Jahrtausende alte Funde unterm Rapsfeld bei Lommatzsch
Die Staatsstraße 85 zwischen Riesa und Nossen wird etappenweise ausgebaut. Bevor nun bei Mertitz die Bagger rollen, kamen die Archäologen und wurden fündig.
Grabungsleiter Torsten Wagen zeigt das rund 4.000 Quadratmeter große Areal, auf denen er und seine Kollegen nach Überresten aus der Jungsteinzeit suchen. Bis Ende Juni soll hier noch nach Scherben, Klingen und Werkzeugen gegraben werden. © Daniel Schäfer
Mertitz. Leuchtend gelb wiegt sich der Raps im lauen Frühlingswind. Die Sonne brennt. Auch deshalb trägt Torsten Wagner einen großen, breitkrempigen Hut. Er leitete die Grabung hier kurz vor Mertitz, einem Ort mit liebevoll gepflegten Häuschen, die zu zählen drei Handpaare ausreichen würde. Mertitz gehört, obwohl räumlich vieler näher an Lommatzsch gelegen, zur Stadt Nossen.
Vor den Toren des Ortes bietet sich seit gut zwei Monaten ein beeindruckendes Schauspiel. Auf einer Fläche von 4.000 Quadratmetern, also etwas mehr als einem halben Fußballfeld, musste der Raps weichen und der Mutterboden gleich mit ihm. Zu einem braunen Wall aufgeschüttet, liegt er nun wie eine kleine schützende Mauer vor dem Feld.
Davor arbeiten, teils tief gebückt, Thomas Wagner und seine Kollegen. Bis zu zwölf Leute sind gleichzeitig auf dem Grabungsfeld, um Spuren unserer Vorfahren zu sichern, und die reichen weit, weit zurück. Warum sie sich einst auf dem Hügel niederließen, kann nur spekuliert werden. Heute gibt es hier Wasser und fruchtbare Böden, gleichzeitig hatte die Eiszeit eine dicke Lehmschicht hinterlassen, die hervorragendes Baumaterial lieferte. Alles zusammen genommen wären also gute Gründe, um hier zu siedeln.
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Ein sichtlich abgenutzter Mühlstein, mit dem die Bauern der Jungsteinzeit die Emmerkörner zermahlen haben. © Daniel Schäfer
Patricia van der Burgt zeigte Artefakte, die in den Erdschichten gefunden wurden, Scherben von Krügen oder Schalen, die mit Punkten verziert sind, später kamen noch Linien hinzu. „Die sind jüngeren Datums“, sagt die für den Landkreis Meißen zuständige Gebietsreferentin des sächsischen Landesamtes für Denkmalpflege. Wobei, jünger ist angesichts der Tatsache, dass diese Gefäße mehr als 6.000 Jahre vor Christi getöpfert wurden, eher relativ.
„Sie dürften ruhig anfassen“, animiert die Denkmalpflegerin und schwärmt von den glatten Oberflächen und den gleichmäßig aufgebrachten Mustern. Töpferscheiben gab es damals noch nicht. Der Ton wurde per Hand gewalzt und geformt. Das erkläre auch, warum die Gefäße keinen ebenmäßigen Boden haben.
Kulturen aus dem Frühneolithikum
In Schächtelchen werden die Relikte gesammelt und nummeriert. Die Dokumentation erfolgt dann später im Büro. Die Grundrisse der alten Gebäude müssen indes vor Ort festgehalten werden. Und auch, wenn die dicken Baumstämme, die einst als Pfeiler dienten, längst verwittert sind, ihre Spuren haben sie im Boden hinterlassen. Grabungsleiter Wagner holt die Gloria, eine leuchtend gelbe Spritzpumpe und bewässert die Stellen, an denen die Experten den Balkenstandort vermuten. Und tatsächlich, Kohlenstoffreste haben einen schwarzen Fleck im Boden hinterlassen.
Die Siedlung, die vor mehr als 6.000 Jahre hier entstand, gehört zu der ältesten nachgewiesenen bäuerlichen Kultur Mitteleuropas. Sie fällt in das Zeitalter des Frühneolithikums. Bei Mertitz wurden drei Häuser gefunden, die in ihrer langgezogenen schmalen Form an Baracken erinnern. Die verbauten Stämme, die das Dach hielten, maßen bis zu 40 Zentimeter im Durchmesser und wurden oft im nahen Umfeld gefällt. Die Werkzeuge, die dafür verwendet wurden, sind nicht größer als eine Hand. Das Steinbeil, auch Dechsel genannt, hat vier geschliffene Seiten und wurde genutzt, um die Hölzer zu bearbeiten.
