Bruckner war in seiner menschlichen wie künstlerischen Erscheinung eine so eigenartig geprägte Persönlichkeit, dass er nicht in den Strom seines Jahrhunderts passte und wie ein einzelnstehender, großer Felsblock herausragte. Daraus erklären sich seine für ihn oft quälenden Lebensumstände, aber auch die Schicksale, die seine Werke erfuhren.“

Seine Musik war eben zukunftsbestimmt, nicht für die Jahre, in denen er lebte, er wusste davon, als er im Hinblick auf die ungekürzte Achte Symphonie an Felix Weingartner schrieb, „das sei für spätere Zeiten“. Weiter mit Leopold Nowak: „Er konnte nur ein Einsamer werden: Seine Lebensart, geformt aus bescheidenster Lehrer-Herkunft, aus vormärzlicher, zu Unterwürfigkeit angeleiteter Erziehung, aber auch seine eigene Beharrlichkeit im Herkömmlichen mussten ihn von der ‚Intelligenz‘ der Wiener Gesellschaft absondern. Desgleichen natürlich seine Musik.“

Sehr litt Bruckner unter den Anfeindungen der Wiener Presse, die ihn als Komponisten vehement bekämpfte. Der Komponist fühlte sich regelrecht verfolgt von der Kritik. Die Tatsache, dass er nur selten aufgeführt wurde, führte er auf ihr Treiben zurück. Die Argumente gegen Bruckners Musik waren immer dieselben, sie wurden parteilich und nicht ohne Bosheit formuliert. Er habe gute Einfälle, bringe sie aber nicht in eine überzeugende Form. Zu lang sei ohnehin alles. Doch warum der Gleichklang der Urteile? Bruckners symphonische Sprache war neu und man musste sich auf sie einlassen, in sie „eintauchen“, den skeptisch Reservierten war sie nicht zugänglich.

Auch Bruckner Wohlgesonnene hatten da ihre Probleme, wie etwa Hugo Wolf. Er konstatierte „Originalität, Größe, Kraft, Phantasie und Erfindung“, das Ganze sei aber doch schwer verständlich: „Überall ein Wollen, colossale Anläufe, aber keine Befriedigung, keine künstlerische Lösung“, kurzum: ein „Mangel an Intelligenz“. Fast leitmotivisch tauchte ein Vorwurf immer wieder auf, bei Freund und Feind: Es ist die Überfülle an musikalischen Einfällen, die sich nicht zu einem Ganzen, zu einer logischen Einheit im Sinn der klassischen Form fügt. Das Neuartige wurde als Mangel an Formbeherrschung gesehen.

„Die Wiener Musikkritik in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts“, schreibt Clemens Höslinger, „zeigte eine ausgesprochen kämpferische Physiognomie. Vor allem war es die Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Musikschaffen, die zu einer heute kaum mehr begreiflichen Heftigkeit in der Wortwahl und in der Argumentation führte. Das kritische Amt wurde zumeist von hervorragenden und hochgebildeten Schriftstellern ausgeübt, die ihre Stellungnahmen in der damals üblichen Form des Feuilletons vertraten. Dass dabei trotz der geistvollen Form der Aufsätze sehr oft ein polemischer und einseitiger Standpunkt vertreten wurde, lag in der aufgereizten, von konträren Auffassungen erfüllten Atmosphäre des Zeitalters.“ Es spielte dabei eine große Rolle, in welchen Blättern die Kritiken erschienen. Die bürgerliche Großpresse, wie die „Neue Freie Presse“ und „Die Presse“ (damals oft „die alte Presse“ genannt), spielten eine wichtigere Rolle als die Salonblätter. Feuilletonisten, die Bruckner positiv gegenüberstanden, hatten für ihre Artikel nur Blätter mit weit geringerer Auflage zur Verfügung.

