Krankenhausreform: Lauterbach will den „Hybridarzt“ – Ärzte wehren sich
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (links) kritisiert nicht zum ersten Mal Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD): Niedergelassene Ärzte sorgen sich vor der Krankenhausreform.
„Die meisten werden es noch nicht mitbekommen“, schrieb der Arzt Christian Haffner am Montag bei X, ehemals Twitter: Lauterbach versuche im Rahmen der Krankenhausreform „die gesamten Facharztpraxen, aber auch Hausarztpraxen abzuschaffen. Sein Plan: Hausärzte werden degradiert zu abhängigen Ärzten in Krankenhausambulanzen, Spezialisten soll es künftig nur noch in Krankenhäusern geben. Krankenhäuser sollen massiv dezimiert werden.“
Weiter schreibt der Mediziner aus Frankfurt: „Sein Vorwand: Kostenersparnis, angeblich bessere Qualität. Die Wahrheit: Freiberufliche, von Industrie und Politik und Konzernen unabhängige Ärzte sollen abgeschafft werden, die gut funktionierende ambulante Medizin wird an die Wand gefahren.“
Haffner ist selbst niedergelassener Arzt, er wurde durch die Pandemie bekannt, weil er unter anderem die Protokolle des Corona-Expertenrats freigeklagt hat. Auf der Homepage seiner Praxis steht: „Als Mitglieder der Vereinigung der unbestechlichen Ärztinnen und Ärzte MEZIS lassen wir keine Pharmavertreter in die Praxis, nehmen keine Muster an und besuchen auch keine Veranstaltungen, die von der Pharma- oder Medizinprodukteindustrie gesponsort werden.“
Der Tweet bekommt im Netz viel Aufmerksamkeit und Zustimmung, allerdings gibt es auch Gegenstimmen wie diese: „Polikliniken wie in der DDR? Warum eigentlich nicht? Die flächendeckende Versorgung mit Haus- und Fachärzten darf angesichts von sechs Monaten Wartezeit und mehr jedenfalls als gescheitert betrachtet werden.“
Am heutigen Dienstag startet in Mainz der 128. Deutsche Ärztetag und dieses Thema darf wohl als gesetzt gesehen werden, denn es sorgt schon im Vorfeld für viel Aufregung innerhalb der Ärzteschaft:
„Die jüngst vorgelegten Empfehlungen der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung zur sektorenübergreifenden Versorgung werden von der Ärzteschaft sehr kritisch bewertet“, so formuliert es das Deutsche Ärzteblatt. Dies zeigten erste Reaktionen auf den am vergangenen Freitag an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) übergebenen Bericht der für die Krankenhausreform eingesetzten Regierungskommission.
Hierbei werde es „mehr und mehr zu einem Problem, dass die aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern besetzte Regierungskommission Politikempfehlungen abgibt, ohne über das notwendige Versorgungswissen aus Klinik und Praxis zu verfügen“, so Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt. Die Kommission stelle „leichtfertig die ambulante fachärztliche Versorgung in Deutschland infrage“.
Die Regierungskommission hatte am Freitag in Berlin ihre mittlerweile zehnte Stellungnahme an Lauterbach übergeben, der Titel: „Überwindung der Sektorengrenzen des deutschen Gesundheitssystems“. Darin heißt es: „Die sektoralen Trennungen – insbesondere die ambulant-stationäre Sektorentrennung – erzeugen erhebliche Fehlsteuerungen und weitere Probleme, die zum Teil bereits seit Jahrzehnten benannt werden.“ Die Sektorengrenzen seien tief im Gesundheitssystem verwurzelt und ein Hauptgrund für Ineffizienz.
„Der Reformbedarf ist so drängend geworden, dass wir nicht mehr um eine Generalüberholung des deutschen Gesundheitswesens herumkommen“, betonte Tom Bschor, Leiter der Regierungskommission. Hintergrund sei insbesondere der Fachkräftemangel. „In diesem Jahr feiern 1,4 Millionen Menschen ihren 60. Geburtstag“, so Bschor – aber nur 800.000 Menschen ihren 20. Geburtstag.
„Wenn wir wirklich die Sektorentrennung überwinden wollen, müssen wir den ambulanten und den stationären Bereich gemeinsam planen“, teilte Bschor weiter mit. „Damit können wir bei den Level-1i-Krankenhäusern starten, die regional geplant werden können.“ Wenn es etwa in einer Region eine gute Abdeckung mit niedergelassenen Kardiologen gebe, aber nicht mit Urologen, könne die Fachrichtung Urologie stattdessen im Krankenhaus angeboten werden.
