„Ich hoffe, der Kanzler fühlt sich durch die Ereignisse ermutigt“
Polens Außenminister Sikorski setzt auf einen Sinneswandel bei Kanzler Scholz in der Frage, ob Deutschland den Marschflugkörper Taurus an die Ukraine liefert, nachdem auch die USA weitreichendere Kurzstreckenraketen schicken. Noch jedoch bleibt Scholz hart – und verweist auf eine klare Grenze.
Polens Außenminister Radoslaw Sikorski dpa
Nachdem die USA nun auch weitreichendere Kurzstreckenraketen vom Typ ATACMS an die Ukraine liefern, setzt Polens Außenminister Radoslaw Sikorski auch auf einen Sinneswandel bei Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der Frage des deutschen Marschflugkörpers Taurus.
In einem Interview für „Bild am Sonntag“ und andere Axel-Springer-Medien, zu denen auch WELT gehört, in Warschau sagte er: „Ich hoffe, der Kanzler fühlt sich durch die Ereignisse der letzten Tage ermutigt.“ Sikorski äußerte weiter die Hoffnung, „dass Deutschland mehr tun wird als es bereits tut“, und verwies als Beispiel auf die Leopard-Panzer.
Die Lieferung der amerikanischen ATACMS mit einer Reichweite von 300 Kilometern bezeichnete Sikorski als „Reaktion auf die drastische russische Eskalation“. Er hoffe, der Kanzler erkenne das an. Der Minister weiter: „Die Russen haben bereits 70 Prozent der ukrainischen Stromerzeugungskapazität abgeschaltet. Das ist eigentlich ein Kriegsverbrechen.“
Einige westliche Politiker hätten zunächst geglaubt, Putin sei möglicherweise ein Fehler unterlaufen, den man ihm ausreden könne. „Heute wissen wir alle, dass Putin nur auf Druck, auf die härtesten Argumente roher Macht reagiert“, so Sikorski weiter.
Der polnische Außenminister erinnerte zudem daran, dass in Berlin jüngst eine Konferenz über den Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg stattgefunden habe, und stellte die Frage: „Wie wäre es, zu verhindern, dass sie überhaupt erst zerstört wird?“
Bundeskanzler Scholz hatte die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine wiederholt ausgeschlossen – so auch erneut am Samstag. „Es gibt Waffen, die kann man nur liefern, wenn man über alles, was damit gemacht wird, die Kontrolle behält“, sagte Scholz auf einer SPD-Veranstaltung in Lüneburg. „Taurus ist ein Marschflugkörper, der 500 Kilometer weit fliegen kann, wenn man das richtig macht“, fügte er hinzu.
Das Waffensystem sei so effektiv und präzise, dass man „direkt ein Wohnzimmer ansteuern“ könne. „Das ist nur verantwortlich, wenn wir die Kontrolle über die Zielsteuerung behalten. Das dürfen wir aber nicht machen“, betonte der SPD-Politiker. „Wenn wir das täten, wären wir beteiligt an dem Krieg.“
Eine Grenze habe er als Kanzler gezogen: „Es wird keine deutschen Soldaten und es wird keine Nato-Soldaten in diesem Krieg geben. Wir werden nicht innerhalb der Ukraine mit deutschen Soldaten agieren und auch nicht außerhalb eine Kriegshandlung machen wie Zielsteuerung und Ähnliches.“ Deshalb habe er diese Abwägung getroffen. Angesichts der gefährlichen Situation müsse man besonnen bleiben.
Scholz verwies darauf, dass Deutschland auch ohne eine Taurus-Lieferung der größte europäische Waffenlieferant der Ukraine sei und sprach von einer „irren“ innerdeutschen Debatte um den Marschflugkörper. Nach der Freigabe des milliardenschweren Hilfspakets der USA an die Ukraine war Scholz von der Union und einigen Ampel-Politikern erneut aufgefordert worden, seine ablehnende Haltung gegenüber einer Taurus-Lieferung zu überdenken.