Musikpapst Hanslick

Der scharfzüngigste Kritiker Bruckners war Eduard Hanslick, der allgewaltige Presse-Musikpapst Wiens, Verfasser einer Musikästhetik, Universitätsprofessor und gefürchteter Juror. Er kritisierte die Symphonien Bruckners in der „Neuen Freien Presse“, als wären sie die Machwerke eines Dilettanten. Mit Johannes Brahms, den er favorisierte, war er sich darin einig, dass es sich bei Bruckner um eine bloße „ephemere Erscheinung“ handle.

Der Kontakt Bruckners mit Hanslick ging bis in seine Linzer Zeit zurück. Da zeigte sich der Kritiker noch als großer Gönner und lobte seine Kompositionen. Wohlwollend, aber doch mit deutlicher Distanz liest sich dann die Besprechung der Zweiten Symphonie durch Hanslick. Er spricht hier bereits von „unersättlicher Rhetorik“ trotz zahlreicher schöner Einzelheiten. Das war die Wende. Es folgte die Blockade Hanslicks bei Bruckners Ansuchen um eine Lektorenstelle an der Universität. Als Bruckner die Stelle dann durch einen Erlass des Ministers doch erhielt, war die Beziehung endgültig vergiftet. Constantin Floros beleuchtet auch die psychologischen Implikationen der Gegnerschaft zwischen Bruckner und Hanslick: „Man hat behauptet, Hanslicks Einwände gegen Bruckners Anstellung seien durchaus sachlich gewesen – eine Behauptung, die nur vordergründig zutrifft.“ Er empfand vielmehr Bruckners Anstellung gegen seinen Willen als Affront. Dazu kam, dass Bruckner sich als eingeschworener Wagnerianer erwies. Eine Provokation für Hanslick. Für ihn galt nun: „Wen ich vernichten will, den werde ich vernichten.“ (Hanslick)

„War er sich des Elends bewusst, das er Bruckner durch seine glänzenden Sticheleien zufügte“, schreibt Erwin Doernberg, „oder inspirierte ihn dieses Elend gar dazu, die besten satirischen Aphorismen zu formulieren, die ihm jemals gelangen? Anscheinend war das tatsächlich der Fall, wenn man nach der verlogenen Bonhomie urteilt, die er seiner Kritik der Bruckner’schen Werke stets anhängte: dieser gönnerhafte Ton, mit dem er heuchlerisch seine persönliche Sympathie für den ‚mir seit dreißig Jahren befreundeten, begabten und ehrenwerten Mann‘, ‚den bescheidenen, energisch strebenden Menschen‘, ‚die ehrenhafte, sympathische Persönlichkeit‘ bekundete.“

„Armselige Großthuerei“

Die Kritik von Max Kalbeck über Bruckners Siebte Symphonie strotzt von Bosheiten, wenn er den Komponisten als alt gewordenen Nobody charakterisiert, um dessen umfängliches Werk man sich mit gutem Grund bislang nicht gekümmert habe. Kalbeck über die Siebte: „Dazwischen breitet sich ein theils beängstigendes, theils belustigendes Gemisch von Großthuerei und Armseligkeit aus und die anspruchsvolle Breite sucht die mangelnde Tiefe vergebens zu ersetzen.“ Die Rezensenten versuchten die Substanzlosigkeit eines solchen Werks zu enthüllen, indem man seine Abhängigkeiten, Vorbilder und Vorlagen benannte und Bruckner so als reinen Nachahmer entlarvte. Hanslick warf ihm auch in der Dritten Symphonie Epigonentum vor, nicht nur die Nähe zu Wagner, sondern auch die naive Nachahmung Beethovens.

