INTERVIEW - An der Hebräischen Universität in Jerusalem studieren Juden und Muslime. Ist der Krieg ein Thema im Unterricht?

interview - an der hebräischen universität in jerusalem studieren juden und muslime. ist der krieg ein thema im unterricht?

Blick auf den Campus der Hebrew-Universität in Jerusalem. Wojtek Buss / Imago

Professor Cohen, nach dem Angriff vom 7. Oktober verzögerte sich der Beginn des Semesters um zweieinhalb Monate. Wie war es, das akademische Leben mitten in einem Krieg wieder aufzunehmen?

Es war eine riesige Herausforderung. 7000 unserer Studenten waren in die Armee einberufen worden, mehr als ein Drittel aller Studierenden. Als wir am 31. Dezember das Semester begannen, fehlten immer noch viele. Heute dienen noch etwa 1000 Studenten in der Armee. Wir wollen, dass alle das akademische Jahr abschliessen können. Deshalb gibt es diverse Programme für diejenigen, die den Unterricht verpassen. Wir zeichnen zum Beispiel die Kurse auf und bieten Übungen an. Hinzu kommt, dass wir den Studenten natürlich auch emotionale Unterstützung bieten müssen. Sie sind aus der Hölle direkt in die Normalität gekommen.

An Ihrer Universität gibt es jüdische und muslimische Studenten. Einige von ihnen hatten Angst, zurückzukehren, weil sie Gewalt und Konflikte befürchteten. Wie sind Sie darauf eingegangen?

Etwa 17 Prozent unserer Studenten sind israelische Araber. Es ist für uns sehr wichtig, dass wir ein positives Miteinander fördern. Hierfür betreiben wir viele Programme. Bisher ist alles gut gelaufen. Manchmal denke ich: zu gut. Wir sind froh, aber noch nicht ganz sicher, ob wir dem vertrauen können.

Können Sie eines der Programme erläutern?

Im Unterricht wird eine Klasse mit 200 Studenten oft in kleinere Gruppen aufgeteilt, um Aufgaben zu lösen. Wir achten darauf, dass in jeder Gruppe Diversität herrscht. Wenn wir das nicht tun, findet kein Austausch statt. Also schaffen wir diese Interaktionen ganz bewusst. So können sie etwas Gemeinsames schaffen. Wir organisieren auch Workshops für unsere Lehrkräfte, um sie im Umgang mit Konflikten in der Klasse zu schulen. Zum Glück gab es bisher keine Zwischenfälle.

An Ihrer Universität prallen Welten aufeinander. Es ist schwer vorstellbar, dass es keine Konflikte gibt.

Ich habe bis jetzt von keinem einzigen gehört. Ich glaube, das hat vor allem damit zu tun, dass die Studenten sich einfach wieder Normalität wünschen. Viele Menschen stehen unter Schock. Mir wurde gesagt, dass unsere Studenten in der Armee oft über das Universitätsleben sprechen. Das ist das, woran sie sich festhalten können. Eine Normalität inmitten des Wahnsinns.

Ist der Krieg ein Thema im Unterricht?

Kaum. Nur in sehr wenigen Disziplinen, wo er relevant ist, und dann wird in einer akademischen Sprache darüber gesprochen.

Eine Ihrer Angestellten, die Professorin Nadera Shalhoub-Kevorkian, unterzeichnete eine Petition, die einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza forderte und den Krieg als «Genozid» bezeichnete. In der Folge wurde sie suspendiert. Schränken Sie die Redefreiheit an Ihrer Universität ein?

Sie hat die Ereignisse vom 7. Oktober geleugnet. Damit stösst sie an die Grenzen der Meinungsfreiheit. Wir sind vorsichtig, die akademische Freiheit ist unser Kerngut. Wir haben Frau Shalhoub-Kevorkian vom Unterrichten suspendiert, weil wir davon ausgingen, dass es Aufruhr von Studenten gegen sie geben würde. Wir haben ihr empfohlen, sich eine andere akademische Heimat zu suchen, aber wir wollten sie nicht entlassen.*

Gab es weitere Vorfälle, bei denen Sie Personen suspendiert haben?

Nein, wir sind sehr liberal. Natürlich setzen wir uns für die akademischen Freiheiten ein und erlauben es allen, ihre eigene Meinung zu äussern. Doch nach den Greueltaten vom 7. Oktober stehen wir vor noch nie da gewesenen Herausforderungen.

Einige Medienberichte beschreiben, es gebe ein Klima der Angst an israelischen Universitäten. Manche Studenten seien schon wegen eines Likes in den sozialen Netzwerken suspendiert worden.

