Kronberg Academy: „Was man braucht, sind wirklich gute Musiklehrer“
Geigerin Antje Weithaas warnt davor, immer weniger Geld in die Kultur zu investieren.
Ich spiele altbekannte Werke jedes Mal anders“, sagt Antje Weithaas: „Ich mag keine Routine.“ Die Geigerin konzertiert auf den Bühnen der Welt, gehört zu den Stammdozenten der Kronberg Academy und wirkt dort vom 9. bis 19. Mai beim Projekt „Chamber Music Connects the World“ mit.
30 ausgewählte Nachwuchsmusiker aus aller Welt, die „Juniors“, erarbeiten zusammen mit den „Seniors“ der Academy, zu denen außer Weithaas auch Sir András Schiff (Klavier), Lawrence Power (Viola), Miklós Perényi (Violoncello), Enrico Pace (Klavier), Gary Hoffman (Violoncello) und Gidon Kremer (Violine) zählen, elf Tage lang in diversen Besetzungen mehrere Konzertprogramme. Zu erleben sind sie in dieser Zeit täglich bei öffentlichen Proben sowie in acht Konzerten.
„Kultur macht uns zum Menschen“
„Das Besondere an diesem Projekt ist die in der Kürze der Zeit konzentrierte Energie“, sagt Weithaas: „Wir treffen ja alle zum ersten Mal aufeinander. Da müssen wir einander zunächst einmal zuhören.“ Die allererste Probe ist daher die einzige, die nicht öffentlich ist. Bei sämtlichen weiteren Proben, das ist den Initiatoren wichtig, sind die Zuhörer dazu eingeladen mitzuerleben, wie die Musiker sich einander über kulturelle Grenzen hinweg annähern, unterschiedliche Interpretationsansätze kennenlernen und ausprobieren und aneinander wachsen. Um das Auswahlverfahren zu überstehen, mussten sie ihr Spiel der vorgegebenen Werke in einem ungeschnittenen Youtube-Video dokumentieren.
Weithaas sieht sehr klar, dass die hervorragend ausgebildeten jungen Musiker in ihrem zukünftigen Berufsleben auf ein schwindendes Publikum, eine schrumpfende Anzahl von Stellen und immer weniger Geld für Kultur treffen werden. „Kultur macht uns innerlich reicher“, sagt sie zur Entgegnung auf diesen Trend: „Ist es vielen Menschen zu lange zu gut gegangen?“ Sie macht eine wachsende Konsummentalität für solche Haltungen verantwortlich: „Kultur macht uns zum Menschen, Konsum hingegen zu Abhängigen.“
Aktives Musizieren hingegen ist für Weithaas ein Schlüssel zum gelungenen Miteinander. Chorgesang etwa sei hervorragend geeignet für das Einanderzuhören, das Entwickeln von Empathie und das Erleben von Synergien. „Dass der Musikunterricht zunehmend aus den Schulen verschwindet, ist ein Skandal“, sagt sie: „Ich gehe viel in Schulen und staune immer wieder darüber, welche Konzentration und Intensität da möglich ist.“ Vor allem Kinder im Alter von unter zwölf Jahren zeigten großes Interesse, gerade auch an zeitgenössischer Musik, die im kollektiven Unbewussten noch gar nicht angekommen sei: „Was man braucht, sind wirklich gute Musiklehrer, die begeistern können.“
Die Kommunikativste aller Künste
Sie selbst hat sie gehabt. 1966 kam sie in Guben zur Welt, in der ehemaligen DDR wurde sie optimal gefördert, „ohne Drill“, wie sie betont: „Bei allen Einflüssen von außen sollte man wissen, was man will, und diesen Wunsch konsequent verfolgen.“ Dass manch begabtes Kind hierzulande kein Instrument lerne, weil die Eltern sich die Musikschule nicht leisten könnten, findet sie schlimm und sieht den Staat gehörig in der Pflicht. „Gute Musik hat noch nie ohne Förderung bestehen können, sie braucht Mäzene“, sagt sie: „In Amerika sieht man, wie Musik noch mehr als hier über die Kommerzialisierung zur Droge verkommt. Aber Sie sehen auch: Wo Kultur stark ist, hat Trump keine Chance.“
Wie schafft sie es, auch bekannteste Werke so frisch klingen zu lassen, als spielte sie sie zum ersten Mal? „Musik entsteht immer im Miteinander, durch alle gemeinsam, auch das Publikum ist ein wichtiger Teil davon.“ Sogar wenn man in einem Orchester unter Leitung eines Dirigenten spiele, könnten alle sich einbringen und aufeinander reagieren: „Wenn ich spiele, höre ich vor allem genau zu, reagiere mit offenem Herzen und stelle auch meine erübte Sicherheit infrage.“
Wie will sie das jungen Menschen beibringen, die so souverän vielleicht noch nicht sind? „Es ist möglich, dass manche von ihnen schon zu viel im stillen Kämmerlein vor sich hin geübt haben. Aber Musik ist von allen Künsten die kommunikativste“, sagt Weithaas. In Kornberg gilt daher das Gegenmittel: „Wir werden so tun, als hätten wir das Stück noch nie gehört und nie gespielt, und probieren alles Mögliche aus.“
Wenn das gelingt, muss sich das Projekt auch nicht den Vorwurf gefallen lassen, dass nur europäische Komponisten gespielt werden und sämtliche Dozenten aus dem westlichen Kulturkreis stammen. „Manchmal muss man auch etwas akzeptieren, was dem eigenen Gefühl zunächst zuwiderläuft“, sagt Weithaas: „Letztlich müssen wir einen gemeinsamen Atem finden und da hinkommen, dass uns jeder Ton etwas sagt und jeder Ton aus unserer Überzeugung spricht. So arbeiten wir an einer Sprache, die jeder unmittelbar versteht.“
Chamber Music Connects The World 9. bis 19. Mai, Kronberg, diverse Spielstätten, Programm unter kronbergacademy.de