Gustav Dömpkes Urteil ist ähnlich: „Bruckner componirt wie ein Betrunkener; er ist ein virtuoser Anempfinder, dessen Phantasie von den heterogensten Niederschlägen Beethoven’scher und Wagner’scher Musik überschwemmt worden ist, ohne das Gegengewicht einer Intelligenz, welche diese Eindrücke ihrem Werth und Wesen nach zu unterscheiden wüsste.“ Harte Worte, die Bruckner befürchtet hat. Für Eduard Hanslick in der „Neuen Freien Presse“ war die Aufführung der Symphonie ein taktisches Manöver der Wiener „Wagner-Partei“. „Ich bekenne unumwunden, dass ich über Bruckner’s Symphonie kaum ganz gerecht urtheilen könnte, so antipathisch berührt mich diese Musik.“

Eines jedenfalls haben die Musikrezenten im „Heroenzeitalter der Kritik“ (Ludwig Hevesi), heißen sie jetzt Hanslick, Ludwig Speidel, Hugo Wittmann, Max Kalbeck, Richard Heuberger oder Julius Korngold gemeinsam: Sie konnten den Prozess des Rezipierens von Kunst dem Leser anregend und spannend vermitteln. Sie wussten um das Dilemma ihres Berufsstandes: Mit dem fachspezifischen, trocken und technisch anmutenden Vokabular, das für die Beschreibung musikalischer Werke zur Verfügung stand, konnte man sich kaum in die Herzen einer „normalen“ Leserschaft, die ein begrenztes Auffassungsvermögen besaß, schreiben. Das war empfänglicher für die Emotionen, die der Kritiker ihm servierte. Also teilten die Kritiker mit, was sie beim Hören bestimmter Werke empfanden, was in ihnen ausgelöst wurde, was sie empfunden haben. So kam es zu übermäßig scharfen und auch ungerechten Urteilen.

Clemens Höslinger schreibt dazu: „Es ist der falsche Weg, solche vor langer Zeit geschriebenen Aufsätze mit heutigen Augen zu lesen. Damals war alles vom Kampf um die Durchsetzung erfüllt, und da flogen die kritischen Späne. Ob es sich um ‚richtige‘ oder ‚falsche‘ Urteile handelt, wird sich nie beantworten lassen. Der berüchtigte scharfe Ton der Wiener Musikkritik besaß ein Äquivalent in der Reaktion des Publikums: Es scheint in diesen spannenden Zeiten mitunter regelrecht Kriegsstimmung in den Konzertsälen geherrscht zu haben, zumindest ist dies aus den Zeitungsberichten zu entnehmen. Anhänger- und Gegnerschaften ‚krachten‘ aneinander, empörte Ablehnung da, demonstrative Zustimmung dort.“

Partei-Standpunkte

Grund der Aufregung waren in erster Linie die sogenannten „Neudeutschen“, Liszt, Wagner und deren gesamte Anhängerschaft. Diese Richtung besaß zwar relativ wenige einflussreiche Wortführer in der Journalistik, dafür aber eine enthusiastische Gemeinde im Publikum, die sich bei den Konzertaufführungen durch überlautes Akklamieren hervortat. Die konservative Gegenrichtung konnte hingegen auf gewichtige und einflussreiche Vertreter in den Tagesblättern bauen. Nur wenige Kritiker waren imstande, ihre Partei-Standpunkte zu überwinden und ohne Voreingenommenheit über die neuen Schöpfungen der Musik zu urteilen, fast jeder gehörte einer der „diversen“ Richtungen an. Da schwang immer auch ein „Quantum Empörung“ (Floros) mit: „Hier will sich offenbar ein Komponist in unerklärbarer Hybris einen Platz in der Musikgeschichte sichern – und verdient es aber nicht, hat keinen Anspruch darauf, im Olymp der Großen mitzumischen.“ „Bei Bruckner handelt es sich gar nicht um die Werke, sondern um einen Schwindel, der in ein bis zwei Jahren erledigt sein wird.“ (Johannes Brahms) Nun: Bruckners Werke sind ihren Weg gegangen, im Unterschied zu vielen Werken, die das Fegefeuer der zeitgenössischen Kritik nicht überlebt haben.

