Hartnäckige Inflation: Fed hält Zinssenkungen für verfrüht
Jerome Powell, der Chef der amerikanischen Notenbank, wartet mit Zinssenkungen weiter zu. Tom Brenner / Reuters
Einmal ist keinmal, zweimal ist Zufall – dreimal ist ein Muster: Davon lässt sich auch die amerikanische Notenbank überzeugen. Weil die Inflation in den USA von Januar bis März stets höher als erwartet ausfiel, behält sie ihren Leitzins weiterhin zwischen 5,25 und 5,5 Prozent. Seit neun Monaten hält das Fed den wichtigsten Zinssatz der Welt schon auf diesem hohen Niveau, das letztmals kurz nach der Jahrtausendwende erreicht worden war.
Dass das Entscheidgremium um den Notenbankchef Jerome Powell weiter zuwartet, hat niemanden überrascht. Sowohl die Aktien- als auch die Anleihenmärkte reagierten am Mittwoch zunächst leicht positiv auf die Neuigkeiten. Als Powell an der Pressekonferenz das Vorgehen des Fed noch genauer erklärte, verstärkte sich dieser Aufwärtstrend an den Märkten. Der Fed-Chef nahm ihnen offensichtlich die Angst, dass sogar weitere Zinserhöhungen drohen könnten.
Powell zeigt sich vorsichtig
Neben der hartnäckig hohen Inflation spielt auch die gute Konjunktur eine Rolle beim Entscheid, die Zinsen vorerst nicht zu senken. Das Fed verfolgt mit seiner Geldpolitik nämlich zwei Ziele: nebst Preisstabilität auch eine hohe Beschäftigung. Und die amerikanische Wirtschaft hält sich sehr gut. Noch immer entstehen zahlreiche neue Jobs, und von der einst befürchteten Rezession spricht niemand mehr.
Powell hatte also keinen Grund, die Zinsen jetzt schon zu senken. Umso gespannter warteten die Finanzmärkte dagegen auf Anzeichen, für wie lange Powell den ersten Senkungsschritt wohl noch hinauszögern wird. Viele rechnen fürs laufende Jahr inzwischen nämlich mit nur noch einem oder gar keinem Schritt mehr.
Das jüngste Statement des Fed ist tatsächlich noch vorsichtiger formuliert als zuvor. In den vergangenen Monaten habe es «keinen weiteren Fortschritt» in Richtung des Inflationsziels von 2 Prozent gegeben, wird darin neuerdings vermerkt.
An der Pressekonferenz wurde Powell mehrfach gefragt, ob wegen der hartnäckigen Inflation auch Zinserhöhungen wieder möglich seien. Der Fed-Chef schloss es nicht kategorisch aus, sagte aber, es sei «unwahrscheinlich», dass die nächste Veränderung des Leitzinses eine Erhöhung sei. Man werde sämtliche Daten zu Rate ziehen. Powell verwies aber darauf, dass sich der Arbeitsmarkt etwas abgekühlt habe und dass das Zinsumfeld sich restriktiv auf Investitionen und auf den Häusermarkt auswirke. So gesehen gab er den Befürchtungen, dass die Zinsen sogar noch höher steigen könnten, keine neue Nahrung.
Das Fed will zielgenauer werden
Notenbanken leben stark von ihrem Ruf – sie erfüllen ihr Mandat am einfachsten, wenn die Finanzmärkte ihnen aufs Wort glauben. Wenn sie dagegen mit ihren Inflationsprognosen regelmässig danebenliegen, kann dieser Ruf verlorengehen.
Vor diesem Hintergrund ist die derzeitige Vorsicht von Powell und den anderen Fed-Vertretern verständlich. Sie möchten die Erfahrung von 2021 und 2022 nicht wiederholen. Damals ging das Fed – wie die EZB und andere Notenbanken – davon aus, dass der kräftige Inflationsschub, der zu beobachten war, nur vorübergehender Natur war; ein Einmaleffekt nach der Corona-Pandemie, weil die Lieferketten ins Stocken geraten waren. Doch das Fed verschätzte sich. Die Inflation verfestigte sich und zwang die Notenbank ab 2022 zu verspäteten, dafür umso kräftigeren Zinserhöhungen.
In der Zwischenzeit musste das Fed seinen Kurs noch zweimal leicht justieren. Ende 2023 zeigte sich Powell zuversichtlich, dass die Inflationsbekämpfung ihren Zenit erreicht hat und somit baldige Zinssenkungen möglich sind, worauf die Aktienmärkte mit starken Kursanstiegen reagierten. Vor zwei Wochen äusserte er sich, an einem öffentlichen Anlass am Wilson Center in Washington, allerdings schon wieder zurückhaltender.
Die Inflation liegt deutlich über dem Zielwert von 2 Prozent, vor allem weil die Preise für Dienstleistungen und fürs Wohnen weiter steigen.
Langsamere Verkäufe von US-Treasuries
Immerhin, in einem Punkt kommt das Fed all jenen entgegen, die sich eine lockerere Geldpolitik wünschen. Es will sich ab Juni mehr Zeit lassen, um seine noch immer sehr hohen Bestände an amerikanischen Staatsanleihen zu verkaufen beziehungsweise diese auslaufen zu lassen: von monatlich bis zu 60 Milliarden Dollar auf noch 25 Milliarden.
Dieser Schritt wird das Angebot auf dem Markt für Staatsanleihen verringern. Das stützt den Wert der US-Schuldpapiere und verringert spiegelbildlich deren Rendite.
Wo befindet sich der «neutrale» Zins?
Nebst dem Leitzins und den Verkäufen von Staatsanleihen hat die Fed-Beobachter vor der Lagebeurteilung zudem eine etwas theoretische Frage interessiert, die aber auf Dauer sehr relevant ist: Wo befindet sich derzeit der neutrale Zins, mit dem die Geldpolitik die Konjunktur weder bremst noch beschleunigt?
Allen ist klar, dass der derzeitige Leitzins mit über 5 Prozent die Wirtschaft eindämmt; das ist auch so gewollt. Aber viele Beobachter verwundert, dass die hohen Zinsen ihre Wirkung nicht stärker und schneller entfaltet haben. Entweder dauert es einfach länger als gedacht, bis sich die Zinsen durch die Wirtschaft fressen.
Oder diese hält, aus strukturellen Gründen, insgesamt höhere Zinsen aus. Sei es, weil die Fortschritte beim Einsatz von KI die Wirtschaft produktiver machen oder weil die Staatsverschuldung hoch ist und in grüne Technologien investiert wird. So genau weiss das niemand.
Das Fed könnte seine Zinspolitik dann an einem höheren neutralen Zinssatz orientieren und deutlich restriktiver werden – was wiederum den Finanzmärkten wenig gefällt. Schon jetzt erscheint eine Rückkehr zu den ultratiefen Zinsen, wie sie vor der Pandemie geherrscht haben, unrealistisch.
Jerome Powell liess sich in dieser Frage an der Pressekonferenz nicht auf die Äste hinaus. Er erwähnte allerdings, dass sowohl die höhere Immigration als auch eine stärkere Beteiligung der amerikanischen Bevölkerung am Arbeitsmarkt das Potenzial der Volkswirtschaft vergrösserten. Er bezweifelte aber, dass sich dies langfristig stark inflationär oder disinflationär auswirken wird.