Kommentar zum Umgang mit dem Rechtsstaat: Nicht verhöhnen
Protestcamp vor dem Bundestag
Wer dauernd betont, dass man den Staat verhöhnen darf, der wird die Quittung dafür bekommen. Mit Staat ist in diesem Fall der demokratische Rechtsstaat gemeint, kein lebensverachtendes Unterjochungsregime à la Putin. Sondern das freie, auf dem Willen der Bürger basierende, unabhängig kontrollierte Gemeinwesen.
Weil es so frei ist, darf man auch ein ganz anderes System wollen. Bei aller berechtigten Kritik an einem sich politisch gebärdenden Verfassungsschutz: Wer das Infragestellen des staatlichen Gewaltmonopols verharmlost, der muss sich darüber im Klaren sein, dass alle sich darauf berufen können und auch werden: Klimaaktivisten, Kalifat-Anhänger, Querdenker, Reichsbürger. Ein Widerstandsrecht nur für die Letzte Generation, aber nicht auch für protestierende Bauern? Jeder glaubt, für sich und seine Gruppe die Wahrheit gepachtet zu haben. Das darf auch jeder, aber für alle gelten die gleichen Regeln.
Weite Meinungsfreiheit
Die Meinungsfreiheit muss weit sein – mit allem Recht nennt sie das Bundesverfassungsgericht seit Langem ein „für die freiheitlich-demokratische Ordnung schlechthin konstituierendes Grundrecht“. Aber Wachsamkeit bleibt geboten, wenn das Recht in die eigenen Hände genommen und auf die Abschaffung der freiheitlichen Grundordnung hingewirkt wird. Grundrechte finden ihre Schranken in anderen Werten von Verfassungsrang. Auch dafür, dass das auch durchgesetzt wird, ist ein Minimum an Respekt nötig.
Das Bundesverfassungsgericht hat unlängst bekräftigt, dass dem Staat „kein grundrechtlich fundierter Ehrenschutz“ zukomme. Eine Selbstverständlichkeit, denn es sind die Menschen und Bürger, die Menschen- und Grundrechte haben – gerade als Abwehrrechte gegen den Staat. Die Grundrechte strahlen auf die gesamte Rechtsordnung aus. Und dass es noch mächtigere Gebilde als manche Staaten gibt, verstärkt nur die Rolle des demokratischen Rechtsstaats, der Freiheit sichert – aber in seiner Macht auch kontrolliert und kritisiert werden muss. Durch unabhängige Justiz und freie Presse. Kein Wunder, dass autoritäre Regime diese beiden „Gewalten“ als erste im Visier haben.
Es regiert sich eben leichter mit willfährigen Richtern, die dann eigentlich gar keine mehr sind, und ohne lästige Kommentare. Der freiheitliche Staat lebt davon, dass Machtkritik immer möglich ist – Machtwechsel natürlich ohnehin. Auch wenn beides sogar demokratisch gewählten Machthabern mit fortdauernder Amtszeit oft immer schwerer fällt zu akzeptieren.
Im Zweifel für die Freiheit. Das heißt hier: im Zweifel für die Meinungsfreiheit. Nicht ganz unter den Tisch fallen sollte aber: Der freiheitliche Staat kann um seiner Existenz willen nicht alles hinnehmen. Auch nicht jeden verbalen Angriff, weil, wie es das Bundesverfassungsgericht formuliert, staatliche Institutionen „ohne ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Akzeptanz ihre Funktion nicht zu erfüllen vermögen“. Der Staat darf sich nicht abschirmen, er darf aber auch nicht schutzlos sein.
Kein falsch und richtig
Meinungsäußerungen muss er aushalten – hier gibt es auch kein Falsch und Richtig. Er muss aber nicht jede Falschmeldung hinnehmen und sich verunglimpfen lassen. Die Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole ist sogar ein Straftatbestand, der freilich immer im Lichte der Meinungsfreiheit auszulegen ist. Während früher die (schon von den Feinden der Weimarer Republik gebrauchte) Bezeichnung der Flagge als „Schwarz-Rot-Gelb“ als strafbar galt, ist heute auch „Schwarz-Rot-Senf“ erlaubt.
Man kann auch mit guten Gründen den Zweck einer solchen Staatsschutznorm infrage stellen. Schließlich muss der Bürger die Werte des Grundgesetzes nicht teilen, erzwingt der Staat keine Werteloyalität. Doch die sich am liberalsten Gebenden – jedenfalls was die eigenen Vorlieben angeht – sollten auch jenseits des Rechts darüber nachdenken, dass der Staat auch von Akzeptanz lebt. Die Wehrhaftigkeit nach außen, deren Notwendigkeit neuerdings offensichtlich geworden ist und die kaum jemand infrage stellt, bedarf auch eines Pendants nach innen. Normen sind Zeichen dafür, dass bestimmte Dinge nicht egal sind.
Der Gang vor Gericht, auch jenseits der Strafverfolgung, sollte für den Staat tatsächlich eher das letzte Mittel sein. Er sollte sich auch anders wehren können. Durch gute Politik und Verwaltung, durch Information. Aber jeder Bürger und jedes Unternehmen ist eben auch zur Durchsetzung seiner Rechte und Interessen nicht nur auf gute Infrastruktur angewiesen, sondern auch auf die tägliche Sicherung von Freiheit und Recht. Die Verhöhnung des Rechtsstaats, des demokratischen Gemeinwesens, gar aus nichtigem Anlass oder als Regel, die Verächtlichmachung demokratischer Gesetze (dazu zählen auch Steuern) führen nicht zu mehr Recht, sondern zu Unrecht und Unfreiheit.