„Wenn wir die Sektorengrenzen nicht aufbrechen, werden wir es nicht schaffen, die Generation der Babyboomer mit der Zahl der Fachkräfte, die wir jetzt im Gesundheitssystem haben, gut zu versorgen“, betonte Lauterbach. „Für die 1.720 Krankenhäuser in Deutschland haben wir weder genug Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte noch die wirtschaftlichen Voraussetzungen oder den medizinischen Bedarf. Die heutigen Strukturen sind in keiner Weise zukunftsfähig. Wir müssen das medizinische Personal effizienter einsetzen.“
Der Gesundheitsminister betonte zugleich, die Politik wolle die niedergelassenen Fachärzte in keiner Weise angreifen. Es gehe nur darum, in Regionen, in denen es nicht genügend Fachärzte gebe, um sowohl die stationäre als auch die ambulante Versorgung sicherzustellen, die Möglichkeit zu schaffen, dass niedergelassene Fachärzte im Krankenhaus arbeiten könnten. „Wir prüfen derzeit, ob die Einführung eines Hybridarztes möglich ist, der sowohl im Krankenhaus als auch als Vertragsarzt arbeiten kann“, so der Minister.
Beim vergangenen Ärztetag in 2023 war Lauterbach von zahlreichen Medizinern ausgebuht worden – nun gibt es trotz seiner Beschwichtigung in diesem Punkt offenbar weiter Grund zu Unmutsbekundungen vonseiten der Ärzteschaft.
Aus Sicht der Bundesärztekammer können die sogenannten Level-Ii-Kliniken die zentrale Versorgungsrolle, welche die Kommission ihnen zugedenke, nämlich nicht übernehmen: „Einrichtungen unter pflegerischer Leitung ohne Notfallambulanz, in denen nachts kein Arzt anwesend ist, sind im Grunde keine Krankenhäuser und können die stationäre Grundversorgung nicht sicherstellen“, warnte Klaus Reinhardt. Bleibe die Kommission dabei, den Dialog mit den niedergelassenen Ärzten zu vermeiden, führe das zu „Empfehlungen, die an der Versorgungsrealität total vorbeigehen“.
Die Abschaffung der wirtschaftlich selbstständigen fachärztlichen Tätigkeit würde einen „massiven Paradigmenwechsel weg von einem individualisierten Arzt-Patienten-Verhältnis hin zu staatlich organisierten Strukturen“ bedeuten, betonte der Ärztekammer-Präsident.
Auch der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, Karsten Braun, äußerte sich kritisch: „Allen Ernstes setzt sich die Kommission dafür ein, dass fast alle fachärztlichen Behandlungen künftig nur noch an oder gemeinsam mit Krankenhäusern stattfinden sollen. Das hätte fatale Konsequenzen für die fachärztliche Versorgung in weiten Teilen der Bevölkerung.“ Kliniken würden sich bereits aus der Fläche zurückziehen. Die Regierungskommission setze sich aber „ausschließlich aus Vertretern der Kliniken zusammen. Kein Wunder, dass jegliches Verständnis für die ambulante Versorgung fehlt.“
Auch der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, Frank Bergmann, sieht die Kliniken „weder organisatorisch noch medizinisch dazu in der Lage, die Arbeit der Niedergelassenen allein zu schultern“, schreibt das Ärzteblatt. Sollte Lauterbach den Empfehlungen der Regierungskommission folgen, seien die Konsequenzen absehbar: Es würde zu noch längeren Wartezeiten und zu einer „Einschränkung des Leistungsversprechens“ kommen. „Leidtragend wären am Ende nicht nur die Praxen, sondern vor allem die Patienten.“
Der Spitzenverband Fachärztinnen und Fachärzte Deutschlands zeigt sich verärgert: „Die Ergebnisse der Kommission sind ein Produkt aus gravierenden Fehlannahmen und einer einseitigen Interessenvertretung der Universitätsmedizin.“ Die Kommission zeige eine „erschreckende Distanz zur realen Versorgung“, so der Vorstandsvorsitzende Dirk Heinrich. Die Arbeit von Fachärzten in der Klinik sei eine grundsätzlich andere als in der Niederlassung. Die niedergelassenen Fachärzte seien in Deutschland heute in großem Maße dafür verantwortlich, die endgültigen Diagnosen bei Patienten zu stellen. Auch Diagnosen in Krankenhäusern würden oft erst unter Beteiligung der niedergelassenen Fachärzte möglich.
Der Ärztetag findet in diesem Jahr vom 7. bis 10. Mai in Mainz statt. Weitere Infos und das Programm gibt es hier.