„Kränkende Geschichten“

Wie reagierte Bruckner? Er schrieb in einem Brief im Mai 1884: „Bitte übrigens Hanslick ja nicht meinetwegen zu tadeln, denn sein Zorn ist schrecklich; er ist im Stande, einen zu vernichten. Mit ihm ist nicht zu kämpfen. Nur bittend kann man an ihn herantreten. Ich selbst auch so nicht; da er sich stets verleugnen lässt.“ Am 16. Juni 1886 schrieb er: „Von Hanslick und leider auch von Brahms sind für mich so kränkende Geschichten erzählt worden, dass ich lieber darüber schweige; aber mein Herz ist kummervoll!!!“ Die Kritiken trafen ihn eben hart, ihm bedeutete eine positive öffentliche Bewertung viel, Geringschätzung gegenüber der Kritik, wie mancher seiner Zeitgenossen sie tatsächlich empfand oder zu empfinden vorgab, war seine Sache nicht. Die teils boshaft-polemischen, teils ironischen Nadelstiche seiner Gegner in den Zeitungen machten ihm schwer zu schaffen. Sie waren exzellent formuliert, von Meistern der Sprache, Bruckner, für den jedes gedruckte Wort große Autorität besaß, war dieser anspielungsreiche und raffinierte Umgang mit der Sprache völlig fremd. Das unverbildete Naturkind trug das Herz auf der Zunge, seine Briefe waren herzlich-überschwänglich, offen und unverblümt.

Bruckner wartete immer wieder auf den Durchbruch und fürchtete die Verrisse von „Hanslick et Consorten“. Da hinein passt die Episode von 1886: Bruckner traf bei einer Audienz auf Kaiser Franz Joseph und bat den Kaiser, er möge Hanslick doch befehlen, nicht mehr so schlecht über ihn zu schreiben. Ein skurriles Ansinnen. Es zeigt: Die Autoritäten auf musikalischem Gebiet hatten großen Einfluss auf ihn, die Souveränität eines Brahms, der jeden Widerspruch von sich schob, war ihm nicht eigen. Dann suchte er den Fehler bei sich selbst und seinem Werk und begann an Neufassungen zu arbeiten. Die meisten seiner symphonischen Werke liegen daher in mehreren Fassungen vor. Es war eine regelrechte Bearbeitungsmanie. Brucknerforscher Robert Haas meinte dazu, der Komponist ließ sich regelrecht zu Revisionen seiner Werke drängen, sei unter der Kuratel seiner Schüler und Freunde gestanden, die ihm ihre Vorstellungen aufgenötigt hätten. Das wurde als übertrieben bezeichnet: Bruckner nahm Rat an, doch die Bearbeitungsmanie ging durchaus auch von ihm selbst aus, da er immer wieder Schübe von Selbstzweifeln erlitt. So musste er 1890 vom Dirigenten Hermann Levi ernsthaft ermahnt werden, endlich die Finger von seiner Ersten Symphonie zu lassen: „Bitte, bitte, ändern Sie nicht zu viel, es ist alles gut, wie es ist, auch die Instrumentation! Nicht zu viel retouchiren, bitte, bitte!“

Wer waren Bruckners Befürworter? Seine Anhänger rekrutierten sich vor allem aus seinen Schülern am Konservatorium. Die Brüder Franz und Josef Schalk sahen in ihm ein schöpferisches Genie und traten publizistisch für ihn ein. Josef Schalk schrieb in den „Bayreuther Blättern“, dass es sich hier um einen Künstler jenseits der Konventionen handle, der zweifellos durch „Nichtbeachtung äußerer Umgangsformen“ und den „Mangel jenes Surrogates, das man heute ‚allgemeine Bildung‘ nennt“, auffalle. „Kindliche Reinheit und Unbefangenheit, unbegreifliche Ausserachtlassung und Unkenntnis aller und jeder Lebenspraxis kennzeichnen ihn als Meister wie als Künstler.“ Es bedürfe eines Mediators zwischen einem solchen Originalgenie und dem Publikum.

