Internationales Pandemieabkommen: So ringt die Welt um den Pandemievertrag
Bis Freitag verhandeln die WHO-Länder, wie sie neue Pandemien bewältigen wollen. Es geht um Gerechtigkeit und verlorenes Vertrauen. Spannend bleibt es bis zum Schluss.
Ein Bild aus Coronazeiten. Kann die Welt bei der nächsten Pandemie besser reagieren?
Es sollte kein Weihnachtsbaum voller Wünsche werden, das Internationale Pandemieabkommen. Als der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, die Idee dazu im November 2020 aufbrachte, ging es ihm um eine schlanke Lösung. Die Welt steckte tief in der Coronakrise. Ein Regelwerk für künftige Pandemien sollte her, fokussiert auf die wichtigsten Punkte. Michel drängte darauf, dass die Welt beim nächsten Mal besser vorbereitet sein müsse. Dass sie koordinierter handeln müsse. Oder gar nicht erst noch einmal in so eine Lage geraten würde. Es war ein politischer Moment von großer Tragweite – und ein Vorschlag, der vielen einleuchtete. Doch nach mehr als drei Jahren ringt die Welt noch immer um das Abkommen. Gesundheitsverhandlungen hätten die Tendenz, “zu Weihnachtsbäumen zu werden”, sagt die Global-Health-Expertin Ilona Kickbusch. “Jedes Land möchte sein eigenes Anliegen einbringen und wie Kugeln an den Weihnachtsbaum hängen.”
So ist aus Michels Idee mit der Zeit ein umfangreiches Papier voll vager Absichtserklärungen und auch strittiger Punkte geworden. Ob daraus nun ein Abkommen wird, entscheidet sich in dieser Woche.
Ilona Kickbusch hat über viele Jahre selbst für die WHO gearbeitet. Heute leitet sie das globale Gesundheitsprogramm am Hochschulinstitut für internationale Studien und Entwicklung in Genf. Sie beobachtet den Prozess also aus nächster Nähe, hat gute Drähte in das Verhandlungsgremium. Der sogenannte Intergovernmental Negotiating Body sitzt seit Tagen in Genf zusammen, mal wieder. Das Gremium, Ende 2021 gegründet, setzt sich aus Entsandten der WHO-Mitglieder zusammen: 194 Länder gilt es zu einen. Werden sie sich auf ein Pandemieabkommen verständigen können? Zeit dafür haben sie noch bis Freitag. Der Druck ist hoch, denn schon Ende Mai beginnt die 77. Weltgesundheitsversammlung, auf der das Abkommen beschlossen werden soll.
Wozu ein Internationales Pandemieabkommen?
Grob gesagt geht es darum, künftigen Pandemien vorzubeugen, sie schneller zu erkennen und gemeinsam zu bekämpfen. Die Länder würden sich darauf verpflichten, sich künftig besser abzustimmen, um koordinierter zu handeln. Bessere Frühwarnsysteme sollen dafür entstehen. Sie sollen berücksichtigen, wie sehr die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt zusammenhängt – dass also Krankheitsausbrüche bei Tieren eine Gefahr darstellen, vor allem dort, wo Menschen eng mit ihnen zusammenleben oder immer tiefer in ihren Lebensraum eindringen. Die Länder sollen stabile öffentliche Gesundheitssysteme gewährleisten und auch Personal, das hinreichend ausgebildet ist, Gesundheitsnotfälle zu erkennen und darauf zu reagieren. Vor allem sollen Daten und Proben von neuen Erregern global rasch geteilt werden. Die Rede ist auch von mehr Forschungskapazitäten, stabileren Lieferketten und einer gerechteren medizinischen Versorgung.
Oberflächlich betrachtet klingt all das selbstverständlich. Doch die Details sind es nicht. Bedeutet ein fairer Zugang zu Impfstoffen, dass Hersteller auf Patente und Lizenzgebühren verzichten sollen? Dass sie wichtige Technologien und Know-how großzügiger mit Ländern des Globalen Südens teilen sollen, damit etwa Impfstoffe auch in Afrika produziert werden können? Wäre das nicht angemessen, gerade, wenn die Technologien mithilfe öffentlicher Gelder entstanden? Es sind Fragen wie diese, die immer wieder aufkommen und auch die Verhandlungsparteien in Genf spalten. “Noch nie bei einer WHO-Verhandlung war das Misstrauen so groß wie jetzt”, sagt Ilona Kickbusch. Denn das Vertrauen ging in der Coronapandemie verloren.
Kernstreitpunkt: Wie sichert man Gerechtigkeit?
