Kommentar: Faeser muss aufwachen
Ehrenamtliche Einsatzkräfte vom THW und der DLRG befestigen Ende vergangenen Jahres einen Deich in Hodenhagen.
Bei Krisen und Katastrophen konnte sich Deutschland in den vergangenen Jahren vor allem auf ehrenamtliche Helfer verlassen. Der Staat und seine Behörden hinterließen einen eher schlechten Eindruck, abgesehen von der Bundeswehr. Bei der großen Flüchtlingslage waren es couragierte Bürger, die für Ordnung und Menschlichkeit sorgten. Ohne zupackende Freiwillige wären Corona oder die Fluten an Ahr und Mosel noch schlimmer geworden. Als der damalige Innenminister Seehofer im Jahr 2020 einmal probeweise den landesweiten Alarmknopf drückte, entwand sich den vergammelten Sirenen nur ein Röcheln.
Deutschland ist also für Katastrophenfälle schlecht gerüstet. Erst recht für einen Krieg. Schon ein flüchtiger Blick ins europäische Nachbarland Ukraine zeigt, was dort nicht bloß an der Front geleistet wird, sondern von Zehntausenden, die das Land auch unter schwerstem Beschuss am Laufen halten, beim Löschen, bei Reparaturen von Kraftwerken und Schienen, bei der Versorgung. Gäbe es in der Ukraine keine umfassende und engagierte Zivilverteidigung, wäre der Krieg längst verloren. Die zuständige deutsche Behörde, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, vermittelt hingegen den Eindruck, als sei nichts gewesen.
Auf seiner Homepage findet man rührende Broschüren zur Eigenversorgung („Haben Sie einen Vorrat zu Hause, wenn draußen ein Sturm tobt?“). Aktuelle Tipps handeln von Sicherheit zur Weihnachtszeit und auf zugefrorenen Seen. Dort und anderswo hat man den Eindruck, Bundesinnenministerin Nancy Faeser von der SPD sei nie aus dem hessischen Wahlkampf ins lange nebenher geführte Regierungsamt zurückgekehrt.
Zum Glück gibt es die Bundeswehr und dort Leute, die an Eventualitäten denken, auch wenn es unangenehm ist. Gemeinsam mit den Ländern und einer Vielzahl von Bundes- und Landesbehörden ist ein „Operationsplan Deutschland“ entstanden. Der regelt auf mehr als 1000 Seiten, worauf es im Spannungs- oder Kriegsfall bei der zivil-militärischen Zusammenarbeit ankommt. Manche kümmern sich also, das ist eine gute Nachricht. Zwei schlechte hält der federführende Generalleutnant André Bodemann aber auch bereit. Erstens: Wir leben schon lange nicht mehr im Frieden. Hybride Angriffe, Spionage und Sabotage gehören längst zum Alltag der Konfrontationen mit Russland, aber auch China.
Zwei Drittel wollen Deutschland nicht verteidigen
Noch schlimmer, zweitens: Wenn Krieg käme, wären diejenigen, auf die man sich bei Corona oder Flut am ehesten verlassen konnte, überwiegend weg – die Bundeswehr. Denn der Platz der Armee wäre an der Ostflanke der NATO, im Kampf und nicht zu Hause. Das gilt auch für viele Ehrenamtliche, die zugleich zur Reserve der Streitkräfte gehören. Besorgniserregend ist daher nicht die Tatsache, dass sich die Bundeswehr beim „OPLAN DEU“ auf das vorbereitet, was wenige Hundert Kilometer entfernt seit mehr als zwei Jahren in voller Entfesselung tobt, sondern die Passivität des zuständigen Innenministeriums.
Und die Gesellschaft? Etwa zwei Drittel der Befragten hätten nach einer aktuellen Umfrage keine Lust, Deutschland zu verteidigen. Die größte Sorge im Ukrainekrieg galt bei vielen der eigenen warmen Hütte. Dabei untermauert die Lage der ukrainischen Verteidiger die Dringlichkeit: Es wird höchste Zeit, viel mehr Kraft und Geld in eine resiliente Infrastruktur und eine starke Zivilverteidigung zu investieren. Der Operationsplan Deutschland kann nur ein Anfang sein. Das Innenministerium sollte rasch geweckt werden.