Es gab auch Freunde

Hans Paumgartner, der begeisterte Bruckner-Apostel, schrieb sich seinen Ärger über die Zurücksetzung Bruckners durch die Wiener Philharmoniker von der Seele. Er stammte ebenfalls aus Oberösterreich, sagte dem Juristenberuf Ade, war ausschließlich der Musik verbunden, als Pianist, Komponist und Musikschriftsteller. Er war mit dem Komponisten eng befreundet und setzte sich in der „Wiener Zeitung“ aus ehrlicher Überzeugung und couragiert für Liszts, Wagners und eben auch Bruckners Werk ein, als Musiker wie als Kritiker. Die zum Klischee erstarrte apodiktische Behauptung, große Kunst sei zu ihrer Entstehungszeit immer verkannt worden, stimmt also nicht, auch nicht im Fall von Anton Bruckner.

Der in der Bruckner-Literatur bekannte Musikkritiker und -schriftsteller Robert Hirschfeld war Schüler von Eduard Hanslick, durch seine Lehrtätigkeit am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde ab 1881 ein Kollege Bruckners. Ab 1888 war er Musikkritiker für etliche Wiener Zeitungen, darunter auch „Die Presse“. Ab 1893 schrieb er für die in dieser Konzertsaison erstmals aufgelegten Programmhefte der Philharmonischen Konzerte. (Die Hefte sollten den gravierenden Besucherrückgängen und den damit verbundenen finanziellen Einbrüchen entgegenwirken.) Ganz im Stil der Zeit versuchte Hirschfeld, hier die Musik in narrativer Weise sichtbar zu machen, und zwar wertneutral, also ohne persönliche Wertungen einfließen zu lassen. Die Erklärungen wurden mit zahlreichen Notenbeispielen unterstützt. Er stand dem Wagner-Kreis nahe und bildete damit einen Gegenpol zu den Auffassungen Hanslicks. Dem Werk Bruckners stand Hirschfeld positiv gegenüber, er stellte ihn auf eine Stufe mit Brahms. Er zeigte sich in seiner Kritik beeindruckt von der Farbenpracht des Orchesters. Am 21. November publizierte Hirschfeld in der „Wiener Zeitung“ einen Nachruf auf Bruckner. Einmal mehr widersprach er den Bruckner-Gegnern und betonte die musikhistorische Bedeutung des Komponisten: „Bruckners kunstgeschichtliche Stellung kann heute durch geistreiche Feuilletons nicht mehr erschüttert oder verschoben werden.“

Das Phänomen Vertröstung, nämlich, dass sich die Rezeption Bruckners auf die Nachwelt verschieben musste, war lange Zeit dominierend. In der Tat konnte er zu seinen Lebzeiten nicht einmal alle seine Werke hören. Hat sich der Komponist damit abgefunden? Sätze wie diese legen das nahe: „Wenn I‘ amol nimmer bin, dann derzählt’s der Welt, wos i‘ g’litt’n hob‘ und wia i‘ v’rfolgt word’n bin!“ Man wird erinnert an eine Briefstelle bei Gustav Mahler: „Muss man denn immer erst tot sein, bevor einen die Leute leben lassen?“

Rudolf Flotzinger hat in seinem Aufsatz über „Bruckners Rolle in der Kulturgeschichte Österreichs“ Erstaunliches zutage gefördert. Sehr oft bringen die hier zitierten Autoren nur Triviales, eine Ansammlung von Klischees hervor. Arthur Schnitzler berichtet in seiner Autobiografie, dass ihm einmal Bruckners „wunderbares, weltverlorenes Spiel“ an einer Orgel gefallen habe. Danach habe er den Komponisten nur noch gesehen, „wenn er, stürmisch gerufen, nach Aufführung einer seiner Symphonien, in einem sackartigen Anzug, in seiner unbeholfenen, rührenden Weise sich vor dem belustigten, damals nur zum geringeren Teile wirklich begeisterten Publikum verbeugte“. Man merkt die Distanz des urbanen Intellektuellen, Schnitzler unterschied sich da nicht von der gesamten Bildungsschicht der Stadt.