Nur zu gut ist vielen in Erinnerung, was passierte, als Länder weltweit um knappe Güter wie Masken, Handschuhe, Sauerstoff und vor allem Impfstoffe konkurrierten. Statt sich international zu koordinieren, verfielen Länder in Egoismen. Die eigene Bevölkerung als Erstes zu schützen, wurde zum Ziel vieler Regierungen. “Reiche Länder haben anderen die Impfstoffe auf dem Markt weggeschnappt und gehortet. Sie haben sich zum Teil gegenseitig ausgespielt und einseitig Verträge mit den Pharmafirmen abgeschlossen”, sagt der Global-Health-Forscher Till Bärnighausen vom Uniklinikum Heidelberg. Das führte dazu, dass gerade afrikanische Länder ihre Bevölkerungen erst viel später impfen konnten. “Wie die Pandemiegüter global verteilt wurden, war sicherlich schlecht koordiniert und ungerecht”, sagt Bärnighausen, der selbst viel in afrikanischen Ländern forscht.
Transparente Daten gegen faire Güterverteilung?
Damit sich solche Kämpfe und die beschämende Schieflage nicht wiederholen, drehten sich die Verhandlungen um das Pandemieabkommen mehr und mehr um die Frage nach Gerechtigkeit. Teilweise wurden sie von einem Nord-Süd-Konflikt überschattet. Vor allem die Länder des Globalen Nordens pochen auf einen ungehinderten Zugang zu Daten und Informationen über neue Erreger. Wenn irgendwo auf der Welt etwa ein gefährliches neues Virus auftaucht, sollen andere Länder rasch auf Proben dieses Erregers und Genomsequenzdaten zugreifen können. Damit schnell klar wird, womit man es zu tun hat. Damit Diagnostiktools, Arzneien oder Impfungen entwickelt werden können.
Doch die Länder des Globalen Südens wollen für diese Informationen im Gegenzug eine Absicherung. Sie wollen nicht Gefahr laufen, großzügig Daten zu teilen, am Ende aber wieder als letzte die Impfungen oder andere Güter zu erhalten, die auf Basis dieser Informationen entstanden. Zumal Transparenz auch ihren Preis haben kann. “Als meine Kollegen in Botswana und Südafrika im November 2021 die Omikron-Variante entdeckten und öffentlich machten, sperrten viele Länder Flüge von dort”, sagt Till Bärnighausen. Das richtete erheblichen ökonomischen Schaden an, die Ehrlichkeit wurde also bestraft.
Auflösen soll das Dilemma zumindest in Teilen Artikel 12 des aktuellen Entwurfs (PDF). Er beschreibt das Pathogen Access and Benefit Sharing, kurz PABS. Dieses System soll beides gewährleisten – einerseits, dass Daten und Proben von Erregern weltweit ausgetauscht werden und dass, andererseits, ein gerechter Zugang zu den daraus resultierenden “pandemiebezogenen Produkten” wie etwa Impfstoffen gesichert wird. Wie dieses System im Detail aussehen soll, wie viel Prozent ihrer Produktion Herstellerfirmen etwa für einen kollektiven WHO-Topf abtreten würden, um mehr Gerechtigkeit herzustellen, darum gab es in den vergangenen Wochen viele Diskussionen. “Man hat sich in diesen Punkten angenähert”, sagt Ilona Kickbusch. Doch wird das reichen, um zu einem guten Gesamtabkommen zu kommen?
Kriege und Regierungswechsel erschweren die Einigung
Dass die Verhandlungen “unter einem schwarzen Stern” stehen, wie Kickbusch sagt, liegt nicht nur an den unfairen Coronajahren. Auch die Geopolitik hat die Gespräche überlagert. “Wer steht mit wem zur Ukraine, wer steht mit wem im Hinblick auf Gaza? All diese Dinge beeinflussen jetzt das Pandemieabkommen”, sagt Kickbusch. Dabei war die globale Gesundheit früher ein Feld, das die Weltgemeinschaft einte. Selbst wenn sie sonst zerstritten war. Ob beim Kampf gegen die Pocken oder Polio: In Gesundheitsfragen habe die Welt in entscheidenden Momenten oft zusammengehalten, sagt Kickbusch. “Aber inzwischen ist es so, dass Gesundheit die Welt nicht mehr zusammenbringt, sondern trennt.”
Vielleicht ist nach all der Zeit der politische Moment, den EU-Ratspräsident Michel 2020 ergriff, auch einfach verflogen. Längst nicht mehr alle Regierungen stehen zu dem Plan. “Man sieht den Einfluss der vielen Regierungswechsel, auch in Europa – dadurch haben wir mehr Rechts-Mitte-Regierungen”, sagt Kickbusch. Die hätten tendenziell weniger Interesse an internationalen Verträgen und sähen im Extremfall sogar ihre nationale Souveränität dadurch gefährdet. Auch die AfD hat im Bundestag einen Antrag gestellt, das Internationale Pandemieabkommen abzulehnen.