Patricia van der Burgt, beim sächsischen Landesamt für Archäologie zuständig für den Kreis Meißen, zeigt die Funde eines einzigen Tages. Das Team ist seit gut zwei Monaten im Einsatz und hat schon kistenweise Material gesichert, der Großteil kann dem Zeit © Daniel Schäfer
Das, was die Zeit übrig gelassen hat, ist aus Stein. Sehr zum Leidwesen von Patricia van der Burgt. Denn sie ist sicher, hier gab es auch noch Bänder aus Leder, allerlei Flechtwerk und Körbe. Doch das organische Material ist über die Jahrtausende verwittert.
Es ist Nachmittag, die Sonne brennt noch immer, doch die Archäologen gönnen sich keine Pause. Sie wollen bis Ende Juni fertig sein mit der Sicherung der Funde. Während die Scherben, die schon mehrere Kisten füllen, in einer Ausstellung gezeigt werden können, wird das Grabungsfeld wieder unter Erdmassen verschwinden. Denn hier soll spätestens im kommenden Jahr gebaut werden. Es gelte, im Rahmen des Ausbaus der Staatsstraße 85 eine Linkskurve kurz vor dem Ortseingang Mertitz zu entschärfen. Die verläuft aktuell fast im 90-Grad-Winkel und soll später mit einer gefälligen Biegung in den Ort hineinführen, erklärt Holger Wohsmann,
Die getöpferten Gefäße haben unterschiedliche Farben und Verzierungen. Die Linien und Punkte definierten das Zeitalter ihrer Herstellung als Stichband- oder Linienbandkeramik. © Daniel Schäfer
Häuser schlummern unter dem Rapsfeld
Dass es hier, vor den Toren von Mertitz, Spuren einer jungsteinzeitlichen Siedlung gibt, wisse man schon lange Zeit, so der oberste Straßenbauer des Landkreises Meißen. Die Grabungen, die übrigens vom Landesamt finanziert werden müssen, wurden notwendig, weil das sächsische Denkmalschutzgesetz es so will. Der Bau wird alle Artefakte ein- für allemal zerstören. „Wir zerstören sie auch, allerdings werden sie vorher für die Nachwelt dokumentiert“, sagt Grabungsleiter Wagner und läuft über das Feld, dessen Lehmboden nach Wochen ohne Regen schon erste Risse aufweist.
Stricke teilen das Grabungsfeld in kleine, mit Codes versehene Quadranten. Und hinten links steht ein Grubenhaus, etwa fünf mal fünf Meter. Es ist deutlich jüngeren Datums, mutmaßlich im zweiten Jahrhundert nach Christus entstanden. “Das ist nicht unüblich, dass Völker an ursprüngliche Siedlungsplätze wieder zurückkehren”, sagt Torsten Wagner. Er vermutet in südwestlicher Richtung weitere Grubenhäuser. Doch die dürfen unter dem Rapsfeld friedlich schlummern.
Unterdessen geht Holger Wohsmann den Zeitplan durch. Der Bauabschnitt hier bei Mertitz ist nur 1.200 Meter lang. Die Fahrbahn soll auf 6,50 Meter verbreitert werden, außerdem wird es eine Entwässerung geben und ein Radweg ist geplant. In den Plänen des Landesamtes für Straßenbau trägt dieser Projektteil die Nummer 3.1. Geht es nach dem Chef des Straßenbauamtes, sollen in diesem Jahr noch die ersten Gelder verbaut werden. Das Gros der Arbeiten wird dann 2025 erfolgen. Dann sollen auch Bäume gepflanzt werden, als eine Ausgleichsmaßnahme für die neu versiegelte Fläche. Bei der Sorte sei man noch in der Findungsphase. Linden stehen ganz weit oben in der Liste.
Grabungsleiter Torsten Wagner schlägt indes die schwarze Plane am Grubenhaus zurück. Dort im letzten Quadranten muss noch gearbeitet werden. Er ist sicher, auch hier werden sich Spuren unserer Vorfahren finden. Zuletzt haben seine Kollegen einen kleinen Napf aus der Erde geholt, sauber geschliffen und kaum größer als ein Eierbecher. Was in ihm aufbewahrt wurde, bleibt aber das Geheimnis seiner Nutzer.
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