Landgericht bestätigt Urteil gegen Rotenburger AfD-Chefin
Landgericht bestätigt Urteil gegen Rotenburger AfD-Chefin
Marie-Thérèse Kaiser (AfD) und ihre Berliner Anwälte Karl-Friedrich Weiland (l.) sowie Björn Clemens betonen, Kaiser habe lediglich eine Debatte anstoßen wollen.
Das Landgericht Verden bestätigt ein Urteil gegen die Rotenburger AfD-Chefin Marie-Thérèse Kaiser. Sie wurde der Volksverhetzung schuldig gesprochen, weil sie Hass gegen afghanische Ortskräfte geschürt haben soll.
Rotenburg/Verden – Obwohl der Richter Heiko Halbfas dem Antrag der Verteidigung nicht folgte, Bundesinnenministerin Nancy Faser in den Zeugenstand zu laden, dauerte es am Montag fast sieben Stunden, bis er das Urteil verkündete: Die Rotenburger AfD-Kreisvorsitzende Marie-Thérèse Kaiser hat sich der Volksverhetzung schuldig gemacht, als sie vor fast drei Jahren afghanische Ortskräfte der Bundeswehr in einem Social-Media-Beitrag in einen Zusammenhang mit Gruppenvergewaltigungen setzte.
Wer die Menschenwürde angreift, kann sich nicht auf Meinungsfreiheit berufen.
Richter Heiko Halbfas
Der Berufungsprozess am Landgericht Verden beförderte wenig neue Erkenntnisse zutage, bot aber vielen den Raum, ihre mittlerweile wohlbekannten Rollen auszufüllen: Die Staatsanwältin appellierte an die Vorbildfunktion der Politikerin. Die Verteidiger nutzten den Prozess als Bühne für politische Botschaften und spektakuläre Anträge. Die etwa ein Dutzend Zuschauer aus dem Umfeld Kaisers – unter ihnen der Stader AfD-Chef Maik Julitz, der auch beim „Geheimtreffen bei Potsdam“ anwesend war – brachen in Jubel aus, als die Rotenburger Kreistagsabgeordnete ihren Post als einen Beitrag zu einer „überfälligen“ und „massiv unterdrückten“ Debatte rechtfertigte. Und die rund zehn Demonstranten vor der Tür forderten: „Alle zusammen gegen den Faschismus!“
Kaiser warnte vor „kulturfremden Massen“
Im August 2021, wenige Wochen vor der Bundestagswahl, hatte Kaiser auf ihren Social-Media-Accounts auf einer sogenannten Kachel geschrieben: „Afghanistan-Flüchtlinge; Hamburger SPD-Bürgermeister für ,unbürokratische‘ Aufnahme; Willkommenskultur für Gruppenvergewaltigungen?“ Der Beitrag bezog sich auf ein Interview mit dem Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), der sich für die Rettung der von den Taliban bedrohten afghanischen Ortskräfte stark gemacht hatte. Er kündigte an, 200 Helfer der Bundeswehr in Hamburg aufzunehmen. In einem ergänzenden Text begründete Kaiser ihre Sorge vor unkontrollierter Zuwanderung und warnte vor Vergewaltigungen durch „kulturfremde Massen“. Zudem verwies sie auf Zeitungsartikel, die belegen sollen, dass Afghanen überproportional häufig im Zusammenhang mit Sexualverbrechen auffällig seien.
Die Verdener „Omas gegen Rechts“ protestieren gemeinsam mit dem Rotenburger Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“, um sich dem „verbalen Rechtsruck“ entgegenzustellen.
In einem erstinstanzlichen Urteil vom Juni 2023 kam das Amtsgericht Rotenburg zu dem Schluss, Kaiser habe die zitierten Angaben im Beitragstext aus dem Zusammenhang gerissen und billigend in Kauf genommen, dass die Kachel von einem objektiven Betrachter als volksverhetzend empfunden werde. Zudem verletze die rhetorische Frage die Menschenwürde einer abgrenzbaren Gruppe von afghanischen Geflüchteten. Das damalige Urteil: eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen in Höhe von jeweils 60 Euro.
Szeneanwalt sieht keine Verächtlichmachung
Dabei soll es bleiben, entschied Richter Halbfas am Montag. Während der Verhandlung beschränkte sich seine Rolle überwiegend auf die des Vorlesers: Zunächst verlas er das Urteil des Amtsgerichts, den von Kaiser verfassten Text sowie die drei von ihr verlinkten Zeitungsartikel über Kriminalstatistiken und die damals unübersichtliche Situation am Flughafen Kabul.
Auf Antrag der Verteidigung verlas er anschließend weitere Artikel über die Situation von Frauen in Afghanistan und über vereinzelte Gefährder, die sich in das Programm zur Aufnahme von afghanischen Ortskräften geschmuggelt haben sollen. Die Verteidigung wollte „darlegen, dass die Aussagen von Frau Kaiser sich in eine Diskussion einordnen, die bis heute andauert“, sagte Szeneanwalt Björn Clemens, der 2018 den NSU-Unterstützer André Eminger verteidigt hatte und lange selbst bei der Partei Die Republikaner aktiv war. Für Clemens ist der angewendete Paragraf 130 ein „Schnüffelparagraf“ und Kaisers Beitrag lediglich eine Metapher und keine Verächtlichmachung.
Der überraschende Antrag, Innenministerin Nancy Faser vorzuladen, sollte beweisen, „dass eine steigende Migration zu mehr Straftaten geführt hat“, wie die SPD-Politikerin kürzlich bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik gesagt hat. Richter Halbfas ließ jedoch lediglich zu, eine kurze Videosequenz der Pressekonferenz abzuspielen. Er verwies zugleich darauf, dass es für die Bewertung unerheblich sei, ob sich volksverhetzend formulierte Beiträge auf tatsächliche Sachverhalte beziehen oder nicht.
Kaiser kündigt Revision an
Er und die zwei Schöffen folgten letztlich der Argumentation der Staatsanwältin, die in Kaisers Beitrag einen „Angriff auf die Menschenwürde“ einer national abgrenzbaren Gruppe sieht und den Beitrag als „Aufstachelung zu Hass“ einordnet. Der kontextualisierende Text unter der Kachel verstärke aus Sicht der Staatsanwältin sogar die „negativ verkürzte Darstellung“ und schüre ein Klima der Angst und Ablehnung.
Mein Vertrauen in meine Unschuld ist groß, mein Vertrauen in den Rechtsstaat hingegen erschüttert.
Marie-Thérèse Kaiser
In der Urteilsbegründung stellte Halbfas zudem klar: „Wer die Menschenwürde angreift, kann sich nicht auf Meinungsfreiheit berufen.“ Kaiser habe bewusst ein Bild im Kopf anderer erzeugt, dass zu Hass auf eine national bestimmte Gruppe führe. Kaiser kündigte nach der Verhandlung an, Revision einzulegen. Ihr Vertrauen in ihre Unschuld sei groß, in den Rechtsstaat hingegen „erschüttert“.