Droht eine WHO-Diktatur?
Aber würde das Pandemieabkommen überhaupt in die Souveränität der Länder eingreifen? Die Idee ist durchaus, ein völkerrechtlich bindendes Abkommen mit klaren Regeln zu schaffen. Vergleichbar wäre es etwa mit der Rahmenkonvention zur Tabakkontrolle, die unter Leitung der WHO ausgehandelt wurde und 2005 in Kraft trat. Damals verpflichteten sich 168 Länder darauf, die Menschen konsequenter vor den Gefahren des Rauchens zu schützen. Die Konvention fordert sie zum Beispiel dazu auf, umfassende Verbote für Tabakwerbung zu erlassen, Nichtraucher an öffentlichen Orten vor Passivrauch zu schützen und Warnhinweise auf Zigarettenpackungen drucken zu lassen.
Die Tabakkontrollkonvention ist rechtlich bindend. Sie lässt den unterzeichnenden Ländern aber Spielraum, die Vorgaben im Rahmen ihrer eigenen Möglichkeiten umzusetzen. Und man muss sagen: Nicht alle halten sich konsequent an die Regeln. Deutschland etwa führte das Werbeverbot zu spät ein und setzt es bis heute nicht hundertprozentig um. Es tue auch nicht genug, um gesundheitspolitische Entscheidungen vor dem Einfluss der Tabakindustrie zu schützen, urteilte das Deutsche Krebsforschungszentrum in einem Bericht (PDF). Konsequenzen hat dies jedoch nicht, denn die WHO hat keine Sanktionsmacht. Trotzdem gilt die Tabakkontrollkonvention als Erfolg, sie ist ein wertvolles Instrument, das die Länder immer wieder daran erinnert, was das Ziel ist. Ihr Ziel. Denn sie haben den Vertrag ja freiwillig unterschrieben.
Was, wenn die Verhandlungen scheitern – und Trump wieder US-Präsident wird?
Ob es dazu beim Pandemievertrag kommt, wird sich in den nächsten Stunden zeigen. In einer Pressekonferenz am vergangenen Freitag zeigten sich die Vorsitzenden des Verhandlungsgremiums optimistisch, noch eine Lösung zu finden. Manche Insider fürchteten da bereits, dass das ganze Unterfangen scheitern könnte, so verfahren schienen die Verhandlungen.
Eine Verlängerung wäre zwar möglich, theoretisch könnte man auch noch auf der Weltgesundheitsversammlung 2025 ein solches Abkommen beschließen. Doch leichter wird es wohl kaum. Allein die bevorstehende Wahl in den USA mache viele nervös, sagt Kickbusch. Was, wenn am Ende wieder Donald Trump im Weißen Haus sitzt? Trump hat sein Land 2020 schon einmal aus der WHO austreten lassen. “Und natürlich fürchten viele, dass er den Brief wieder hervorkramt, sobald er im Amt ist”, sagt Kickbusch. Womöglich kämen dann noch mehr Länder auf die Idee, aus der WHO auszutreten.
Dass die USA selbst noch Lernbedarf haben, wie man Pandemien verhindert, lässt sich indes gerade beobachten. Seit die Vogelgrippe in etlichen in US-amerikanischen Milchkuhbetrieben ausgebrochen ist, der Erreger also erstmals Kühe infiziert hat, Spuren davon sogar in Supermarktmilch gefunden wurden, sind Fachleute weltweit in Sorge. Zwar fehlen dem Erreger noch kritische Mutationen, um sich auch von Mensch zu Mensch zu übertragen. Doch wird der Ausbruch nicht eingedämmt, steigt zumindest das Risiko dafür, dass H5N1 sich in diese Richtung verändern und dann letztlich irgendwann doch eine Pandemie auslösen könnte.
Umso bedenklicher, dass der Ausbruch offenbar schon seit Ende 2023 läuft, aber monatelang unentdeckt blieb. Auch nach Bekanntwerden der Fälle wirkte die Reaktion der US-Behörden behäbig. Sie konnten bislang wenig über die Ausbrüche sagen. Noch dazu hätten sie die Gendaten infizierter Tiere viel zu schleppend und in einem sperrigen Format geteilt, was Forscher immens frustrierte. Die Transparenz und Geschwindigkeit, die man von anderen Ländern einfordert, funktionieren im eigenen Land offenbar nur bedingt.