„Halb Genie – halb Trottel“

Das vorgefertigte Bild eines großen Künstlers, das die Zeitgenossen damals im Kopf trugen, ließ sich auf Bruckner nicht anwenden. Widersprüchlichkeiten ließen sich schwer vereinbaren und passten nicht in das Bild des romantischen Heroenkults. Der kauzige Professor, der an seinen oberösterreichischen Wurzeln festhielt, war ebenso wie seine demonstrative Frömmigkeit nicht vereinbar mit den Vorstellungen eines Genies, wie es Beethoven, Wagner oder auch Brahms verkörperte. Ein gläubiger Katholik konnte nur ein Einfaltspinsel sein. Auch sein Streben nach Beamtenstellen erschien befremdlich. Die Charakterisierung durch den scharf formulierenden Hans von Bülow legt davon Zeugnis ab: „Halb Genie – halb Trottel“, so soll sein Urteil gewesen sein.

Man berief sich auf Banalitäten, die in Anekdotenform weitergegeben wurden, und kam zu einem Urteil. Seine Anhänger kamen schwer dagegen an. Der Journalist Julius Bistron schrieb 1919: Bruckner als Mensch sei „nicht nur im herkömmlichen Sinne unbedeutend, sondern nahezu schon belanglos gewesen“. Zeugnisse dieser pauschalisierenden Reduktion gibt es unzählige. Nicht zuletzt Bruckner-Biograf August Göllerich trägt Mitschuld daran: Er war der Erste, der Zeitgenossen nach ihren Erinnerungen befragte und den Grundstein zur Anekdotensammlung legte. Sie ersetzte die seriöse Biografie.

In der berühmten „Kulturgeschichte der Neuzeit“ von Egon Friedell taucht Bruckner gar nicht auf, in anderen Büchern mit ähnlichem Thema nur als Fußnote. Stefan Zweig reflektierte 1940 in seiner „Welt von gestern“ über „das Österreichische“ und erwähnt als „Siebengestirn der Musik“ „Gluck, Haydn und Mozart, Beethoven, Schubert, Brahms und Johann Strauß“. Brahms also, der Deutsche, und nicht Bruckner.

Ludwig Reiter schrieb 1952 in der „Kultur- und Wirtschaftsgeschichte Österreichs“: „Zwar findet die liberale Salonwelt ‚Stocklandler‘ Anton Bruckner polizeiwidrig aufreizend und ‚verworren‘ (skandalöser Durchfall der Dritten Symphonie 1877), dagegen wird der Epigone Johannes Brahms, der die ganze Ringstraße mit ihren Karyatiden und Stuckplafonds, Krinolinen und Zylindern instrumentiert, vom allmächtigen Organ der Hochfinanz, von der ‚Neuen Freien Presse‘, zum Klassiker ausgerufen und in Lorbeeren förmlich erstickt.“ Bei William M. Johnston ist Bruckner ein „Märtyrer“ und „verfolgter Neuerer“ wie Hugo Wolf, Gustav Mahler und Arnold Schönberg.

Erst knapp vor der Jahrhundertwende wurde Bruckner als „der Idealtyp des verkannten, vielgeschmähten deutschen Künstlers“ gesehen. Da war der Schritt zum Repräsentanten des Österreichertums noch nicht vollzogen. Nur in jedem zweiten musikwissenschaftlichen Werk, so Rudolf Flotzinger, wird Bruckner ausdrücklich als Österreicher bezeichnet. Das änderte sich erst mit der Gründung der Republik 1918, die seinen Namen forciert in Anspruch nahm. Die Rezeption des einst Vernachlässigten und Verkannten wurde nachgeholt. Bruckner gehörte nun nach Beethoven zu den meistgespielten Komponisten in den Konzertsälen. Da wurde er nach Flotzinger auch als „Integrationsfigur des Landes Oberösterreich, auf die sich gewissermaßen Deutschnationale, Klerikale und Linke einigen konnten“, entdeckt: „Nunmehr trachtete also nicht mehr der Provinzler, sich in der Hauptstadt zu behaupten, sondern umgekehrt die Provinz, den Aufgestiegenen für sich zurückzugewinnen und in besonderer Weise in Anspruch zu nehmen.“ Der einst als Neutöner Diffamierte wurde schließlich, ab den 1920er-Jahren, zum Gralshüter einer vermeintlichen Tradition.

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