KOMMENTAR - Die deutsche Regierungskoalition ist vorerst gerettet, doch ihr Existenzkampf geht weiter
Hält noch an der Regierungskoalition fest: FDP-Chef Christian Lindner. Liesa Johannssen/Reuters
Stürmische Zeiten im politischen Berlin: Seit die FDP am vergangenen Montag ihren Zwölf-Punkte-Plan für eine «Wirtschaftswende» vorgelegt hat, rätselt die Republik darüber, ob es mit der deutschen Regierungskoalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen bald zu Ende gehen könnte.
So wertete die SPD den Wunsch der FDP, ein Moratorium für Sozialausgaben auszurufen und gleichzeitig Betriebe und Steuerzahler grosszügig zu entlasten, als einen «Angriff auf die Fleissigen in unserem Land», wie in einem eilig vorgelegten Positionspapier der Sozialdemokraten zu lesen war. Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter wiederum sah gar Kanzler Olaf Scholz in der Pflicht, die Liberalen wieder einzufangen und sie an ihre Koalitionsverpflichtungen zu erinnern.
Lindner hält an der «Ampel» fest
Kein Wunder also, dass Bayerns Ministerpräsident Markus Söder bereits feixte, der FDP-Chef Christian Lindner habe mit dem Papier nicht weniger als die «Scheidungsurkunde» für die Ampelkoalition vorgelegt. Doch nach Ende des FDP-Parteitags vom Wochenende ist klar: An den Wirtschaftsplänen der Liberalen wird die Koalition nicht scheitern.
Denn nicht zuletzt Lindner lässt keinerlei Koalitionsmüdigkeit erkennen. Im Gegenteil, in Berlin gab sich der Parteichef, von ein paar kleinen Spitzen gegen die Koalitionspartner abgesehen, handzahm, ja geradezu konziliant. Lindner lobte, was die Regierung und nicht zuletzt die Minister der eigenen Partei bereits bei der Entlastung der Wirtschaft erreicht hätten – und stellte weitere Anstrengungen in Aussicht.
Der Wirtschaftsplan war somit vielmehr ein Versuch Lindners, die eigene Partei mit der ungeliebten Koalition zu versöhnen. Und das ist ihm vorerst auch gelungen. Zwar wurde auf dem Parteitreffen auch ein bisschen gegrummelt und gegrollt. Doch die Delegierten zogen es vor, sich dafür weitab der grossen Bühne und damit ausserhalb der Sichtweite von Lindner zu positionieren.
Neuer Haushaltsstreit steht bevor
In der Aufregung über den FDP-Wirtschaftsplan ging dann auch völlig unter, was wirklich noch zur ernsthaften Gefahr für die Regierungskoalition werden dürfte: der Streit um den Bundeshaushalt. Und der steuert schon in wenigen Tagen auf einen neuen Showdown zu.
Noch bis zum Donnerstag hat Lindner seinen Kabinettskollegen Zeit gegeben, ihren Finanzbedarf anzumelden und darüber hinaus weitgehende Sparvorschläge zu machen. Kein leichtes Unterfangen, denn es gilt, eine gigantische Finanzlücke von 25 Milliarden Euro zu schliessen. Vieles spricht allerdings dafür, dass Lindners Amtskollegen die Frist reissen werden.
Denn schon darüber, nach welchen technischen Annahmen die Haushaltsplanung angegangen werden soll, herrscht Streit. So empfehlen die Finanzexperten der Grünen ihren Ministern, eine höhere Berechnungsbasis heranzuziehen, als Finanzminister Lindner ihnen eigentlich zugestanden hat.
Es ist eine Empfehlung, die sogleich aufgegriffen wurde. So hat etwa Aussenministerin Baerbock bereits durchblicken lassen, dass sie ihren Etat nicht in dem Umfang zusammenschrumpfen lassen wird, wie es sich Lindner wünscht. Krisen und Kriege von Kiew bis Gaza liessen das nicht zu, argumentiert ihr Haus. Auch Familienministerin Lisa Paus verweist auf hohe Mehrausgaben etwa für den Unterhaltsvorschuss, um Lindners Spardiktat zu unterwandern.
SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius hat seinerseits sogar bereits einen Mehrbedarf von 6,5 Milliarden Euro gemeldet. Andernfalls, so drohte Pistorius bereits hinter verschlossener Tür, müsse sich das Land auf einen «Rüstungsstopp» gefasst machen.
Der Koalition droht weiterhin das Scheitern
Wie dieser Konflikt in den kommenden Wochen aufgebrochen werden soll, bleibt fraglich. Sozialdemokraten und Grünen werden Lindner zwar auf ein Neues beknien, die Schuldenbremse zu reformieren. Doch selbst wenn sich der Liberale dazu durchringen würde, wofür gegenwärtig nichts spricht, benötigte die «Ampel» für eine Novelle der im Grundgesetz festgeschriebenen Fiskalregeln Stimmen auch aus der CDU. Und den Gefallen, die Koalition aus ihren Finanznöten zu retten, wird Oppositionschef Friedrich Merz nicht erweisen.
Sollte sich Lindner indes dazu entschliessen, die Schuldenregeln nicht aufzuweichen, sondern abermals zu umgehen, indem er eine neue Notlage für den Staat erklärt, würde das den Konflikt mit den sparunwilligen Koalitionspartnern zwar befrieden. Der jetzt hart erkämpfte Waffenstillstand mit Lindners Kritikern aus der eigenen Partei würde hingegen neu aufbrechen. Mit dem Parteitag wurde also nicht das Ende der deutschen Koalition besiegelt, das Rätselraten über ihren Fortbestand geht aber weiter.