Nach dem 7. Oktober haben sich viele Studenten über Kommilitonen und deren Aktivitäten in den sozialen Netzwerken beschwert. Wir haben einen Disziplinarausschuss gebildet, der diese Beschwerden prüfte. Die Regeln sind klar: Wir erlauben keine Leugnung der dokumentierten Ereignisse vom 7. Oktober und keine aktive Unterstützung des Terrorismus. Aber es ist natürlich legitim, Mitgefühl für die Menschen im Gazastreifen zu äussern. Ich habe auch Mitgefühl für viele, die in Gaza getötet werden.

Damit wir die Grenzen verstehen: Dürfte ein Student den Krieg im Gazastreifen als «Genozid» bezeichnen?

Ich bin sicher, dass das einige getan haben, und wir haben nichts dagegen unternommen. Wir handeln nur, wenn ein Fall öffentlich Wellen wirft, wenn es ein Fakultätsmitglied von uns ist und wenn das Gesagte wirklich die Grenzen ausreizt.

Sie sehen also kein Problem mit der akademischen Freiheit in Israel?

Ich bin fest davon überzeugt: Es besteht keine Gefahr für die akademische Freiheit in Israel. Kritisiert werden wir übrigens von unseren Politikern. Diese denken, wir seien verrückte Linke, die das wahre Leben nicht verstehen.

Nach dem 7. Oktober gab es grosse Aufregung wegen der Reaktion einiger renommierter Universitäten in den USA. Sie schrieben in öffentlichen Briefen an die Präsidenten von Stanford und Harvard: «Ihr habt uns enttäuscht.»

Ich habe noch nie zuvor solche Briefe geschrieben. Als Universitätspräsident bin ich um ein Gleichgewicht bemüht, damit wir friedlich leben können. In ihren Stellungnahmen nach dem 7. Oktober versuchten diese Universitäten aber, beiden Seiten gerecht zu werden, und behaupteten, den Frieden zu unterstützen. Doch sie haben den Angriff der Hamas nicht einmal erwähnt. Das war unangebracht. Später haben sie den Angriff dann verurteilt. Und die Briefe bewirkten, dass uns nun oft Delegationen von führenden amerikanischen Universitäten besuchen, um ihre Solidarität zu bekunden. Seit dem 7. Oktober erleben wir einerseits Solidarität, andererseits Antisemitismus. Viele von uns sind Liberale, aber einige Linke haben uns enttäuscht.

Sie sind Psychologe. Im Nahostkonflikt sind viele Menschen von kollektiven Traumata betroffen, und auch die aktuelle Gewalt traumatisiert sie weiter. Was kann die Psychologie hier bewirken?

Das ist zwar nicht mein Fachgebiet, aber ich glaube, dass die Traumata lange nachwirken werden. Einer unserer Studenten und der Sohn eines Professors sind Geiseln in Gaza. Andere haben bei den Greueltaten vom 7. Oktober und im Krieg ihr Leben verloren. Das Ausmass des Traumas ist präzedenzlos. In den vergangenen fünf Monaten haben sich viele Wissenschafter der Universität aktiv an der Entwicklung von Hilfsprogrammen für die Betroffenen beteiligt. Es liegt noch viel Arbeit vor uns.

Haben Sie psychologische Betreuungsteams an der Universität?

Ja, und wir haben dieses Team stark vergrössert. Zum Beispiel für Studenten, die im Krieg kämpften. Manchen fällt es schwer, plötzlich wieder in einer Klasse zu sitzen und Menschen in einer normalen Situation zu sehen. Wir sind keine Zauberer, wir können nur bis zu einem gewissen Grad helfen. Es ist wirklich ein Wunder, dass wir wie eine normale Forschungsanstalt funktionieren.

Ihre Universität bringt Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zusammen. Kann das zu einer Lösung des Konflikts beitragen?

Ich hoffe es. Tragen wir dazu bei? Ja. Wir tun das seit hundert Jahren. Hat es eine grosse Wirkung? Bis jetzt leider nicht. Aber ich bin ein Optimist. Ich glaube, die Situation in der Region ist derzeit so, dass die Möglichkeit besteht, eine Allianz der positiven Kräfte zu schaffen. Bei jeder positiven Entwicklung werden wir helfen, wo wir können. Der ehemalige Staatspräsident Shimon Peres pflegte zu sagen: «Optimisten und Pessimisten sterben gleichermassen – aber Optimisten leben besser.»

Asher Cohen, Präsident der Hebräischen Universität Jerusalem

Asher Cohen ist Psychologe und seit 2017 Präsident der Hebräischen Universität in Jerusalem. Die 1918 von Albert Einstein und Chaim Weizmann gegründete Universität gehört zu den renommiertesten Forschungsinstitutionen in Israel. Unter den mehr als 23 000 Studenten sind auch viele israelische Araber.

* Die Suspendierung von Nadera Shalhoub-Kevorkian wurde inzwischen wieder aufgehoben, nachdem sie einige ihrer Äusserungen zurückgenommen hatte.

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