Ihr habt die Wahl: Marina Weisband geht in Schulen
Die Psychologin und Publizistin Marina Weisband
Als Marina Weisband vor Kurzem in Münster bei einer Live-Veranstaltung des Podcasts „Das Politikteil“ der „Zeit“ auftrat, bei dem die Gäste zu Beginn immer ein Geräusch mitbringen sollen, fiel ihre Wahl auf das schrille Geräusch einer Schulklingel. Das war überraschend, ist die in Kiew geborene Psychologin und Publizistin doch eine der wichtigen Stimmen in der Frage, wie viel Waffen Deutschland an die Ukraine liefern solle, und eine wichtige Stimme auch in der Debatte um den Antisemitismus in Deutschland. Aber eine Schulklingel?
Für nichts verantwortlich?
Mit einer Kritik am Kanzler begann das sehr gute Gespräch: Der Bundeskanzler wolle nicht dafür verantwortlich sein, dass Deutschland in den Krieg hineingezogen werde. Und er wolle nicht dafür verantwortlich sein, dass die Ukraine den Krieg verliere. „Ich schlussfolgere“, so Marina Weisband: „Der Kanzler will für nichts verantwortlich sein.“ Genau das sei das Problem. Zugleich hob Weisband hervor, wie unterschiedlich die deutsche Regierung über die Ukraine und über Gaza spreche. Für sie habe es am Anfang des Konflikts in Israel vor allem in der Kommunikation einen strategischen Fehler gegeben.
Die deutsche Regierung hätte Raum lassen müssen für das Verständnis, dass da gerade der größte Angriff auf das jüdische Volk seit der Schoa stattgefunden habe, für Solidarität, auch den Schmerz, bevor es gleich hieß: „Die Solidarität mit Israel, sprich mit der israelischen Regierung, ist deutsche Staatsräson.“ In Israel sei eine Regierung aus extremen Rechten, Verfassungsfeinden und Rassisten an der Macht. Sie selbst, als Jüdin, als Mensch mit Familie in Israel, sei solidarisch mit dem israelischen Staat und der Bevölkerung – aber mit der Regierung? Im Übrigen sei es ein gefährlicher Reflex, zu behaupten, es handle sich um Antisemitismus, wenn man Mitgefühl zeige mit den zivilen Opfern in Gaza.
Man wünscht sich Marina Weisband, immer wenn man ihr zuhört, in die deutsche Politik zurück, wo sie als Geschäftsführerin der Piratenpartei früher aktiv war. Aber sie ist ja noch da, engagiert sich bei den Grünen in den Bereichen Digitalisierung und Bildung. Und leitet seit 2014 das Schülerbeteiligungsprojekt „aula“, über das sie jetzt, zusammen mit Doris Mendlewitsch, einen Leitfaden geschrieben hat: „Die neue Schule der Demokratie“ (S. Fischer, 176 Seiten, 22 Euro).
Man könne nicht früh genug mit der Demokratieförderung anfangen, schreibt Weisband, die in Schulen geht, um mit Kindern und Jugendlichen an Projekten zu arbeiten. Für eine Demokratie, so ihre These, sei ein Rollenverständnis wichtig, das man in der Jugend ausbildet. Man müsse sich selbst als jemanden begreifen, der die Gesellschaft gestalten kann, der für sich und andere Verantwortung übernimmt. Der Kern von „aula“ ist eine Onlineplattform und eine App, mit der eine schulische Versammlungshalle virtuell nachempfunden wird und Schüler über ihre Anliegen abstimmen können. Sie sei ein Nerd und programmiere seit ihrem zwölften Lebensjahr, deshalb sei eine digitale Lösung für sie die naheliegende. Kinder sollen die Erfahrung machen, dass sie etwas verändern können, dass sie die Wahl haben; dass sie mit ihren Belangen gehört werden. Dann warteten sie vielleicht weniger darauf: dass es klingelt.