Kommentar: Volksvertreter brauchen keinen Doktorgrad
Schon wieder ein Plagiatsfall: Manja Schreiner (CDU) gibt am 30. April ihren Rücktritt als Berliner Verkehrssenatorin bekannt.
Wer als junger, aufstrebender Politiker früher etwas auf sich hielt und noch Karriere machen wollte, der kam um eine Doktorarbeit kaum herum. Wie sie entstand, war fast egal, Hauptsache, am Ende konnte man den akademischen Grad auf die Visitenkarte und das Briefpapier schreiben. Ein promovierter Abgeordneter, Minister, gar Kanzler, das verhieß intellektuellen Tiefgang bei der Lösung drängender Probleme und jene Gravitas, die der schwierigen Aufgabe angemessen schien. Als Politiker war man schließlich wer!
Also wurden etliche Doktorarbeiten mit mehr oder weniger Aufwand neben Kreistagsarbeit, Bundestagsmandat und Wahlkampfstand so hektisch zusammengeschustert, dass sie wissenschaftlichen Ansprüchen kaum genügten. Lange ging das gut, weil abgeschriebene Stellen ohne die Hilfe von Computern nicht leicht zu erkennen waren. Aber seit „Plagiatsjäger“ – aus eigenem Antrieb oder im Auftrag – den Daumen über Politiker senken können, indem sie deren Dissertationen nach verdächtigen Stellen durchforsten, ist der Doktortitel kein potentieller Karrierebeschleuniger mehr. Eher eine tickende Zeitbombe.
Nicht jeder Fall ist so krass wie der des früheren Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg. Oft genügt schon ein milderer Plagiatsverdacht, um eine Karriere zu beenden – wie bei der jüngst zurückgetretenen Berliner Verkehrssenatorin Manja Schreiner, deren Dissertation nach dem Hinweis eines anonymen Denunzianten von Plagiatsjägern überprüft wurde. Gerade beim Thema Ehrlichkeit werden an Politiker härtere Maßstäbe angelegt als an andere Menschen – selbst dann, wenn die Dissertation, wie bei Schreiner, noch vor der politischen Karriere erschien. Dabei haben viele Akademiker einen ziemlich lässigen Umgang mit Quellen gepflegt, als es noch keine automatisierte Plagiatssuche gab. Wer sich absolut sicher ist, dass seine eigene Diplomarbeit oder Dissertation den Plagiatsjägern standhalten würde, der werfe den ersten Stein.
Künftige Politiker werden es sich trotzdem zweimal überlegen, ob sie sich den Tort einer Promotion noch antun sollen, nur um am Ende einen Grad zu führen, der sie ihre Karriere kosten kann. Zumal er im Ausweis nach dem Willen der Ampelkoalition künftig nicht mehr vor dem Nachnamen stehen soll. Diese Entwicklung kann man bedauern, schlecht muss sie trotzdem nicht sein. Denn sie könnte den Doktorgrad entfetischisieren. In Deutschland promovieren noch immer deutlich mehr Menschen als in anderen europäischen Ländern; die Universitäten sind überschwemmt von promovierten Akademikern, die vergebens auf zu wenige Stellen warten.
Mehr Klasse statt Masse – was für die Universitäten gilt, gilt erst recht für die Politik. Wissenschaftliche Meriten sind aller Ehren wert – aber man wird kein besserer Abgeordneter oder Minister, nur weil man eine Doktorarbeit verfasst hat. Erst recht nicht, wenn sie so zusammengeklaubt ist, dass sie später auseinandergenommen wird. Entscheidender ist, ob man dafür einsteht, was man tut, im Studierzimmer wie in der Politik – und es im Zweifel ganz oder gar nicht macht.
Auch das Verhältnis vieler Bürger zu ihren Volksvertretern hat sich nämlich längst verändert: Sie wollen niemanden mehr, der ihnen vom marmornen Sockel herab paternalistisch die Welt erklärt und Unfehlbarkeit vorgaukelt. Sie wollen authentische Politiker, die auf Augenhöhe mit ihnen reden. Ob mit oder ohne Doktorgrad.